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das Paketchen öffnete und ihm die Preisliste und die Bauzeichnung der Firma Heinrich Nidders auf den Tisch legte, klärte er den Irrtum auf. Nun lachten sie beide. Noch einmal stellte er sich vor: „Nidders.“

      „Von Nidders?“ fragte sie.

      „Nein, Fritz. Aber von E. F. W. Nidders.“

      „Um Gottes willen!“ Sie setzte sich. „Persönlich?“ Sogleich stand sie wieder auf und rückte ihm Onkels Lehnstuhl zurecht. „Bitte, nehmen Sie doch Platz! Da kommen Sie ja weither. Von der anderen Seite Berlins.“

      „Ich habe den Weg nicht zu Fuss zurückgelegt. Aber wenn ich Sie einen Augenblick stören darf —?“

      „Onkel sagt: Der Fleissige hat immer Zeit. Und das ist doch ein Ereignis. E. F. W. Nidders gilt hier im Hause wie der liebe Gott oder wie Borsig, Krupp, der Finanzminister und der Kaiser zusammen.“

      „Sie überschätzen unbedingt den Machtbereich unseres Seniorchefs, mein Fräulein —“

      „Fränze Daus heisse ich. Onkel Bottschaus Frau war eine Nidders — aber eine ganz, ganz kleinwinzige.“ Sie bezeichnete mit zwei Fingern ein Haselnussformat.

      „So ähnlich ist auch mein Höhenmass dem grossen Fabrikschornstein von E. F. W. gegenüber. Ich habe den Namen Nidders, aber im Hause Nidders nur ein ganz bescheidenes Amt. Also den Ehrenplatz Ihres Herrn Onkels kann ich da kaum beanspruchen.“

      „Furchtbar drollig sind Sie, Herr Nidders! Schade, dass Onkel Julius Sie nicht kennenlernt! Ist das Ihr Wägelchen da draussen? Wenn Sie noch zehn Minuten auf Köpenick zu weiterfahren, sehen Sie ihn auf seiner Rosenplantage. Können Sie das Siegfriedmotiv pfeifen?“

      „Leider nicht so vollendet wie Sie. Und jetzt spreche ich auch lieber mit Ihnen.“

      „Gewiss sage ich wieder hundert Dummheiten. Ja, kleines Ehrenwort, das ist eine meiner ausgeprägtesten Eigenschaften. Meist, weil es die verblüffende Wahrheit ist, was ich sage. Und die meisten Menschen können sie nicht recht vertragen. Da wird einem dann manches als Tücke und Bosheit oder Unverstand ausgelegt.“

      „Haben Sie keine Bange, Fräulein Daus! Ich glaube, ich verstehe Sie sehr gut. Ich bin nämlich ähnlich veranlagt.“

      „Undenkbar. Sie sind doch gar kein Berliner?“

      „Mein Vater war es. Aber er war so leichtsinnig, sich in München zu verlieben und dort zu heiraten. Im Krieg ist er gefallen, und ich bin im Mai Anno einundsiebzig nachgeboren. Mutter hatte eine kleine Schankwirtschaft aufgemacht. Ich soll da schon als Fünfjähriger in der Kneipe den Fuhrknechten fabelhafte Vorstellungen gegeben haben: Die liessen mich nämlich Bier trinken und ihre Lieder singen. Bis sich E. F. W. erbarmte und den kleinen Taugenichts ins Internat schickte.“

      Ein Schatten war über ihr Gesicht gehuscht. Sie senkte den Blick. „Mir war die Mutter gestorben, als ich so eine kleine Krabbe von fünf Jahren war. Aus dem Krieg war Vater als Vizewachtmeister heimgekommen. Bereiter war er dann auf der Westender Rennbahn. Da bin ich wohl auch so zwischen den Stalleuten, den Pferden und den Bierseideln aufgewachsen, bis ich fürs bürgerliche Leben eingefangen worden bin.“

      Eine kleine Pause war eingetreten. Sie wunderten sich beide über die Offenheit, genierten sich nun wohl auch, das Gespräch wieder aufzunehmen.

      „Und was für ein Millionengeschäft schlägt nun der grosse E. F. W. meinem guten Onkel vor?“ fragte Fränze, plötzlich wieder einen lustigen Ton anschlagend.

      „Es handelt sich um den Garantiefonds. Alle Nidders sollen erfasst werden. Aber die kleinste Zeichnung ist bis jetzt dreissigtausend.“

      Sie sah ihn zuerst hilflos entwaffnet an, dann begann sie sogleich ein drolliges Spiel: als wenn sie etwa Frau Jenny Nidders wäre oder sonst so eine Brillantenfunkelnde mit Reiherstutz und Straussenfederfächer. „Mit solchen Lappalien geben wir uns hier an der Köpenicker Landstrasse gar nicht ab!“ Lebhaft klappte sie mit der Hand auf den Tisch. „Aber im Ernst, Herr Nidders: Wäre meinem Onkel denn zu raten, auch mit auszustellen?“

      „Eine Gartenbauausstellung wird dabei sicher zustande kommen. Es ist jetzt nur noch in der Schwebe: Hie Witzleben — hie Treptow.“

      „Wenn Onkel alles zusammenkratzt, was er auf der Sparkasse hat, dann sind es viertausendfünfhundert. Schwerverdient, Herr Nidders. Davon kann er auch nur einen Teil anlegen. Kommt für Sie also gar nicht in Frage. Aber ich denke mir, dass es ihm und der ganzen deutschen Rosenzucht mächtig vorwärtshelfen könnte, wenn er auf der Ausstellung seine neue Kreuzung zeigte. Etwas abenteuerlich Schönes ist es. Verstehen Sie etwas von Rosen?“

      „Gar nichts. Ich liebe sie nur. Wie wohl jeder Mensch auf der Welt.“

      „Gegenwärtig wird ein grosser Kampf unter den Gärtnern gekämpft. Nicht nur in der Binderei. Auch in der Zucht. Wir jungen Gärtner haben nämlich den Drahtbuketten den Krieg erklärt. Sehen Sie: Wenn Sie in einen Blumenladen kommen und einen Strauss kaufen wollen, dann drückt man Ihnen ein Viertelpfund Drähte in die Hand, an denen zerfledderte Blumen aufgespiesst sind. Das Ganze steckt in einer grässlich steifen Papiermanschette. So war’s schon zu Grossvaters Zeit, sagt Onkel. Hat es Ihnen je gefallen?“

      „Offen gestanden: Ich habe nie darüber nachgedacht. In meinem Leben hatt’ ich kaum je einmal Veranlassung, in einen Blumenladen einzutreten.“

      „Mein Gott: Haben Sie denn keine Tanzstunde mitgemacht? Keinen Tanzstundenschwarm gehabt? Nie, nie, niemals haben Sie für ein nettes junges Mädel zum Geburtstag ein paar Blumen eingekauft?“

      Er sann nach. „Zum Kotillon in Darmstadt. Ja. Aber da gab es das alles in der Hotelhalle. An die grossen Sträusse wagte ich mich nicht heran, denn mein Tanzstundenschwarm war ein zierliches junges Ding, ich glaube, eben sechzehn, und weil sie Viola hiess, liess ich mir den hübschen kleinen Veilchenstrauss für sie geben. Der steckte in einer runden, glänzenden Rokokomanschette mit Tuffs und Schleifchen. Fräulein Viola fand das Bukettchen süss. Aber ich glaube — jetzt werden Sie mich gleich mit einem einzigen Blick vernichten, Fräulein Daus — ich glaube, es waren künstliche Veilchen, und sie waren parfümiert.“

      „Das ist doch eigentlich furchtbar traurig, Herr Nidders, nicht? Sie können ja gar nichts dafür. Bloss die Binderei hat geschlafen. Sie schläft zum Teil heute noch. Wir sollten einer schönen Frau doch lieber ein paar ausgewählt schöne Rosen oder Nelken mit langen Stielen in die Hand geben als ein Viertelpfund Draht?“

      „Sicher. Sicher. Man muss die Menschen nur darüber Nachdenken lassen.“

      „Ja, man muss es ihnen vor Augen führen, sehen Sie, und die ganze Blumenzucht muss darauf vorbereitet werden. Wenigstens soweit die Schnittblumen in Betracht kommen. Ach nein, fast die gesamte Handelsgärtnerei. Onkel Bottschau hat jetzt die neue, herrliche, zweifarbige Rose. Ach, ich sollte es eigentlich noch gar nicht verraten! Da sitzt also an langem Stiel eine Prachtrose, ein klein wenig geneigt, nicht ganz so schwankend wie früher die La France, die Sie gewiss kennen ... Nun lachen Sie mich aus, wie? ... Ja, und wenn man dieses kleine Märchenwunder auf der Ausstellung zeigte, in einem kleinen Pavillon mitten in den Rosenbeeten, und die Damen trügen zwei, drei Stück lose in der Hand, oder mit Frauenhaar, mit etwas Schleierkraut zusammen, nicht mit Draht umwunden und durchstochen, sondern leicht mit Bast in einer Schleife gefasst, ja, glauben Sie denn nicht, dass da in vielen Tausenden der Sinn für die Blumenschönheit erwachen würde? Der junge Herr Fritz Nidders würde seiner lieben kleinen Tanzstundenviola gewiss keine parfümierten Baumwollveilchen mehr aussuchen, nicht wahr, und von dem winzigen Pavillon in der Gartenbauausstellung könnte für alle Welt so ein bisschen Erziehung zur Schönheit ausgehen, ja?“

      „Wirklich, Fräulein Daus, mir hat Ihr Erziehungskursus schon geholfen, noch bevor ich Sie im Pavillon am Werk gesehen habe. Denn das wird dort Ihre Aufgabe.“

      „Onkel sagte früher oft, es sei doch ein Jammer, dass alles, was mit Blumenpflege und mit Blumenkunst zusammenhängt, so wenig von den Frauen erfasst wird. Von Frauen, die auf diesen Gebieten richtig ausgebildet sein müssten, die Geschmack hätten, selbst ein bisschen mit nachdenken ... Ganz im argen liegt ja schon immer der Blumenverkauf.

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