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Der Tod hat ein Gesicht. Eduard Breimann
Читать онлайн.Название Der Tod hat ein Gesicht
Год выпуска 0
isbn 9783905960051
Автор произведения Eduard Breimann
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Er hat Mühe, tauscht das sattgrüne Gras gegen verdorrtes, flach liegendes, aus, schafft sich einen Platz, vom Wind gebeugte, blattlose, niedrige Sträucher, die er planlos, achtlos, wie hingeworfen, verteilt. Noch kommt es ihm nicht trist genug vor, nicht für so eine Geschichte. Da muss noch was her.
Er findet den Winter schrecklich; also lässt er nassen Schnee fallen, der das bräunliche Gras kaum bedeckt. Schwarze Vögel denkt er sich noch an den Winterhimmel und lässt sie langsam über dem Platz kreisen.
Dunkel gekleidete Gestalten mit Kopftüchern oder großen Hüten müssen jetzt in endloser Reihe über die dünne Schneedecke wanken. Er gibt ihnen Reisekoffer in die eine und kleine Kinder an die andere Hand, malt junge und alte Gesichter und legt ihnen traurige, verzweifelte Augen zu.
Neben die Gleisanlage stellt er uniformierte Männer mit Gewehren auf den Schultern und Pistolen in der Hand. Dem vordersten Soldaten, dem, der seine Waffe in der Pistolentasche trägt, gibt er das Gesicht von Onkel Franz und betrachtet seine glanzlosen Augen, die so traurig blicken wie heute – wie an manchen anderen Tagen.
„Nein“, denkt er, „ich will’s nicht sehen! Bestimmt war’s anders.“
Er schüttelt den Kopf und wirft das Bild raus. „Mehr! Ich will mehr hören! Bitte!“
„Ach Junge! Wir sollten das nicht tun.“
„Doch, Onkel Franz – du musst! In meinem Kopf sind jede Menge Bilder und die sind bestimmt falsch.“
Onkel Franz bricht ein Stück der morschen Rinde ab, beobachtet die hektisch krabbelnden Käfer, die fettleibige, weiße Made, die sich langsam krümmt.
„Ja, du hast Recht; was soll’s. – Eigentlich war es immer derselbe Ablauf. Sie kamen in endlosen Kolonnen aus dem Getto. Vor uns mussten sie über eine Rampe in die Wagons steigen - so viele wie eben rein gingen; ein paar von uns mussten ordentlich quetschen und kräftig nachdrücken, damit sie keine Lücken ließen. Zuerst taten mir die Juden Leid; sie sahen ärmlich und verhungert aus. Kinder, Frauen, alte Männer. Aber jeden Tag war es dasselbe Bild. Da stumpfst du ab, du merkst es überhaupt nicht.
Wir trieben sie auf die Rampe, drückten sie in die Wagen, bis nichts mehr ging. Sie schrieen uns an, wehrten sich, spuckten uns an. Sie waren nicht wie Lämmer, eher wie störrische Esel – besonders die Frauen, wenn sie Kinder hatten.“
„Die wollten sie doch beschützen, oder?“
„Sicher, klar. Aber irgendwann wirst du wütend. Du machst ja schließlich nur deine Arbeit. Und hinter uns standen sie, die Kettenhunde und die Aufpasser mit dem Lametta an der Uniform. Bruno sagte am Abend oft, dass er Angst gehabt hätte, sie würden ihn auch da rein schieben. Besonders vor den Lamettaträgern hat er sich gefürchtet. Bruno hat oft leise mit den Juden gesprochen, hat sie getröstet und beruhigt – trotz seiner Angst.“
„Mit den Juden? – Und du nicht? Hast du sie gehasst?“
„Nein, nein. Ich hab keinen gehasst, nicht einen. Auch die Frau nicht, die mir zwischen die Beine getreten hat, als ich ihr das Kind vom Arm nahm; ich wollte ihr ja nur helfen, damit sie leichter die Rampe hoch kam.“
„Konntest du nichts machen – ich meine wegen der Kinder. ‚Die nicht! Lasst die hier’, konntest du nicht sagen?“
„Du hast keine Ahnung, Junge. Sicher wollte ich gerne was machen, aber es gab keine Möglichkeit, ihnen zu helfen. Und trösten konnte ich nicht – womit denn? Ich hätte selber Trost gebraucht. Alle wussten, was denen blühte. Treblinka! Und alle, die Gebrechen hatten, alle Alten und Kranken gingen sofort in die Gaskammer. Wir wussten es genau. Unsere Kameraden, die immer die Züge begleiteten, erzählten uns die tollsten Geschichten, wenn wir am Abend zusammen saßen.“
„Und dann? Du bist ja früher zurückgekommen, als die anderen Soldaten – hast du gesagt.“
„Was denkst du von mir? Bin ich stark? Bin ich so einer, wie du ihn gerne magst; kräftig, ohne Angst; ein richtiger Mann also?“
„Ja sicher, Onkel Franz. Du bist stärker als alle Männer, die es im Dorf gibt.“
„So? Das hab ich mir gedacht. Ich will dir mal was erzählen. Ja, ich bin in Warschau, im Getto umgefallen; Nervenzusammenbruch haben sie gesagt. Ich konnte den Geruch der toten Kinder und Frauen nicht mehr ertragen. Ich hab geschrien und geweint. Sie haben mich weggebracht, in ein Lazarett. Danach wollten sie mich nicht mehr.“
„Aber ... Warum denn? Ich meine ... Du konntest doch nichts dafür, hast du gesagt.“
„Nein, wohl nicht, aber ich war nicht nervenstark. Ich war noch so jung und hatte vorher noch nie einen Toten gesehen – außer meinen Großvater, als der friedlich im Bett lag, mit gefalteten Händen.“
„Warst du deshalb ein Kriegsverbrecher? Haben sie dich verurteilt?“
„Nein. Ich war ihnen nicht wichtig genug. Meine Schuld liegt wo anders. Es ist vorher passiert, als wir sie der Reihe nach raus holten aus dem Getto und abtransportierten.“
„Und das war schlimm, das hat dich getroffen?“
„Ja“, sagt er nachdenklich, „es fing damit an, dass sie mir erst egal wurden und ich sie plötzlich sogar verachtete – das kennst du doch auch, das Gefühl. Jedenfalls, nach einigen Wochen war das Mitleid weg. Du musst dir diese riesigen Schlangen, grau und dunkel gekleideter Leute vorstellen. Sie krochen aus den Ruinen, über den Platz, du sahst kein Gesicht, keinen Menschen; es waren nur noch Transporteinheiten. Mehr nicht. Du stumpfst erst ab und dann geht es schnell. Du ärgerst dich über jeden Widerstand, über unnötige Verzögerungen. Irgendwann kommt die Wut und du gibst ihnen die Schuld an der ganzen Scheiße. Du weißt genau, dass jetzt der Moment ist, wo du versagst – trotzdem wirst du zum Unmenschen und bedauerst es nicht einmal.“
„Du hast die Juden gehasst, weil du versagt hast?“
„Ich weiß nicht. Hass ist was anderes. Hass hat man auf ein bestimmtes Gesicht, in das man rein hauen möchte. Da war kein Gesicht. Vielleicht –vielleicht war das alles auch nur ein Alptraum.“
„Aber sie haben dir nichts getan – und du ihnen auch nicht. Das war doch damals so. Du konntest nichts dafür.“
„Wenn du dich da man nicht irrst. An einem Tag, Anfang Juni 42, standen Bruno und ich vor dem Verschiebebahnhof und dirigierten die Schlange in die Wagons. Es musste schnell gehen; der ganze Abtransport dauerte ihnen zu lange. Wir sollten mächtig Druck machen, sagten sie. Bruno stand mir gegenüber und wir schimpften mit den Leuten, schoben sie vorwärts. Eigentlich war Bruno an dem, was passierte, schuld.“
„Du sagtest doch, dass Bruno ...“
„Ja, aber ihm ging’s wie mir. Er war auch abgestumpft. Er stieß eine Frau mit dem Gewehrkolben - nicht vor den Körper, das hät er nie gemacht - nein, er schlug auf den Koffer, den sie mühsam trug – und der platzte auf. Er war wohl ziemlich alt, dieser Pappkoffer, nur mit Schnüren und Bändern gehalten. Er klappte auf und alles flog in den Dreck. Es war heiß an dem Tag, staubig, und wir waren genervt von den ständigen Unterbrechungen. Mal konnte eine alte Frau nicht mehr gehen, und sie trugen sie erst, wenn man sie anbrüllte, mal fiel einer einfach um und blieb liegen; es stockte pausenlos. Und dann dieser Mist mit dem Koffer!“
„Die hab ich gesehen, auf den Bildern. Die trugen immer solche Pappdinger mit Riemen und Bänder drum.“
„Ja, so einer war das. Die Frau hatte ein leichtes, geblümtes Sommerkleid an und einen grauen Staubmantel auf dem Arm. Und da lag plötzlich ihr ganzer Besitz im Dreck: Unterwäsche, Strümpfe, Kleider, Briefe, zwei Bücher. Sie wollte sich bücken und alles wieder einsammeln. Stell dir das vor, sie hielt den ganzen Transport auf wegen dieser erbärmlichen Sachen.
„Na ja! Wenn meine Klamotten da gelegen hätten ... Durftet ihr nicht