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Machtspieler. Ronny Blaschke
Читать онлайн.Название Machtspieler
Год выпуска 0
isbn 9783730705070
Автор произведения Ronny Blaschke
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Der Einfluss der Kirche wächst – auch im Sport
Jahrelang wurde die WM 2018 als Verstärker für politische Forderungen genutzt, von Unterstützern und Gegnern Russlands. Nach der Annexion der Krim 2014 forderten Stimmen aus EU und USA einen Boykott der WM. Im März 2018 sagten Regierung und Königsfamilie aus Großbritannien einen Turnierbesuch ab. Sie reagierten auf einen Giftanschlag auf den früheren Spion Sergej Skripal und dessen Tochter in Salisbury. Etliche Länder schlossen sich an wegen der Unterstützung Russlands im syrischen Bürgerkrieg für den Präsidenten Assad, auch wegen Hackerangriffen sowie Einmischungen in ausländische Wahlen. Russische Spitzenpolitiker deuteten dies als „westliche Propaganda“.
In ihrem Sammelband „Russkij Futbol“ verdeutlichen die Herausgeber Martin Brand, Stephan Felsberg und Tim Köhler, dass der russische Fußball seit mehr als 120 Jahren für Propaganda genutzt wird. Zum Beispiel 1912 bei den Olympischen Spielen in Stockholm: Das russische Team verlor 1:2 gegen Finnland, das damals noch als Großfürstentum zum Russischen Reich gehörte. Kritiker werteten dies als Zeichen für den Untergang des Zarentums. Oder zwei Jahrzehnte später: Die Rote Armee nutzte den Fußball, um ihre Soldaten bei Laune zu halten.
Jenseits des Militärs wurden Klubs an Industriebranchen gekoppelt. Dynamo Moskau war in der Obhut des Geheimdienstes, Lokomotive gehörte zur Eisenbahn, ZSKA zur Armee. In den 1930er Jahren herrschten unter Stalin Willkür und Verfolgung. Wer in Zeiten von Zwangskollektivierung mit neuen Ideen auftrat, machte sich verdächtig. Nikolai Starostin, Mitbegründer von Spartak Moskau, wurde wegen „bourgeoiser Arbeitsmethoden“ zu Lagerhaft verurteilt. Ob Fußball als Ablenkung im Zweiten Weltkrieg oder als Statussymbol im Kalten Krieg: „Russkij Futbol“ erzählt sowjetisch-russische Geschichte durch das Brennglas Fußball, auch in einer gleichnamigen Plakatausstellung.
Eine relativ neue Entwicklung ist dabei die Unterstützung der Russisch-Orthodoxen Kirche. Ob Dopingvorwürfe, Korruptionsvergehen oder die Verletzung von Arbeitsrechten auf Stadionbaustellen – die Kirche habe sich stark an die herrschende politische Meinung angehängt, tindet die Theologin Regina Elsner, die sich am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin (ZOiS) mit der Russisch-Orthodoxen Kirche beschäftigt: „Seitdem sich der Druck auf Russland international erhöht hat, hieß es auch bei der Kirche immer mehr: Das sind Angriffe von außen, die Russland schaden wollen.“
Unter Wladimir Putin hat der Klerus an Einfluss gewonnen. Der Patriarch Kyrill hat als Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche mehrfach Sportler empfangen und in seinen Reden angesprochen, etwa im März 2018 die russischen Olympiasieger im Eishockey. Oft wird der Sport dabei als Instrument im „Kampf der Zivilisationen“ gedeutet, zur „Stärkung des Vaterlandes“. In Brasilien hatte die katholische Bischofskonferenz die Vorbereitungen auf die WM 2014 mit kritischen Kampagnen begleitet, auch gegenüber der Politik. Und in Russland? Für die Verjüngung ihrer Zielgruppen hat die Kirche 2015 ein Komitee für Sport eingerichtet. An der Basis werden Jugendhilfe und Drogenprävention mit Bewegungsangeboten bereichert. Aber aus Menschenrechtsfragen halten sich die Gläubigen heraus, sagt Regina Elsner: „Die Kirche ist inzwischen so eng mit der Politik verbandelt, dass sie eben doch etwas zu befürchten hätte. Vor zehn oder zwanzig Jahren wäre das anders gewesen.“
DFB unterstützt Zivilgesellschaft
Es ist ein komplexes Spannungsfeld, dem sich auch der DFB lange aussetzen musste. Die Ausgangslage einige Jahre vor dem WM war folgende: Halten sich die deutschen Funktionäre in Russland zurück, wird ihnen das als Anbiederei gegenüber Putin ausgelegt. Äußern sie scharfe Kritik, fühlen sich russische Eliten provoziert und laden ihren Ärger auf den Aktivisten ab. Wie politisch darf, wie politisch sollte der DFB handeln? Diese alte Frage wurde neu aufgelegt. Und der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel antwortete in der Regel so: „Wir möchten zivilgesellschaftliche Brücken bauen, ohne mit erhobenem Zeigefinger aufzutreten.“
Innerhalb des DFB wurden frühzeitig Projektpläne in Russland diskutiert. Während des Konföderationen-Pokals 2017 traf sich der DFB in Moskau mit Vertretern aus Stiftungen und NGOs. Grindel hielt eine Rede beim „Petersburger Dialog“, einem Forum, das seit 2001 die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands pflegt. Der ehemalige Journalist und Bundestagsabgeordnete Grindel beschrieb Anekdoten der deutsch-russischen Fußballgeschichte, etwa das erste Spiel der DFB-Auswahl 1955 in Moskau. Wenige Wochen nach dem sowjetischen 3:2-Sieg setzte Bundeskanzler Konrad Adenauer die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen durch. Einige von ihnen berichteten später, dass die Radioreportage des Länderspiels ein wichtiges Hoffnungssignal für sie gewesen war. Die Sowjetunion und die Bundesrepublik nahmen bald diplomatische Beziehungen auf.
Reinhard Grindel sprach beim „Petersburger Dialog“ auch über Fangewalt, Doping, Diskriminierung. Unterstützt wurde er von Thomas Hitzlsperger, der als DFB-Botschafter für Vielfalt seinen Lebensweg schilderte. Sowohl Menschenrechtler aus Deutschland als auch regierungsnahe Vertreter Moskaus fanden ihren Ton angemessen. Das gilt schon als Erfolg, weil es die reale Außenpolitik der Regierungen zumindest nicht erschwert.
Vor allem Frank-Walter Steinmeier war als deutscher Außenminister auf seinen Reisen immer wieder von Künstlern, Musikern und Sportlern begleitet worden. Ein Begriff, der sich für diese Kulturpolitik etabliert hat: Soft Power. Der DFB war im WM-Jahr 2018 verstärkt in Russland aktiv. Weniger durch direkte Spendenübergaben wie bei der WM 2014 in Brasilien, sondern durch einen Wissensaustausch, etwa bei einem Fantreffen in Moskau, einem Juniorenspiel in Wolgograd und einer Kranzniederlegung für die Opfer des Zweiten Weltkrieges in Sotschi.
Überdies entwickelte das Goethe-Institut mit dem Fußballmuseum in Dortmund eine Ausstellung für Schulen. Auch durch viele der hundert Partnerschaften zwischen deutschen und russischen Städten öffneten sich Kanäle der Verständigung – was auf der obersten politischen Ebene zurzeit schwer möglich ist. Der deutsch-russische Fanaustausch wurde im November 2018 im Rahmen eines Freundschaftsspieles in Leipzig fortgesetzt. Ob er auch nach dem Rücktritt Reinhard Grindels langfristig Bestand haben wird, ist ungewiss.
Der russische Verband ist kaum erreichbar
Eine WM kann eine Gesellschaft nicht grundlegend verändern, das haben die Franzosen nach 1998 erfahren, die Deutschen nach 2006, die Südafrikaner nach 2010. Aber eine WM kann trotz hoher Kosten und Umweltschäden auch positive Entwicklungen in Gang setzen. Alexander Agapov merkt das an den letzten Tagen der WM. Für die große Abschlusskonferenz des LGBT-Sportverbandes haben ihm mehrere Hotels als Austragungsort abgesagt, angeblich wegen Überbuchung, Filmverbot und defekter Klimaanlage. Die Veranstaltung tindet dann im Goethe-Institut am Rande von Moskau statt, an einem Sonntag, wenn keine Sprachschüler vor Ort sind. Russische Polizisten lassen sich hier nicht blicken.
Einer der Diskutanten ist Federico Addiechi, bei der FIFA verantwortlich für das Themenfeld Nachhaltigkeit und Diversität. Auf dem Podium lobt der Argentinier das Engagement von Agapov: „Wir können in Russland nur den bestmöglichen Fußball haben, wenn es auch ein vielfältiger Fußball ist. Dabei darf die LGBT-Bewegung nicht außen vor bleiben.“ Der russische Fußballverband hat niemanden zur Konferenz geschickt. Auf seiner Internetseite lassen sich auch ein Jahr nach der WM kaum Informationen über Antidiskriminierung Anden. „Der russische Verband reagiert auf unsere Anfragen nicht“, sagt Agapov. „Nur bei Konferenzen im Ausland, in London oder Zürich, können uns die Mitarbeiter nicht aus dem Weg gehen.“
Nach Angaben von Lewada kennen nur zwölf Prozent der russischen Bevölkerung Schwule oder Lesben persönlich, 35 Prozent halten Homosexualität für eine Krankheit. Alexander Agapov hofft, dass viele Gäste auch nach der WM Russland besuchen werden – und sie seine Heimat nicht auf Putin reduzieren. Das Interesse der vergangenen Jahre hat die Aktivisten motiviert und ihnen bei der Vernetzung geholfen. Doch bis heute hat sich keine Spendenkultur für die Zivilgesellschaft herausgebildet. Irgendwann möchte Agapov für den LGBT-Sportverband eine eigene Geschäftsstelle haben, auch wenn er wohl kein Namensschild über die Tür hängen kann.
„Die russische Gesellschaft ist stark individualisiert“, sagt Agapov. „Viele