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von dir verlangen als den Preis, den er von der Tierkörperverwertungsanstalt auch kriegen würde“, sagte ich. „Da bin ich ganz sicher. Hazel hat er mir damals ja auch total billig überlassen.“

      „Glaubst du eigentlich, daß es ihn völlig kalt läßt, wenn so ein Pferd, das dreiundzwanzig Jahre lang auf seinem Gestüt war, einfach zum Schlachten abgeholt wird?“ fragte Carmen.

      Nachdenklich sah ich aus dem Busfenster. Die Hänge waren noch immer grün. Dahlien, Astern und späte Rosen blühten in den Bauerngärten – wie lange noch? Schon die kommenden Nächte konnten die ersten Fröste bringen und das bunte Bild in ödes Land verwandeln.

      „Früher dachte ich immer, daß er ein altes Ekel ist, ein Egoist, den’s nicht kratzt, wenn es Menschen oder Tieren um ihn herum schlechtgeht“, sagte ich nach einer Weile. „Inzwischen glaube ich das nicht mehr. Er ist bloß einfach im Laufe seines Lebens hart geworden. Schließlich ist es sein Job, Pferde zu züchten und wegzugeben. Er hat es sich wohl einfach abgewöhnt, sein Herz an sie zu hängen. Vielleicht ist das bei ihm ähnlich wie bei deinem Vater, wenn er seine Kühe zum Metzger bringt. Und jetzt ist erkrank und kann sich nicht mehr richtig um das Gestüt kümmern. Natürlich erledigt er den Papierkram, aber mit den Pferden selbst hat er kaum noch was zu tun. Also berührt es ihn wohl auch nicht besonders, was aus ihnen wird; Hauptsache, sie sind kein Verlustgeschäft. Er trifft seine Entscheidungen sozusagen vom Schreibtisch aus, und das ist bestimmt einfacher, als wenn man wie wir die Tiere jeden Tag versorgt und jedes einzelne kennt und lieb hat.“

      Carmen nickte langsam. Dann sagte sie: „Du, Nell, meinst du, daß wir eines Tages auch so werden – so hart und abgebrüht?“

      Ich sah sie an und schüttelte heftig den Kopf. Die Vorstellung erschreckte mich. „Nein, du, ich glaube nicht, daß so etwas einfach mit einem passiert. So braucht man nicht zu werden, wenn man nicht will. Schau dir doch mal den Pauli an. Der hat bestimmt ein hartes Leben gehabt. Und trotzdem ist er nicht verbittert oder gleichgültig geworden. Und Mikesch und Kirsty und Gesine – die sind auch nicht mehr so jung wie wir, aber sie leben trotzdem anders als viele andere Erwachsene, bei denen es oft nur noch ums Geldverdienen geht, um ein dickes Auto, teure Klamotten und darum, was man ist und was man hat. Ich glaube schon, daß man innerlich jung bleiben kann, auch wenn man älter wird.“

      Carmen lächelte und summte ein Lied von Georg Danzer und André Heller vor sich hin: „Wann du wuist, wann’st wirklich wuist, bleibst immer jung . . .“

      „Genau“, sagte ich. „So hab ich’s gemeint.“

      Als ich nach Dreililien kam, war nicht nur der Hufschmid da, sondern auch ein unerwünschter Gast: Horkheimer, der Pferdehändler. Ich erkannte seinen Wagen schon von weitem, einen schwarzen Mercedes mit Düsseldorfer Kennzeichen. Einer seiner Angestellten war gleich mit dem Pferdetransporter mitgekommen.

      Mir sank das Herz. An solchen Tagen, zu solchen Gelegenheiten, wünschte ich mich in unsere Großstadtwohnung zurück, wünschte, ich hätte nie etwas mit Pferden zu tun gehabt. Für gewöhnlich verkroch ich mich im Kavaliershäusl, wenn Horkheimer kam, bis alles vorbei war. Das war eine von meinen Schwächen, die ich an mir verstehen und akzeptieren gelernt hatte.

      Doch an diesem Tag konnte ich nicht ausweichen. Der Hufschmied hatte seine Arbeit fast schon beendet; nur Katama und Hazel blieben noch übrig. Katama wurde immer kalt beschlagen, weil sie sonst total durchdrehte; und selbst dabei mußte sie von zwei Leuten festgehalten werden. Anschließend sollte Hazel ihren Spezialbeschlag bekommen, und sie war es gewöhnt, daß ich mit dabei war, sie streichelte und ihr gut zuredete.

      Maja war froh, daß ich kam, denn Matty war noch in der Schule, Helge hatte seinen freien Nachmittag, Sepp war zu Hause auf seinem Hof, und Mikesch stand bei Herrn Moberg im Büro, um mit dem Pferdehändler zu verhandeln.

      „Ausgerechnet heute muß der daherkommen!“ murmelte Maja mit einem Seitenblick auf den Mercedes, der vor der Toreinfahrt parkte. Und wir nickten uns zu und wußten beide, daß uns für Horkheimers Besuch kein Tag im Jahr gepaßt hätte; wir hätten jedesmal am liebsten Straßensperren aufgebaut oder das Tor verbarrikadiert, um zu verhindern, daß er kam.

      Katama führte sich schrecklich auf, genau wie immer. Sie versuchte sich loszureißen, sperrte die Augen auf, als wären wir Frankensteins Töchter, versuchte auszuschlagen und wieherte, daß es einem durch Mark und Bein ging.

      Wir schwitzten alle drei, Maja, der Hufschmied und ich; und noch während wir schufteten und die Schimmelstute festhielten, öffnete sich die Tür des Wohnhauses, und Mikesch kam mit Herrn Moberg und Herrn Horkheimer heraus.

      Aus den Augenwinkeln schielte ich zu ihnen hinüber. Der Pferdehändler liebte es, sich wie ein Dandy herauszustaffieren. Er trug mit Vorliebe weite Kutschermäntel aus Tuch mit mehreren Pelerinenkragen aus Samt oder mit Pelzbesatz und dazu abenteuerlich geschwungene Hüte. Heute war er in einen schottisch karierten Kutschermantel gehüllt, unter dem sich sein Bauch vorwölbte; er trug glänzend polierte Reitstiefel und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Seine dunklen, tiefliegenden Augen und der graue Schnurrbart ließen ihn wie Graf Dracula persönlich aussehen.

      Für Katama war er in dieser Lage der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Als der Pferdehändler auf uns zukam, fing sich der Herbstwind in seinen drei Mantelkragen und ließ sie hochflattern. Womöglich dachte die Stute, er würde jetzt gleich abheben, auf sie zufliegen und sie in den Hals beißen, um ihr das Blut auszusaugen. Leider waren auch Maja und ich damit beschäftigt, Horkheimer anzustarren, und so nützte Katama die Gelegenheit, um sich loszureißen. Sie erhob sich auf die Hinterbeine, ruderte mit den Vorderhufen wild in der Luft herum und stürmte dann wie ein Mustang durch den Hof, während der verdutzte Hufschmied den Halt verlor und mit dem Hintern aufs Pflaster plumpste.

      Mikesch rannte los, doch der dicke Pferdehändler war schneller. Mit einer Behendigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, war er beim Tor, versperrte Katama den Weg, packte ihr Halfter und zwang sie, stehenzubleiben.

      „Sattel die Hühner!“ murmelte Maja neben mir.

      Herr Moberg beugte sich über den Hufschmied und fragte ihn, ob er einen Schlag abbekommen hätte, aber der versicherte, daß nichts passiert sei. „Die Madln hätten besser aufpassen müssen!“ sagte er mit einem anklagenden Blick in unsere Richtung.

      Mikesch und der Pferdehändler brachten Katama wieder in die Mitte des Innenhofs zurück. Sie zitterte heftig, und Mikesch gab sich alle Mühe, sie zu beruhigen, während Horkheimer seine Hand sachkundig über ihre Kruppe gleiten ließ und sagte: „Ein schönes Tier. Englisches Vollblut. Könntest du dich nicht doch entschließen, sie zu verkaufen, Moberg?“

      Ich erschrak. Katama war Jörns Pferd. Natürlich gehörte sie ihm nicht wirklich, doch irgendwie war klar, daß sie „sein“ Pferd war. Er war der einzige, der wirklich mit ihr umgehen konnte, dem sie voll vertraute. Jörn und Katama gehörten zusammen, so wie Hazel und ich. Leute, die sie nicht kannten – ihre Schreckhaftigkeit, ihr empfindsames Wesen –, würden sie verderben, sie vielleicht schlagen oder weiterverkaufen, wenn sie ihre Reiter abwarf; und so würde es wohl nicht lange dauern, bis sie total verstört war und vor Kummer krank wurde und starb oder beim Abdecker landete.

      Hastig und ohne zu überlegen, sagte ich: „Katama ist nicht zu verkaufen. Sie ist Jörns Pferd.“ Und noch ehe es ganz heraus war, begann mein Herz wild zu klopfen, denn ich wußte, daß ich kein Recht hatte, mich einzumischen.

      Ein kurzes Schweigen entstand. Der Pferdehändler sah mich an – verwundert, aber nicht unfreundlich. Ich haßte ihn. Und doch meinte ich im Grunde nicht ihn persönlich, dieses fleischige, wohlwollende Gesicht mit dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart, sondern das, wofür er stand: seinen Beruf, all die Leute, die wie er Geschäfte mit Tieren machen, bedenkenlos, als wären sie eine Ware, Gegenstände ohne jedes Gefühl, die man beliebig von einem Ort zum anderen verfrachten und vermarkten kann, ohne auch nur einen Gedanken an ihr Schicksal zu verschwenden.

      Herr Moberg tat, als hätte er meine Bemerkung nicht gehört. Er sagte: „Ich glaube nicht, daß ich sie verkaufen werde; jedenfalls vorerst nicht. Sie ist eine recht gute Zuchtstute.“

      Maja drückte verstohlen

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