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drei fremde Pferde auf einmal, das war zu viel für Hazel. Sie machte einen Satz zur Seite, und da ich nicht darauf vorbereitet war, verlor ich natürlich das Gleichgewicht. Noch ehe ich mich am Sattel festklammern konnte, rutschte ich nach links und plumpste rasch, aber unelegant ins Gras.

      Hazel vollführte vor Schreck einen Bocksprung. Lucky, Star und Victory stoben hastig in verschiedene Richtungen auseinander. Ich raffte mich ziemlich benommen auf. Drüben bei den Fliederbüschen stand Mikesch und lachte.

      Mein Hinterteil tat weh, und mein Kopf brummte, aber ich fing selbst zu kichern an, weil mir unversehens ein altes Kinderlied durch den Sinn ging: Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er; fällt er in den Sumpf, dann macht der Reiter plumps. . .

      Als ich Hazels Zügel aufnahm, drückte sie ihre Nüstern an mein Haar und schnaubte. Natürlich wußte ich, daß es eine eiserne Regel im Reitsport gibt, nach der ein Reiter sich unverzüglich wieder in den Sattel zu schwingen hat, wenn er abgeworfen worden ist; vermutlich um dem Pferd zu zeigen, daß er sich nie und nimmer unterkriegen läßt. Doch solche Regeln gab es zwischen Hazel und mir nicht; und ich hatte keine Lust, jetzt wieder aufzusteigen, bloß um meine komische Würde zu wahren. Ich küßte sie nur auf die Nase, und dann gingen wir gemeinsam zum Stall, an Mikesch vorbei, der mir zuzwinkerte und sagte: „Bist du heute aber schnell abgestiegen!“

      Ich klopfte mir den Schmutz von den Knien. „Ja“, sagte ich schleppend. „Ich bin voller Schwung, mein Blut ist Lava. Das muß der Föhn sein!“

      Nachmittags war es ungewöhnlich warm. Ich legte mich im Obstgarten des Kavaliershäusls in die Hängematte – wohl zum letztenmal in diesem Jahr – und las ein Buch, das Jörn mir geliehen hatte: Solaris von Stanislaw Lem. Es war schwierig zu lesen, aber unglaublich spannend. Kirsty und Kathrinchen wuselten zwischen den Bäumen herum und sammelten Fallobst ein, doch ich war so in mein Buch vertieft, daß ich sie kaum bemerkte. Irgendwann kam auch Kater Carlo auf lautlosen Pfoten, kletterte in den Apfelbaum, sprang auf meine Schulter und setzte sich schließlich auf das Buch, als ich ihn nicht weiter beachtete. Da erwachte ich aus meiner Versunkenheit und sah, daß die Sonne hinter den Bäumen verschwand.

      Aus dem Küchenfenster kam der verlockende Duft von frisch gekochtem Apfelgelee. Kater Carlo rieb seinen Kopf an meinem Arm, Kathrinchen sang im Garten: „Es geht ein Bi-Ba-Butzemann um unser Haus herum . . .“, und der Kater schnurrte wie besessen, während ich ihn zwischen den Ohren kraulte.

      Wie plötzlich die Dunkelheit hereinbrach in diesen Herbsttagen! Die Zeit der Dämmerstunden war vorbei. Noch hatten wir uns nicht daran gewöhnt und wurden stets von der Finsternis überrascht; meist dann, wenn wir die Pferde von den Koppeln holten.

      An diesem Abend jedoch hing ein wunderbarer, gleißender Vollmond über unserem Tal. Die Luft war mild; Föhnwolken zogen wie ein Meer aus violetten und und rosaroten Schleiern über den Himmel. Schon begann der Abendstern zu funkeln, und der mächtige Vierseithof, die Wiesen, Wälder und Hügel wechselten zwischen Licht und Dunkelheit.

      „Allmächtige Tante, ist das schön!“ sagte Matty andächtig, als wir von den Koppeln kamen. „Wie auf einem Bild von Schwind.“

      Helge warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Mann, bist du mal wieder gebildet! Schwind, was ist das für ein Typ? Nie gehört.“

      „Ein Spätromantiker“, erwiderte Matty friedlich. „Er hat wunderbare Bilder gemalt von Seen und Waldstücken im Mondschein. Immer wenn ich mir seine Bilder ansehe, denke ich, wie schön Deutschland mal gewesen sein muß, und wie armselig das ist, was sie uns davon übriggelassen haben mit ihren Autobahnen und Siedlungen und Kanälen und Flurbereinigungen.“

      Fledermäuse schossen über die Dachfirste hinweg durchs Mondlicht, zu schnell, um ihnen mit den Augen zu folgen. Käuzchen schrien, und Dreililiens Katzen strichen wie Geisterwesen über den Hofplatz.

      „Schaut euch bloß mal den Mond an!“ sagte Maja später im Stall, während wir die Pferde tränkten und fütterten. Groß und silberweiß stand er hinter den Fenstern und tauchte den Innenhof in unwirkliches Licht. „Man könnte glatt mondsüchtig werden! Warm genug wär’s jedenfalls, um im Nachthemd auf dem Dach herumzutapern!“

      Jörn nickte. „Großvater hätte gesagt, das ist ein geschenkter Abend. Eigentlich ist’s zu schön, um im Haus herumzuhocken. Wie wär’s mit einem Mondscheinritt?“

      „Gottchen, wie romantisch!“ sagte Helge.

      „Gute Idee“, erwiderte Maja, ohne sich um ihn zu kümmern. „Obwohl ich heute abend anfangen wollte, mir einen Pulli zu stricken. Das ist immer so aufregend, anfangs jedenfalls.“

      Matty sagte: „Stricken kannst du noch den ganzen Winter lang. Aber nicht an einem Abend spazierenreiten, an dem man einen Gruselfilm drehen könnte bei dem Mondschein und den Wolkenfetzen, mit den fast schon kahlen Bäumen und dem Käuzchengeschrei.“

      „Wenn ihr wollt, setze ich mich ins Gebüsch und heule wie ein Wolf“, schlug Helge vor.

      „Ich glaube nicht, daß die Pferde das mögen würden“, sagte Jörn.“ Reite lieber mit!“

      „Ich wollte einen Brief an Claudia fertigschreiben“, sagte Helge, der seit neuestem seine Freizeit damit verbrachte, lange Briefe an seine Freundin in Passau zu verfassen. Vor kurzem hatte er auch einen freien Tag gehabt, war nachts mit dem Mofa zu ihr gefahren und in der darauffolgenden Nacht zurückgekommen; ein Streß, den man sich wirklich nur auflädt, wenn man bis über die Halskrause verliebt ist.

      „Den Brief kannst du morgen auch noch schreiben“, sagte Jörn. „Ich hab morgen Nachtdienst und könnte ihn nachmittags in Rosenheim am Bahnhof einwerfen, wenn du willst. Dann kommt er schneller an.“

      Helge brummte etwas Unverständliches.Trotzdem freute es ihn, daß wir ihn dabei haben wollten, das sah ich an seinem Gesicht. Seit dem Ende dieses Sommers war er umgänglicher geworden, war lange nicht mehr so streitsüchtig und überempfindlich wie früher und ließ sich ab und zu sogar herbei, etwas mit uns zusammen zu unternehmen.

      „Dann kommst du also mit?“ fragte ich, den Meßbecher in der Hand, während er einen Sack Hafer öffnete.

      „Schon möglich“, murmelte er, was so ungefähr die begeistertste Form der Zustimmung war, die man von ihm erwarten konnte.

      Aus einer Ecke des Stalles rief Mikesch: „Ich fürchte, Nofret hat jetzt nicht mehr genug Milch für Joringel. Er führt sich auf, als wäre er am Verhungern.“

      Joringel war unser „Flaschenkind“, eine Frühgeburt von besonders edler Rasse. Jorinde, seine Mutter, hatte ihn nicht angenommen, da wir ihn gleich nach der Geburt von ihr trennen mußten. Wochenlang hatten wir ihn mit der Flasche gefüttert. Schließlich war es uns gelungen, Nofret dazu zu bringen, Mutterstelle an Joringel zu vertreten und ihn zu säugen, nachdem ihr eigenes Fohlen selbständig war. Doch nun war sie wieder trächtig, und die Zeit, in der sie genug Milch für ein Fohlen hatte, schien vorbei zu sein.

      „Au weh, und was machen wir jetzt?“ rief Matty zurück. „Bei Jorinde können wir jedenfalls keine Milch mehr abpumpen.“ „Vielleicht hat Julka genug, um Joringel auch noch mitzufüttern“, meinte Mikesch. „Ich hab den Eindruck, daß sie mehr Milch hat als ihr Fohlen braucht. Und wenn Joringel auch noch einige Zeit zusätzlich bei Nofret trinken kann, müßte es gehen.“

      Die Pferde waren sichtlich verwundert, als wir fünf von ihnen nach der Fütterung sattelten und wieder aus dem Stall führten. Vroni, mit der Helge reiten wollte, wirkte nicht allzu begeistert über diese abendliche Störung. Wahrscheinlich wäre sie lieber in ihrer Box geblieben, um in Ruhe zu verdauen und zu dösen. Zweimal versuchte sie umzukehren; und als uns aus dem Stall entrüstetes Gewieher nachschallte, wieherte sie so herzzerreißend zurück, als sollte sie von einer Räuberbande entführt werden.

      Das Mondlicht lag wie ein riesiger silberner Teppich auf der Wiese, die zum Wald hin abfiel. Das Gras verschluckte die Laute der Pferdehufe; nur der Wind flüsterte und raunte in den Bäumen, und der Bach gluckste zwischen Moospolstern. Wir ritten am Waldrand entlang, und ich dachte: Wenn’s das Kleine Volk gäbe, müßte es jetzt hier

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