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allem, was geschehen ist, mir später irgend etwas sagt, – werde ich ihm dann etwas glauben können? Niemals. Nein, nun ist alles zu Ende, alles, was mir ein Trost, ein Lohn für alle meine Mühen und Leiden war. – Kannst du das glauben: ich habe soeben Grigori unterrichtet; früher war mir das eine Freude, jetzt ist es mir eine Qual. Wozu mühe ich mich ab und quäle mich? Was sollen mir die Kinder? Es ist entsetzlich, daß meine Seele auf einmal so umgewandelt ist und ich statt Liebe und Zärtlichkeit nur Haß gegen ihn empfinde, jawohl, Haß. Ich könnte ihn töten und . . . «

      »Dolly, liebste Dolly, ich kann dir das nachfühlen; aber martere dich nicht so! Du bist so erbittert und aufgeregt, daß du vieles in einem falschen Lichte siehst.«

      Dolly antwortete nicht, und einige Minuten lang schwiegen beide.

      »Was soll ich tun? Ersinne du etwas, Anna! Hilf mir! Ich habe alles hin und her erwogen und sehe keinen Ausweg.«

      Einen Rettungsweg vermochte auch Anna nicht zu ersinnen; aber jedes Wort, jede Miene ihrer Schwägerin griff ihr ans Herz.

      »Ich will dir nur eines sagen«, begann Anna, »ich bin seine Schwester und kenne seinen Charakter; ich weiß, daß er imstande ist, alles zu vergessen, alles« (sie machte eine Handbewegung vor ihrer Stirn), »daß er imstande ist, sich haltlos hinreißen zu lassen, daß er aber dann auch wieder dem Gefühle tiefster Reue zugänglich ist. Er kann es jetzt gar nicht verstehen und begreifen, wie er das überhaupt hat tun können, was er getan hat.«

      »Nein doch, er begreift es und hat es immer begriffen!« unterbrach Dolly sie. »Aber ich, – du vergißt mich ja ganz dabei, – ist mir denn leichter ums Herz?«

      »Höre doch nur! Als er mit mir sprach, da hatte ich – das will ich dir offen gestehen – noch kein rechtes Verständnis für die ganze Furchtbarkeit deiner Lage. Ich sah nur, wie es um ihn stand und daß euer Familienleben zerstört war, und er jammerte mich. Aber nachdem ich nun mit dir gesprochen habe, sehe ich als Frau doch noch etwas anderes; ich sehe deine Leiden, und ich kann dir gar nicht ausdrücken, wie sehr du mich dauerst! Aber, liebe Dolly, ich habe volles Verständnis für deine Leiden; nur eines weiß ich nicht: ich weiß nicht . . . ich weiß nicht, wieviel Liebe zu ihm noch in deiner Seele vorhanden ist. Das weißt nur du, – ob du ihn noch so weit liebst, daß du ihm verzeihen kannst. Wenn das der Fall ist, dann verzeih ihm!«

      »Nein . . . «, begann Dolly, aber Anna fiel ihr ins Wort, indem sie noch einmal ihre Hand küßte.

      »Ich kenne die Welt besser als du«, sagte sie. »Ich kenne solche Männer, wie Stiwa einer ist, und weiß, wie sie solche Dinge ansehen. Du sagst, er habe mit ihr über dich gesprochen. Das ist bestimmt nicht der Fall. Solche Männer lassen sich wohl eine Untreue zuschulden kommen, aber ihr häuslicher Herd und ihre Gattin, das ist doch für sie ein Heiligtum. Jene Frauenspersonen sind ihnen im Grunde doch immer verächtlich und können in die Familie keine Störung hineinbringen. Zwischen ihnen und der Familie ziehen die Männer sozusagen eine unüberschreitbare Grenzlinie. Ich begreife das nicht recht, aber es ist so.«

      »Ja, aber er hat sie doch geküßt!«

      »Liebste Dolly, hör zu! Ich habe Stiwa gesehen, als er in dich verliebt war. Ich erinnere mich jener Zeit, als er zu mir kam und ihm jedesmal die Tränen über die Backen flossen, wenn er von dir sprach; du warst in seinen Augen wie ein hehres Wunderwesen der Poesie. Und ich weiß, daß du immer höher in seiner Liebe und Achtung gestiegen bist, je länger er mit dir zusammen gelebt hat. Wir haben manchmal über ihn gelacht, weil er hinter jedem Worte hinzusetzte: ›Dolly ist eine bewundernswürdige Frau.‹ Du warst für ihn immer eine Gottheit und bist es geblieben, und sein Herz weiß nichts von dieser Verirrung.«

      »Aber wenn sich diese Verirrung wiederholt?«

      »Das ist unmöglich, soviel ich davon verstehe.«

      »Ja, aber würdest du ihm denn verzeihen?«

      »Das weiß ich nicht; ich kann es nicht beurteilen. – Oder doch, ich kann es beurteilen«, fuhr sie nach kurzem Überlegen fort, nachdem sie im Geiste gleichsam die ganze Lage zusammengefaßt und auf die Waage gelegt hatte, und sie fügte hinzu: »Ja, ich kann es beurteilen, ich kann es wirklich. Ja, ich würde ihm verzeihen. Ich wäre wohl nach dem Geschehenen nicht mehr dieselbe wie vorher, das mag sein; aber ich würde ihm verzeihen und würde ihm so verzeihen, als ob das nicht geschehen wäre, überhaupt nicht geschehen wäre.«

      »Ja, selbstverständlich«, fiel ihr Dolly hastig ins Wort, als ob jene nur ausspräche, was sie selbst sich schon oft gesagt habe. »Sonst wäre es ja keine Verzeihung. Wenn man einmal verzeihen will, dann muß man es auch völlig und ganz tun. Aber komm nun, ich möchte dich in dein Zimmer führen«, sagte sie, indem sie sich erhob, und umarmte Anna im Gehen. »Liebe Anna, wie freue ich mich, daß du gekommen bist! Mir ist jetzt leichter ums Herz, viel leichter.«

      20

      Diesen ganzen Tag blieb Anna zu Hause, das heißt bei Oblonskis, und empfing niemanden, obgleich mehrere ihrer Bekannten, die bereits von ihrer Anwesenheit gehört hatten, gleich an diesem Tage vorsprachen. Anna verbrachte den ganzen Vormittag mit Dolly und den Kindern zusammen. Nur ihrem Bruder schickte sie ein Briefchen, er möge unter allen Umständen zu Hause zu Mittag essen. »Komm! Gott ist barmherzig«, schrieb sie ihm.

      Oblonski speiste zu Hause; das Gespräch bei Tische war allgemein, auch seine Frau sprach mit ihm und nannte ihn dabei du, was sie vorher nicht getan hatte. In dem Verhältnisse des Gatten zur Gattin dauerte die bisherige Entfremdung fort, aber es war jetzt von keiner Trennung mehr die Rede, und Stepan Arkadjewitsch sah die Möglichkeit einer Aussprache und Versöhnung.

      Gleich nach dem Mittagessen kam Kitty. Sie kannte Anna Arkadjewna, aber nur wenig, und kam jetzt zu ihrer Schwester nicht ohne eine leise Bangigkeit, wie diese Petersburger Weltdame, von der alle des Rühmens voll waren, sie wohl aufnehmen werde. Aber sie gefiel Anna Arkadjewna, das merkte sie sofort. Anna war augenscheinlich entzückt von dem schönen jungen Mädchen, und ehe Kitty sich noch recht besinnen konnte, fühlte sie, daß sie nicht nur in Annas Bann geraten war, sondern sich auch in sie verliebt hatte, wie sich eben junge Mädchen in verheiratete Frauen, die etwas älter sind als sie, zu verlieben fähig sind. Anna machte gar nicht den Eindruck einer Weltdame oder der Mutter eines achtjährigen Sohnes, sondern ähnelte eher einem zwanzigjährigen Mädchen in der Biegsamkeit ihrer Bewegungen, in der Frische ihres Wesens und in der ein wenig zurückgehaltenen Lebhaftigkeit des Gesichtes, die bald in einem Lächeln, bald in einem Blicke zum Durchbruch kam, wenn nur nicht der ernste, bisweilen sogar traurige Ausdruck ihrer Augen gewesen wäre, der Kitty betroffen machte und dabei, doch anzog. Kitty fühlte, daß Anna sich vollkommen natürlich gab und nichts verbarg, daß aber in ihrer Seele eine Welt von höheren Gedanken ruhte, von ernsten, poetischen Gedanken, die ihr, dem jungen Mädchen, unfaßbar waren.

      Als Dolly sich nach dem Mittagessen in ihr Zimmer begeben hatte, stand Anna rasch auf und trat zu ihrem Bruder, der sich gerade eine Zigarre anzündete.

      »Stiwa«, sagte sie, indem sie ihm lustig zuzwinkerte, ihn bekreuzte und mit den Augen zur Tür wies, »geh, und Gott möge dir beistehen!«

      Er verstand sie, warf die Zigarre beiseite und verschwand hinter der Tür.

      Als Stepan Arkadjewitsch das Zimmer verlassen hatte, kehrte Anna zu dem Sofa zurück, auf dem sie gesessen hatte, von den Kindern umringt. Ob es nun daher kam, daß die Kinder sahen, wie sehr ihre Mama diese Tante liebte, oder daher, daß sie selbst an ihr ein besonderes Gefallen gefunden hatten: genug, die beiden älteren und, ihrem Beispiel folgend, auch die jüngeren hatten sich, wie man das bei Kindern nicht selten sieht, schon vor dem Mittagessen wie die Kletten an die neue Tante gehängt und waren keinen Augenblick von ihr gewichen. Ja, es hatte sich bei ihnen eine Art Spiel herausgebildet, das darin bestand, möglichst nahe neben der Tante zu sitzen, sie anzufassen, ihre kleine Hand zu halten und zu küssen oder wenigstens den Faltenbesatz ihres Kleides zu berühren.

      »Halt, halt! So, wie wir vorher gesessen haben!« sagte Anna Arkadjewna, indem sie sich wieder auf ihren Platz setzte.

      Grigori schob von neuem den Kopf unter ihren Arm, schmiegte

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