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es mußte jede schwierige Form vorgenommen und genauer untersucht werden, bevor er meine Ungeduld weiter eilen ließ. Daher mir trotz dem von den Brüdern bemängelten Laufschritt der Geist der Sprache recht wohl aufging, wenn ich auch natürlich in der Grammatik nicht sattelfest werden konnte wie sie. Aber ein wieviel größerer Lebensgewinn floß mir aus den karg bemessenen Studien zu, als ihnen die dauerhaftere Kenntnis der unregelmäßigen Verba und der sichere Gebrauch des Aorists gewähren konnte. Meine glückseligen Kindertage kamen mir noch einmal in verstärktem Glanze zurück. Da stand wieder das unsterbliche Roß des Achilleus, wie es die wallende Mähne trauernd durch das Joch senkt, während es dem Halbgott sein nahes Ende verkündigt. Und ich verstand jetzt klarer, was mich am Bilde dieses Helden von jeher so einzig gefesselt hatte: daß es keine höhere Verkörperung des Idealismus durch die Poesie gibt als ihn. Sämtliche Gestalten der Ilias sind nach dem Leben gebildet, von dem vielredenden Nestor bis zu dem rohen Draufgänger Diomedes, von Odysseus ganz zu schweigen, aus dem der griechische Mensch mit seinem geschichtlichen Charakter blickt. Achill allein ist nicht aus der Erfahrung, sondern aus der Seele geholt. In ihm sehen wir, wie das adligste aller Völker sich den adligsten aller Menschen dachte. (Die griechische Geschichte hat nur einen hervorgebracht, der an ihn erinnert: Alexander, in dem man mitunter die bewußte Angleichung zu spüren glaubt.) Als Sohn der zartesten Göttin verbindet der Heros das Feingefühl mit dem Dämonischen und erscheint durchweg auf das Gemütsleben gerichtet. Nicht die Taten des Achilleus will Homer singen, sondern seinen Zorn. Darum wird er nur gegen das Ende kämpfend eingeführt, während man die andern immer beim Totschlagen sieht. Indes jene würgen, sitzt er am Meer und spielt die Leier, aber es ist dafür gesorgt, daß wir nicht vergessen, wie ohne ihn nichts Rechtes geschehen kann. Jedes Lob der andern wird eingeschränkt durch den Zusatz „nach dem tadellosen Achilleus“, wie der König von jedem Zins den Löwenanteil empfängt; nur die Schlauheit wird ihm abgesprochen: sie gehört der niederen Menschheit, nicht ihrem Idealbilde an. Er allein von den Helden Homers ist über das Irdische erhaben und dadurch den Göttern ähnlich. Er bedarf der Nahrung nicht, wenn seine Seele in ihren Tiefen aufgestürmt ist, während Odysseus als der hochbegabte, aber innerlich gemeine Mensch keinen Augenblick des Leibes Notdurft vergißt. Alle die andern gieren als naive Naturmenschen nach Gewinn, der Sohn der Thetis schätzt Beute und Sühnegeschenke nur um der Ehre willen und nimmt auch hierin das spätere Ritterideal voraus. So erscheint auch seine ganze Umgebung durch ihn veredelt, indem sie sich ihm angleicht, und sie wirft ihren Adel auf ihn zurück. Patroklos vor allen, „so sanftgesinnt und so tapfer“, ist wie die schwächere Verdoppelung eines Regenbogens, ihm in allem ähnlich, aber weniger als er. Für ihn allein geschehen Wunder: von seinem unbeschützten Haupt lodert die Feuerflamme Athenes, das unsterbliche Roß gewinnt Sprache, der kunstfertige Gott schmiedet ihm die Waffen im Schweiße seines Angesichts. Aber all diese Vorrechte genießt er nur, weil er das Leben, das ihm so hold ist, wegwirft, um seinem Herzen zu genügen.

      Wie weise der Dichter ihn vom Kampfe aufspart bis zuletzt; der Held wäre gemein, wenn er jetzt nicht, um den Freund zu rächen, über alle Schranken ginge, daß seine Taten mit denen der anderen in gar keinen Vergleich mehr gebracht werden können. Sein Kampf mit dem Stromgott ist ein Stück antiker Romantik inmitten der Sachlichkeit Homers. Der tobende Ausbruch des Helden muß seine nachfolgende schöne Menschlichkeit dem Gemüte desto lebendiger machen, während er doch auch in seinen weichsten Augenblicken noch der Gefährliche bleibt und selber vor dem Dämon, der ihn fortreißen könnte, warnt. Wie er mit dem alten Priamos im Zelte sitzt und die zwei Todfeinde über den Jammer des Kriegs, dessen Opfer sie beide sind und dem sie bei aller Macht keinen Einhalt zu tun vermögen, zusammen weinen, das ist vielleicht das Größte, was der Dichtung jemals gelang.

      Auch die homerische Landschaft, die so wunderbar an das Raumgefühl spricht, wirkte mächtig auf die Einbildung. Die Skamanderebene mit den gemauerten Gruben für die troischen Wäscherinnen, wie ich deren später in südlichen Landen viele sehen sollte, und dem ehrwürdigen Male des Ilos, das in eine graue Zeitenferne zurückweist und dadurch die dargestellte Gegenwart so jung und so lebendig macht, das nahe Rauschen der Meerflut, aus der die Thetis steigt, die geheimnisvolle südliche Nacht, die bei dem Schleichgang des Dolon um die Griechenzelte webt: dies alles wurde zur persönlichen Nähe und weckte ein unauslöschliches Verlangen nach dem Boden, aus dem jene ewigen Gesänge gestiegen sind. Damals gaben Lehrer und Schülerin sich das Wort, wenn einmal beide es im Leben zu etwas gebracht hätten, zusammen Griechenland und die Inseln zu bereisen. Ein Menschenleben mußte vergehen, bevor das Gelübde erfüllt werden konnte. Als ich endlich dahin kam, hielt der griechische Boden noch mehr, als er versprochen hatte, und war zugleich so vertraut, als ob man eine lange vermißte Heimat wiederfände: aus Landschaft und Kunst blickte mich wie durch einen verschönernden Spiegel die deutsche Seele mit an. Vor den noch erhaltenen Werken der großen Zeit ging mir ganz plötzlich das Geheimnis der Griechenkunst auf: daß sie nicht um der Kunst willen da war, sondern um der Religion und dem Vaterlande zu dienen und das Band der Einheit fester zu schlingen. Der griechische Boden predigt mit tausend Zungen, daß kein Mensch sich geistig außerhalb des eigenen Volkstums stellen kann. Und die Hellenen, die mir so oft Lehrmeister gewesen waren, lehrten mich auch, nach einem im Ausland verbrachten Leben wieder Deutsche zu werden.

      Um die Weihnachtszeit verließ uns Ernst, um nach Rußland zu gehen.

      Das Griechische wurde danach noch eine Zeitlang unter anderer Leitung, aber mehr im philologischen Sinne fortgesetzt, wobei die Poesie hinter der Grammatik zurücktrat. Dagegen gaben Edgar und ich uns das Wort, inskünftige, solange wir noch beisammen wären, jedes Jahr die Antigone gemeinsam in der Ursprache zu lesen, wozu es jedoch nur einmal und bruchstückweise kommen sollte. Mir aber waren und blieben die Griechen mehr als bloße Wegweiser des Schönen; diese herrlich strengen, jeder Willkür abholden Lehrmeister wurden mir auch Erzieher fürs Leben. Sie bildeten mein seelisches Rückgrat, denn in der unbegrenzten Freiheit, in der ich mir selber Maß und Gesetz suchen mußte, wäre ich vielleicht ohne sie zerflattert. Sie warnten mich auch, den Fuß nicht allzu fest auf die Erde zu setzen und das Auge nie vor den schaurigen Abgründen zu verschließen, an denen die Blumen des Lebens blühen.

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