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besteht darin, formell zu sein und rasch zur Sache zu kommen. Das tat Kristina. Sie erhielt Antwort auf ihre Fragen, obwohl Nikki die ganze Zeit nach Luft rang, als sei sie kurz vor dem Ertrinken.

      Das Flugzeug war in Amsterdam gestartet, auf einem kleineren Flugplatz südlich von Schiphol, und gechartert worden war es von »Eternal Youth«, einem weniger bedeutenden Unternehmen in der Kosmetikbranche. Sie wußte nur den Namen des Angestellten, der sie angerufen hatte. Sonst nichts, denn die Firma hatte im voraus bezahlt, mit einer Internet-Überweisung auf Nikkis Konto in Luxemburg.

      Der Pilot – sie wagte seinen Namen nicht auszusprechen, weil sie fürchtete, laut in den Hörer heulen zu müssen – hatte erwähnt, daß fünf Passagiere an Bord sein würden. Namen waren ihr nicht mitgeteilt worden.

      Kristina fragte, ob sie genau wisse, daß er »fünf« gesagt hatte, und Nikki versicherte ihr, die Angabe sei auf Tonband festgehalten worden, da sie ihre Geschäftsgespräche grundsätzlich aufzeichnete.

      Das war merkwürdig. Die Taucherin hatte sechs Passagiere gezählt.

      Nikki von Lauterhorn konnte dazu nichts sagen, sie war ebenso verwirrt wie die Kommissarin. Aber sie wollte noch heute abend den Nachtzug nach Stockholm nehmen. Sie verabscheute das Fliegen. Die Kommissarin würde sie dann im Grand Hotel antreffen, wo sie zu übernachten pflegte. Falls sie nicht dort war, wußte die Rezeption, wo sie sich aufhielt.

      Kristina hatte viel Stoff zum Nachdenken, als sie den Hörer auflegte.

      Und Nikki konnte endlich weinen.

      7

      Bei den Marinetauchern handelte es sich um echte Profis. Zwei von ihnen waren damals als erste zur »Estonia« hinuntergestiegen. Die Bergung der Leichen aus dem Flugzeug war nicht schwierig, und sie machten sich sofort an die Arbeit.

      Inzwischen war es halb sieben, aber es würde noch mindestens anderthalb Stunden hell bleiben. Man ging davon aus, daß die Zeit reichen würde. Und sie reichte tatsächlich.

      Sieben Leichen wurden hochgezogen. Fünf Männer, eine Frau und ein Junge von zwölf oder dreizehn Jahren. Die Identifizierung war problemlos, außer dem Jungen hatten alle ihre Ausweispapiere bei sich.

      Kristina und Maria notierten Namen und Adressen für die Telefonate mit den Angehörigen.

      Der Pilot Fredrik Stolle, wohnhaft in Ängelholm, war zweiunddreißig Jahre alt.

      Anders Lalleholm, wohnhaft in Stockholm, fünfunddreißig Jahre.

      Lars Fältgård, Djursholm, einundfünfzig.

      Erik Jönsson, Söderköping, einundzwanzig.

      Ninni Larsson, Stockholm, fast siebzehn.

      Und dann der Junge. Ohne Ausweis, offenbar auch ohne Gepäck.

      Ein schwarzhaariger Junge mit regelmäßigen Zügen, seine Haut war viel zu dunkel für einen Europäer und zu hell für einen Afrikaner. Vermutlich stammte er aus Asien, vieles sprach für Indien.

      Wie war der Junge in das Flugzeug geraten? War er allein gereist? Und wenn nicht, mit wem?

      Hatten die Verunglückten etwas mit der Firma zu tun, die das Flugzeug gemietet hatte? Hatten sie etwas miteinander zu tun? Fragen über Fragen.

      Die Bedingungen waren nicht gerade ideal für weitere Nachforschungen. Längst hatten die Medien sich am Unglücksort eingefunden, denn die Opfer waren keine Unbekannten. Um etwas herauszubekommen, mußte man nicht die Polizei fragen; man zog es vor, sie zu ignorieren.

      Beata Viklund, genannt »das Loch«, die Starreporterin des Abendblattes, tat so, als hätte sie Kristina nicht gesehen. Für sie war die Sache klar. Prominente, Beinahe-Prominente und ein alleinreisender Junge, das roch auf tausend Meter Entfernung nach Pädophilie.

      Kristina begriff, daß sie es nicht schaffen würde, mit den Angehörigen zu sprechen, bevor die Medien sich auf sie stürzten. Das hatte auch sein Gutes, wenn es in dieser Situation überhaupt etwas Gutes gab.

      Sie würde dann ganz in Ruhe mit den Hinterbliebenen reden. Das war ihre Aufgabe. Es war der einzige Weg, etwas über den unbekannten Jungen herauszufinden, dessen Leiche, mit einer Plastikplane bedeckt, auf den Abtransport zum Krankenhaus Huddinge wartete.

      Trotzdem bat sie Maria, ihr die Telefonnummern der Opfer zu besorgen. Das ging schnell. Sie versuchte, die Angehörigen zu erreichen, hörte aber bei allen nur das Besetztzeichen. Schließlich meldete sich die Ehefrau von Fredrik Stolle. Der Pilot war weniger bekannt und weniger interessant als die anderen Toten. Aber auch hier kam Kristina zu spät. Kaum hatte sie ihren Namen genannt, als die Frau, deren harter Akzent die Müdigkeit in ihrer Stimme noch verstärkte, ihr antwortete, sie sei bereits informiert. Dann wurde der Hörer aufgelegt.

      Die Mediengesellschaft hat jedenfalls den Vorteil, daß man sich als Überbringer schlechter Nachrichten nicht mehr einsam zu fühlen braucht.

      8

      Maria Valetieri war vor knapp zwei Wochen aus dem Urlaub zurückgekommen. Sie hatte die Ferien bei ihrer Großmutter auf Sardinien verbracht, in einem gottverlassenen Dorf namens Castello, wo man den Eindruck hatte, sowohl die Landbewohner als auch die Fischer auf dem Meer seien noch immer dieselben wie vor vielen Jahren.

      Bei ihrer Ankunft hatte sie sich stumpf wie ein altes Küchenmesser gefühlt, aber schon nach einer Woche hatte sie ihre Form zurückgewonnen. Sie hatte sich gedehnt und gestreckt. Eine solche Wirkung ging von dem Dorf aus, von Himmel und Meer, von den alten Feigenbäumen und nicht zuletzt von ihrer Großmutter, die mittlerweile siebenundachtzig war, sieben Kinder zur Welt gebracht und vier davon begraben hatte, den Ehemann sowieso. Doch wenn sie in der Tür ihres niedrigen Hauses stand, dann schien sie es zu sein, die die Mauern stützte.

      Jeder Mensch trägt etwas Heiles, Unzerstörtes in sich. Es gibt Orte, an denen man es verliert, und solche, an denen man es findet. In dem sardischen Dorf wurde Maria, geboren und aufgewachsen in Hagsätra südwestlich von Stockholm, wieder heil und ganz.

      Sie erkannte, daß ihre Ehe zu einem zerstörerischen Teufelskreis geworden war, aus dem sie sich befreien mußte. Sie wollte ihrem Mann nichts Böses, im Gegenteil, sie hatte ihn geliebt, er war ihre Jugendliebe gewesen, aber er liebte sich selbst nicht mehr. Man konnte nicht mehr mit ihm leben, es war so sinnlos wie der Versuch, am Sandstrand einen Tunnel zu bauen.

      Deshalb schrieb sie ihm, daß sie sich scheiden lassen wolle. Er reagierte so, wie sie es erwartet hatte. Zuerst mit einem Tobsuchtsanfall, bei dem er alles im Haus zertrümmerte, was nicht niet- und nagelfest war. Dann kam die Verzweiflung, das Besäufnis, und schließlich der Zusammenbruch. Man brachte ihn bewußtlos in die Klinik.

      Ein paar Tage später, als er wieder nüchtern war, folgten Angst und Reue. Er schrieb ihr, daß er mit allem einverstanden sei und daß er einsehe, wie schlecht er sie behandelt hätte. Am Schluß des Briefes bat er sie um Vergebung und räumte zugleich ein, er wisse, daß sie ihm niemals vergeben könne, weil das, was er getan habe, unverzeihlich sei. Schweden haben bekanntermaßen ein besonderes Talent, vom schlechten Gewissen überwältigt zu werden, und sie kennen dann keine Grenzen mehr.

      Schließlich zog er aus der gemeinsamen Wohnung aus und nahm einen Job in Sundsvall an. Als Ingenieur hatte er keine Schwierigkeiten, Arbeit zu finden.

      Als Maria zurückkam, war niemand da, der auf sie wartete. Sie war braungebrannt und ausgeruht, fühlte sich schön und begehrenswert, schon in Castello hatte sie gesehen, wie die Augen der alten Männer auf dem Dorfplatz bei ihrem Anblick wieder zu glitzern begannen.

      Sie beging einen Fehler. Sie besuchte ihren Mann in Sundsvall, sie machten einen langen Spaziergang am Fluß, aßen gegrillten Saibling in einem Restaurant am Hafen und schliefen miteinander in seinem schmalen Bett. Erst da begriff sie, daß es vorbei war. Von der Energie ihrer Liebe war nichts mehr übrig, nur noch Abfall.

      Er, der Ingenieur, erklärte ihr, daß das mit jeder Energie so sei: sie verschwindet nicht, aber sie wird unerreichbar, nach dem zweiten Gesetz der Thermodynamik. Er hatte früher als Maria erkannt,

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