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Jochen Klepper. Markus Baum
Читать онлайн.Название Jochen Klepper
Год выпуска 0
isbn 9783862567072
Автор произведения Markus Baum
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die Aufgabenteilung hat sich innerhalb weniger Monate fast von selbst ergeben. Rudolf Mirbt kümmert sich von Fachs wegen um den Buchhandel, außerdem übernimmt er die Geschäftsführung der »Schlesischen Arbeitsgemeinschaft für evangelische Volksbildung« und ist in dieser Eigenschaft viel unterwegs im Land. Sein zweiter Wirkungsort ist das Volkshochschulheim der Schlesischen Landeskirche in Klein-Silsterwitz, 35 Kilometer südwestlich von Breslau, und später in Kamenz in der Oberlausitz. Kurt Ihlenfeld betreut verantwortlich die Gemeindezeitschrift Unsere Kirche und den Volkskalender. Und vor Jochen Klepper hat sich schon nach wenigen Wochen im EPS ein gänzlich neues Arbeitsfeld aufgetan: die Rundfunkkritik.
Neuland Radio
Die »Schlesische Funkstunde A. G.«35 hat ihren Sendebetrieb 1924 aufgenommen; ihr Sendegebiet umfasst die Oberpostdirektionen Breslau, Liegnitz und Oppeln, und damit kann der Sender rein theoretisch 4,5 Millionen Menschen erreichen. Tatsächlich haben 1927 etwas mehr als 100 000 Haushalte im Sendegebiet ein Radiogerät, Tendenz stetig steigend. Noch muss man sich das Radio leisten können, ganz billig ist das Vergnügen nicht, aber deshalb umso erstrebenswerter. Die »Schlesische Funkstunde« ist ein Kultursender. Zweiter Mann nach dem Vorstandsdirektor ist bereits der künstlerische Leiter (und spätere Intendant) Fritz Walter Bischoff. Man hält sich eine dreizehnköpfige Funkkapelle, und auch das Schlesische Landesorchester mit seinen 75 Mitgliedern ist fest gebucht. Lesungen, Essays, Buchbesprechungen, Hörspiele und Konzerte machen den Großteil des Programms aus. Daneben gibt es Volkstümliches wie die Auftritte des schlesischen Komikers Ludwig Manfred Lommel, der mit seinen Sketchen das neue Medium ironisch auf die Schippe nimmt und vorgibt, für einen (natürlich rein fiktiven) »Sender Runxendorf« zu sprechen. Lommel ist damit der Urahn von Radio-Comedysendungen wie Peter Frankenfelds »Valsch verbunden« in den 60er-Jahren oder »Stenkelfeld« kurz vor und nach der Jahrtausendwende.
Zu besprechen gibt es also eine Menge, und das obliegt beim Evangelischen Presseverband nun Jochen Klepper. Den »Rundfunkpressedienst« wird er drei Jahre lang versehen. Diese berufliche Nähe zum Sender bringt es mit sich, dass er schon bald auch selbst der »Schlesischen Funkstunde« zuarbeitet. Sein Debüt im Radio gibt er am 12. Juni 1927 mit einem Beitrag zum 200. Todestag von August Hermann Francke. Und wer Hörfunksendungen rezensieren und selbst gestalten will, muss auch selber Radio hören. Also lässt er sich in seiner Wohnung in Kleinburg einen Empfänger installieren.
Die Arbeit beim EPS dient vor allem dem Broterwerb, aber zusammen mit seinen freien journalistischen Arbeiten füllt sie ihn aus und tut ihm auch körperlich gut. »Alle hässlichen Überreizungserscheinungen sind geschwunden und die Kopfschmerzen auf ein Maß zurückgegangen, wie sie schließlich fast jeder geistige Arbeiter hat«, berichtet er brieflich an Rudolf Hermann. »Erklären kann ich mir nur nicht, dass ich immer noch so viel abnehme.«36 Diese Selbstaussage deckt sich mit Kurt Ihlenfelds erstem Eindruck von Jochen Klepper: Er begegnete in den Büroräumen des Presseverbandes »einem schmächtigen, in etwas zu weiträumigem blauen Anzug steckenden jungen Mann, der sich zögernd, als fiele es ihm schwer, sich von seinen Gedanken zu trennen, von seinem Platz erhob.«37
Zumindest mit einer Gehirnwindung denkt der »junge Mann« gelegentlich noch an seine theologische Abschlussarbeit. Das Werk ist bis Ende 1926 bereits auf 500 Seiten angewachsen (viel zu viel, er müsste es drastisch herunterkürzen), aber mittlerweile hat er es zum Steinbruch für Artikel umfunktioniert. Von der Vollendung ist er weit entfernt. Die journalistische und literarische Arbeit nimmt ihn voll und ganz in Beschlag. Er macht sich also selbst etwas vor, wenn er im Oktober 1927 an Rudolf Hermann schreibt: »Die Lizenziatenarbeit muss doch auch endlich zu einem Abschluss geführt werden [...] Herrn Professor Kohlmeyer bin ich sehr dankbar, dass er mit meiner Arbeit solche Geduld hat. Habe ich promoviert, möchte ich dann am liebsten als ganz freier Literat leben. Dem Evangelischen Presseverband hoffe ich auch in nicht allzu langer Zeit kündigen zu können.« Nur um sofort einzuschränken: »Aber in Geldangelegenheiten bin ich vorsichtig [...] Die finanziellen Notwendigkeiten entheben einen aller beruflichen Entscheidungen.« Andererseits vermeldet er stolz: »Nun habe ich ununterbrochen Aufträge, nicht nur in Schlesien. Ab und zu steht jetzt auch manchmal schon nicht von mir, sondern über mich etwas in der Zeitung.«38
Ende des Jahres ist keine Rede mehr von Kündigung beim EPS, allerdings: »Das Niveau hat sich im Ganzen gehoben. Bessere Zeitungen und Zeitschriften, die Aufträge mehr nach meinen Wünschen, wesentlich höheres Einkommen (jetzt bekomme ich für einzelne Arbeiten schon 300 Mark) und im Evangelischen Presseverband nur noch täglich vier Stunden Dienst.«39
Ein perfektes Team
Ihlenfeld, Mirbt und Klepper im EPS-Büro zusammen geben ein interessantes Bild ab. Rudolf Mirbt hat zur Verschönerung des dämmrigen Raumes zwei Kunstdrucke mitgebracht – »das eine Franz Marcs Rote Pferde, das andere der Knabe mit der roten Jacke von Cézanne. Etwas ganz Modernes also, womit sich keineswegs jeder unserer ländlichen Besucher einverstanden zeigte«, wird sich Kurt Ihlenfeld Jahrzehnte später erinnern. »Aber das mochte noch hingehen. Sehr überraschend wirkte das Triumvirat, das da am Tisch unter den Bildern saß, über viel beschriebenes und bedrucktes Papier gebeugt. Und am überraschendsten doch wohl Jochen Klepper – denn er hatte es für notwendig gehalten, sich ein Einglas anzuschaffen, eins mit schwarzem Hornrand und einem Band daran. Damit las er seine Zeitschriften und Manuskripte.«40 Der Anblick verschreckt den ein oder anderen Gast; die Kollegen können ihm das schließlich klarmachen, und er verzichtet auf das Monokel.
Kurt Ihlenfeld und Rudolf Mirbt sind auf ihre Art literarisch genauso ambitioniert wie Jochen Klepper. Mirbt schreibt (und veröffentlicht in den Folgejahren) Dutzende von Geschichten und Theaterstücken, aber auch Essays zur Spiel- und Theaterpädagogik. Ihlenfeld gründet noch im Jahr 1927 den »Eckart-Kreis« und sammelt darin Autoren und Publizisten, die in ihrer Arbeit Theologie und Literatur, Glaube und Dichtung zusammen bringen wollen. Vorbild und Organ des Kreises ist die Zeitschrift Eckart – Blätter für Evangelische Geisteskultur. Die Hefte haben bereits von 1906 bis 1915 neun Erscheinungsjahre erlebt. August Hinderer, der Gründer und Leiter des Deutschen Evangelischen Presseverbandes, hat die Zeitschrift 1924 wieder aufleben lassen. Jochen Klepper hat unabhängig von Kurt Ihlenfelds Bestrebungen bereits Verbindungen dorthin aufgebaut. Seine Würdigung des Lyrikers und Hörspielpioniers Eduard Reinacher im Eckart-Heft Nr. 3 des Doppeljahrgangs 1926/27 ist der erste von zahlreichen Beiträgen. Bis 1941 wird im Schnitt jede zweite Ausgabe des Eckart eine Geschichte, ein Gedicht oder einen Artikel Jochen Kleppers enthalten. Und der Breslauer Eckart-Kreis ist ein Forum, wo er in den nächsten Jahren seinen Zugang zur Literatur, seine Auffassung von Dichtkunst vertreten und zur Diskussion stellen kann. Was wiederum auf die Arbeit im Evangelischen Presseverband zurückwirkt.
Kurt Ihlenfeld erinnert sich: »Wir haben damals auf unsere Weise dazu beigetragen, dass sich manche kirchlichen Scheuklappen lüfteten. Wir hatten gute Verbindung zum Theater und zur Literatur, wir holten uns schlesische und außerschlesische Autoren zu Vorlesungen, Josef Wittig oder Friedrich Bischoff (damals Intendant des Breslauer Senders) oder Agnes Miegel [...] Da endlich auch die bildenden Künste in unser Blickfeld traten, luden wir Rudolf Koch zu uns ein – er kam und versetzte seine große Hörerschar, über hundert Maler, Grafiker, Bildhauer, Architekten in helle Aufregung durch die prachtvolle Gegenständlichkeit seiner Berichte und seines Bekenntnisses. Sehr nahe stand uns Eugen Rosenstock-Huessy, der sich mit der Theorie der Volksbildung beschäftigte. [...] Auch zu den kirchenmusikalischen Kreisen wurde die Verbindung aufgenommen. 1928 gab es eine große Freizeit ›Musik in der Kirche‹. Günter Ramin [Thomaskantor und Gewandhausorganist, Anmerkung des Verfassers] kam aus Leipzig herüber ...«41
Die drei Männer beackern eine bunte Vielfalt von kulturellen Feldern und Themen, und sie tauschen sich auch in den Pausen und nach Dienstschluss lebhaft darüber aus, wie Kurt Ihlenfeld später berichten wird: »Wir wandelten im Schatten von St. Elisabeth oder St. Maria Magdalena, wir plauderten uns an den altersdunklen Mauern der Dominsel vorüber, wir schlenderten über den Ring, wir