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wurde auch jetzt allmählich befangen, während sie mit ihm sprach. Ihr Redefluss, der sich bisher um Bälle, Basare und Routs gedreht hatte, stockte. Endlich legte sie die Hände im Schoss zusammen, sah Wend an und forschte unsicher: „Was haben Sie denn heute, Herr von Brake?“

      „Wieso, Fräulein Mielke?“

      „Sind Sie etwa krank?“

      „Ich bin nie krank!“

      „Sie sind aber so verändert ...“

      „Ich wüsste nicht, wie ...“

      „Doch! ... So ... so furchtbar bleich sehen Sie aus ... förmlich verwildert ...“

      Er lächelte bitter und schwieg.

      Sie beharrte: „Es ist so etwas Irres an Ihnen!“

      „Ich bin auch an allem irre, Fräulein Mielke!“

      Es war eine Weile still. Das kleine spillerige Fräulein von Malchow schaute bedrückt in dem Salon umher. Dann meinte sie unsicher: „Wissen Sie, eigentlich fürchte ich mich heute vor Ihnen ...“

      „Vor mir?“

      „Ja ... ich wollte förmlich, Mama käme zurück ...“

      Das war nicht ihr sonstiges Getue — ihre oberflächliche Koketterie mit einem Dutzend Leutnants um sie her. Sie schüttelte den Kopf.

      „Ich bin froh, dass ich Ihnen nie Gelegenheit gegeben habe, auf mich böse zu sein. Sonst möchte ich Ihnen jetzt nicht begegnen — wenigstens nicht unter vier Augen ...“

      „Ach, du lieber Gott ... wir sind ja so zahm!“ Er stand brüsk auf, stiess seinen Stuhl zurück und ging im Zimmer auf und nieder. „Man ist ja so geduckt von Jugend auf ... man hat keinen eigenen Willen und keine eigene Meinung mehr ... man ist ja bloss ein anständiger Mensch, und das zu sein, ist ’ne Fessel ... glauben Sie mir ...“

      „Ich verstehe Sie wirklich nicht!“ sagte das Fräulein von Malchow bang.

      „Seien Sie froh, dass Sie mich nicht verstehen! ... Ah ... Guten Abend, Malte!“

      Der lange Pommer trat ein, eine dicke Aktenmappe, das Zeichen der Schreibstubensklaverei, unter dem Arm, und begrüsste den Freund, und der fuhr fort: „Hab’ keine Angst! ... Ich bleib’ dir nicht die ganzen vierzehn Tage, die ich Urlaub habe, hier auf dem Hals ... ich nehme nachher ein Zimmerchen in der Nähe ... im Hotel ... überhaupt ... ich hab’ furchtbar viel zu tun. ... Komm mal mit in dein Zimmer! Ich muss dir was erzählen!“

      Je länger er zuhörte, desto mehr verdüsterte sich das sommersprossige, knochig gutmütige Gesicht des Pommern. Er zerbiss seinen Zigarrenstummel zwischen den Zähnen und warf ihn mit einer zornigen Bewegung fort. Wend war zu Ende. Er verschränkte die Hände im Nacken, legte den Kopf zurück und sah zur Decke hinauf. In seinen dunklen Augen war etwas wie ein starrer, glänzender Punkt, der sich nicht bewegte und sich nicht veränderte.

      „Ich weiss mir keinen Rat mehr, Malte!“ murmelte er. „Einfach keinen Rat ...“

      „Was sagt denn deine Braut zu dem Unheil?“

      „Ich weiss nicht!“

      „Du warst noch gar nicht bei ihr?“

      „Sie ahnt noch nicht, dass ich in Berlin bin! Ich kann nicht wieder so mit leeren Händen vor sie hintreten! ... Ich mach’ das Mädel und ihre ganze Familie unglücklich, und ... Herrgott ... ich bin doch ein Mann ... ich müsste mir doch zu helfen wissen ...“

      Der junge Offizier hatte sich in einer plötzlichen jähen Erregung vor seinen Freund hingestellt.

      „Aber man kommt zu nichts!“ sagte er in einer verbissenen Wut, die weisslich über sein Antlitz wetterleuchtete. „Man zappelt und zappelt sich zu Tode und meinen Bruder Diether amüsiert das höchlich. Je mehr Leute um ihn herum zappeln, desto lieber ist es ihm! Meine Schwägerin sitzt nun auch wieder draussen mit den Kindern und rührt sich nicht mehr von Seddelin fort. Wozu ist er nur auf der Welt! ... In seiner Hand liegt das ganze Schicksal unseres Geschlechts, und jeder Segen verwandelt sich bei ihm zum Fluch, und das bisschen, was man vom Leben haben könnte, wird einem zum Unglück! Das ist doch alles so blind, so blödsinnig. ... Warum ist denn das eigentlich so eingerichtet ... he?“

      „Das musst du unsern lieben Herrgott fragen! Der ist der einzige, der es weiss!“ erwiderte der Pommer finster und zündete sich eine neue Zigarre an.

      „Warum duldet er denn das aber?“ schrie der Leutnant von Brake. Allmählich verliess ihn völlig die Fassung. Er rüttelte den Kameraden, dessen Phlegma ihn erbitterte, an der Schulter: „Sitz nicht so stumpfsinnig da! Werd auch mal wütend ... nicht mir zuliebe — sondern darüber, dass überhaupt so etwas auf der Welt erlaubt ist! Wozu sind wir denn fromm und marschieren jeden Sonntag, den Gott gibt, mit der Mannschaft in die Kirche? Und wozu haben wir denn Gewissen und Ehre im Leib und rings um uns herum tausend Warnungstafeln, was man alles tun darf und nicht tun darf, wenn schliesslich jeder Schuft im Leben recht behält und einen auch noch dazu auslacht? Da kommt man sich ja einfach dumm vor! ... Mehr wie dumm! ... Feige!“

      Der junge Offizier war bleich wie der Tod und masslos erregt.

      „Einfach feige!“ knirschte er. „Da sind überall Paragraphen ... die zwingen einen ... da kann man sich nun nicht rühren! Da sinkt man einfach so still auf den Grund, als hätt’ man einen Mühlstein um den Hals! ... Kümmert keinen! ... Ein ordentlicher Offizier weniger! Lieber Gott, es gibt ja so viele Tausende! Wenn nur Herr Diether von Brake weiterlebt! Das ist die Hauptsache!“

      Er ballte die Fäuste und stürmte im Zimmer auf und ab. Sein Freund folgte ihm mit besorgten Blicken. Die Brakes galten für eine wilde Familie. Schon seit Jahrhunderten. Es hatte ewig blutige Köpfe auf Seddelin gegeben. Wends Vater, der ernste, nüchterne Landjunker, war eine Ausnahme gewesen. Und es schien dem Pommer, dass dessen beide sonst so voneinander verschiedenen Söhne, Wend und Diether — sich in diesem Augenblick des Jähzorns ähnelten, von gleichem Blute seien. Er meinte beschwichtigend: „Kerlchen ... das ist ja alles ganz schön und gut, aber was kannst du machen? Wir leben doch nun mal nicht unter den Wilden, sondern im zwanzigsten Jahrhundert!“

      „Ich wollte, ich lebte zu einer andern Zeit, wo man noch tun durfte, was man wollte ...“

      „Na ... und dann?“

      „Dann würde ich hingehen und Diether totschlagen!“

      „Was?“

      Der lange Pommer fuhr entsetzt aus seinem Lehnstuhl auf.

      Wend wiederholte kaltblütig und trotzig: „Warum denn nicht, wenn jemand so wie er zwischen mir und dem steht, was ich vom Leben haben muss? Ich meine nicht sein Geld und Gut — das gönn’ ich ihm neidlos — sondern das arme bisschen Glück ... das sollen sie mir nicht zertreten! Sonst kenn’ ich mich nicht mehr aus. Sonst räche ich mich ... aber gründlich ...“

      „Wend ... um Himmels willen ... bedenke doch, was du sprichst ...“

      Der Leutnant von Brake war sonderbar ruhig geworden. Er wiederholte zwischen den Zähnen: „Ja, das tät’ ich! Es wäre einfach mein Recht!“

      „Nun höre aber gefälligst auf. ... Mit so was spielt man doch nicht!“

      „Es ist auch mein Ernst! Es ist heute mittag über mich gekommen ... gleich nachdem dieser kleine Esel, Helles Bruder, mit seiner Unglücksbotschaft bei mir gewesen war. Da hatt’ ich so ein Gefühl: Nun geht’s los! Nun kannst du nicht mehr wie du willst ... nun musst du ...“

      „Aber doch nicht in solche Gedanken hinein ... Wend ... bester Mensch ... komm doch zu dir ... setz dich mal dahin ... werde doch vernünftig ...“

      Der junge Offizier war stehen geblieben und schüttelte den Kopf.

      „Nimm mal an: Ich treffe ihn hier durch Zufall meinetwegen ... kurz ... ich steh’ plötzlich vor ihm ... und hab’ nur die Wahl: Entweder ich leide mein Leben lang unter ihm ... ich verlier’ den Glauben an Gott und die Menschen ... ich

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