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Entzückens überkommt sie.

      Nun gehört er auch ihr, der schöne, bildschöne Mann, nun muss ihn Nora mit ihr teilen ... wenigstens in effigie ...

      Sie verbirgt ihren Raub auf das sorgsamste und schläft ein.

      Wüste, beängstigende Träume quälen sie, vor einem Abgrund steht sie — am jenseitigen Ufer Raoul. Sie breitet die Arme nach ihm aus und ruft ungestüm seinen Namen, er lächelt und bietet ihr die Fingerspitzen dar.

      Sie will sie erhaschen — um jeden Preis — und sie springt blindlings über die Tiefe hinweg. Die Felsen aber weichen zu beiden Seiten zurück — sie kann nicht Fuss fassen und sinkt in die Tiefe ... Eiseskälte durchschauert sie — ihr Herzschlag stockt — dunkel wie ein Grab wird es um sie her — —

      „Nora! Nora!“ schreit sie gellend auf. —

      Zwei Arme umfassen sie liebevoll rettend wie die eines Engels.

      Sie erwacht.

      Nora neigt sich über sie und streicht ihr zärtlich mit der kühlen, weichen Hand über die schweissbedeckte Stirn.

      „Kind — du träumst ja gar zu ängstlich! Komm, ermuntere dich, — es ist so wie so schon die höchste Zeit, wir haben es beide tüchtig verschlafen!“

      Welch eine Hast und Unruhe.

      Nora muss sich in fliegender Eile ankleiden, frühstücken, sich verabschieden.

      Die ganze Pension giebt ihr das Geleit zum Bahnhof.

      Arm in Arm schreitet sie mit Otty, und wenn sie in das blasse Gesichtchen sieht, das sichtlich vermeidet, die Augen zu ihr aufzuschlagen, so überkommt sie tiefste Rührung und Mitleid. Wie schwer, wie unendlich schwer fällt dem armen Kind der Abschied!

      Der letzte Kuss — die letzte Umarmung, — da hebt Otty plötzlich das Köpfchen und blickt der Freundin mit seltsam flehendem, beinahe zwingendem Blick in das Antlitz.

      „Ich besuche dich, Nora — ich muss dich besuchen! Ich sterbe vor Sehnsucht!“ stösst sie hervor.

      „Ei, du liebes Närrchen, das ist doch selbstververständlich!“ lächelt Fräulein von Rastatt: „Das haben wir doch längst ausgemacht! Du meintest nur, vor dem Herbst werde es dir nicht recht möglich sein — —“

      „Doch! Doch!“ nickt Otty aufgeregt, „ich komme schon bald — sehr bald —! Schreib mir nur alles, sehr, sehr ausführlich ...“

      „Bitte einsteigen! einsteigen!“ klingt die Stimme des Schaffners neben ihnen, die Pensionsmutter schliesst ihren Zögling noch einmal in die Arme — man trennt sich.

      Einsilbig und voll düsterer Träumerei — oder ganz unmotiviert ausgelassen und übermütig ist Otty Florenzius.

      Man nennt es Heimweh nach Nora und beklagt sie im stillen.

      Schon der zweitfolgende Tag bringt ihr einen Brief von der Freundin.

      Nora schreibt ganz unglücklich und verzweifelt. In dem Reisetrubel hat sie Brief und Bild verloren. „Hat es sich vielleicht in unserm Zimmer gefunden? Ach, Otty, ich weine mir die Augen danach aus, es kommt mir vor wie ein böses, trauriges Omen ...“

      Nein, weder Bild noch Brief hatte sich gefunden! Otty schrieb in sehr überschwenglichen Worten ihr Bedauern darüber. „Und sollte es ein böses Omen sein, mein Liebling, — so nimm es dir ja nicht zu Herzen! Du weisst, dass Ehen im Himmel (oder in der Hölle!!) geschlossen werden, und manch aufgelöste Verlobung hat sich schon als grosses Glück erwiesen!“ —

      Nora antwortete bald. „Dass du kleine Schmetterlingsseele dich bald über eine gelöste Verlobung trösten würdest, glaube ich wohl! Du weisst aber, wie verschieden wir beanlagt sind. Raouls Liebe verlieren bedeutet für mich den moralischen Tod. — Mein Leben würde von solchem Augenblick an ausgelebt sein, denn ohne ihn kein Glück! — Gott sei Lob und Dank brauche ich solch ein namenloses Unglück aber wohl nicht zu befürchten. Eben meldet sich Raoul an. In acht Tagen ist er bei uns. Ich habe ihn gebeten, erst das Bild seiner Ingeborg zu vollenden und dann von meinen Eltern das Jawort zu erbitten, — sehen sie, welch ein Künstler er ist, entschliessen sie sich wohl eher, denn noch trägt Vater mancherlei Bedenken, da weder Raoul noch ich über grosse Mittel verfügen ...“

      Ottys hübsches, pikantes Gesichtchen mit den unruhig flackernden Augen hatte sich zuerst verdüstert, bei den letzten Zeilen aber blitzte es wie eitel Genugthuung darüber hin.

      „In acht Tagen! Vortrefflich, dass der Doktor sich plötzlich so besorgt wegen meiner Lunge zeigt, sie wird den Vorwand abgeben, dass ich Luftveränderung brauche und reisen kann.“ Ja, Otty hustete mehr denn je und die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich. Das stand ihr vortrefflich, und die grossen, glänzenden Augen waren fesselnder und eigenartiger als zuvor.

      Ja, Luftveränderung!

      Der Arzt und die Pensionsmutter konferierten längere Zeit und sahen beide recht besorgt aus. „Die Mutter ist auch an der Schwindsucht gestorben, es liegt in der Familie! Man muss sofort etwas dafür thun.“

      Otty hatte an ihren Vater geschrieben, und der sehr ängstliche alte Herr wünschte die sofortige Heimkehr der Tochter, um mit ihr in ein heilsames Bad abreisen zu können.

      Das junge Mädchen nickte sehr befriedigt vor sich hin und packte voll stürmischen Eifers die Koffer. Zuvor aber machte sie die weitgehendsten Einkäufe, Toiletten, Hüte, Mäntel und Matinees, alles so elegant und kostbar wie möglich.

      „Ich reise ja zuvor zu Nora Rastatt, — da muss ich doch anständig aussehen, sonst hält man mich für ein armes Aschenbrödel!“ sagte sie mit wunderlichem Blick.

      Und sie reiste zu Nora ab.

      Welch ein Jubel des Wiedersehens!

      Fräulein von Rastatt war von derselben ruhigen, tiefinnigen Herzlichkeit wie stets, ihr schönes Antlitz war verklärt von einem Hauch stillen Glückes, das machte sie älter und gereifter aussehend noch als früher.

      Ottys überschwengliche Zärtlichkeit wirkte beinahe etwas unnatürlich.

      Es hatte den Anschein, als suche sie gewaltsam mit schönen Worten über ein gewisses Etwas hinweg zu täuschen, was sich entfremdend zwischen sie und die Freundin geschoben. In dem Hause des pensionierten Oberstleutnants ging es schlicht und still zu, und so war es plötzlich, als sei mit dem eleganten kleinen Fräulein Otty ein ganz neuer Hauch unter das Dach geweht.

      Welch ein Unterschied zwischen den beiden jungen Mädchen!

      Nora, die stets thätige, wirtschaftliche, schritt in ihren schmucklosen Hauskleidern und praktischen Schürzen wie die verkörperte Prosa neben der Freundin her, welche in weissgestickten Kleidern, spitzenbesetzt und von farbigen Schleifen umflattert, wie ein reizendes Sommerwölkchen durch Haus und Garten schwebte.

      Alles war Grazie, kecke, sprühende Laune an ihr, ihre zarte, wohl allzu zarte Gestalt stach sylphenhaft ab gegen die stolze, germanische Schönheit der kraftvoll blühenden Nora, die so gar nicht neben der pikanten Anmut des brünetten Sprühteufelchens zur Geltung kam.

      Jede Schönheit und Eigenart wirkt auf das Auge eines Künstlers, und Raoul, dessen Malerauge besonders empfänglich für neue und anmutige Motive war, erblickte voll ehrlichen Entzückens in Otty die Quelle manch eines neuen, anregenden Gedankens. Ihre geschmackvollen, eleganten Toiletten gefielen ihm, sie stachen für den Künstler so vorteilhaft ab gegen die graue Einfachheit der Geliebten, auch amüsierte ihn das lebhafte, amüsante Wesen Ottys, ihr schelmisches Kokettieren, ihre fieberische irrlichtartige Unruhe.

      Nora lag kein Gedanke ferner, als der der Eifersucht, und als Raoul den Wunsch aussprach, Otty skizzieren zu dürfen — er gebrauche noch lichte Geister für sein geplantes Gemälde „Im Reiche der Proserpina“, und die umschatteten, so übernatürlich glänzenden Augen des Fräulein Florenzius passten unbeschreiblich gut in die bläulich leuchtende Grotte des Orkus — da war es Nora selber, welche voll freudigen Eifers diese Idee aufgriff und den Vorschlag machte, während der „grossen Waschwoche“ sollten die Sitzungen

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