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Tok-Tok im Eulengrund. Albert Wendt
Читать онлайн.Название Tok-Tok im Eulengrund
Год выпуска 0
isbn 9783702659509
Автор произведения Albert Wendt
Издательство Bookwire
„Du darfst kostenlos in dieser Hütte hier wohnen“, fuhr die alte Dame fort. „Du bekommst drei Mahlzeiten täglich.“
Die alte Dame lächelte huldvoll. Ich war einfach nur verwirrt und wusste nicht weiter. Ich stammelte einige Zweifel an meiner Eignung für den Beruf eines Kinderschrecks. Ich wies auch auf die Harmlosigkeit meines Äußeren hin. Aber die alte Dame stieß ihren Stock unsanft an meinen Oberarm.
„Und was ist das?“
„Das sind Muskeln.“
„Gut. Schön hässlich. Und das Kraut hier?“
„Ich bin etwas behaart.“
„Gut. Schön hässlich. Auf dem Kopf fehlt es an Kraut. Warum hast du dir lange Haare über die Glatze gelegt und am Hinterkopf zusammengebunden?“
„Ich wollte …“
„Ach, Faxen, Ziererei. Mach das da auf und lass die Haare neben der Glatze herunterbaumeln.“
„Aber … Es wird dann vielleicht etwas unerfreulich aussehen.“
„Höchst erfreulich! Schön hässlich. Gut, das bleibt so. Vielleicht einen Tropfen Öl auf die Glatze. Sie muss weithin glänzen. Nach dieser Platte sollst du heißen, ‚Kahler Barbar‘. Barbar heißt Stammler. Stammler ist gut.“
Die alte Dame sah nach links und rechts zu den jungen Frauen.
„Zu lang“, sagte Rose. „Kahler Baba ist besser.“
„Ja, Kahler Baba passt“, stimmte die alte Dame zu. „Du bist also ab sofort der Kahle Baba.“
Sie stieß ihren Stock auf den Boden. Tok! Tok!
„Aber …“
„Und merke dir, Kahler Baba, schlage ich mit dem Stock zwei Mal auf den Boden, so Tok! Tok!, dann ist mein Wort festgestampft und Gesetz. Und es gibt kein Aber. So.“
Die strenge alte Dame sah mich erwartungsvoll an. Ich wusste nichts zu sagen.
„Ich warte.“
„Worauf?“
„Dass du sagst, ich übernehme diese ehrenvolle Aufgabe.“
„Warum sollte ich? Diese Aufgabe ist höchst seltsam. Warum sollte ich Kinder ängstigen?“
„Weil dich Rose-Rad-ab anlächelt.“
Rose-Rad-ab, früher Rosalinde genannt, hatte bis jetzt vermieden, mir in die Augen zu sehen. Nach dieser Aufforderung hob Rosalinde den Kopf, sah mir in die Augen, und ihre Augen sprühten vor Intelligenz und Übermut. Nein, hier hatte niemand ein Rad ab. Ich sah die stark gerundete junge Frau an. Sie blickte offen entzückt mal zu Rose, mal zu mir. Ich sah in die Augen der alten Dame, warm und klug und etwas besorgt nahm sie meinen Blick an.
Und, das Wichtigste, das noch nie Gefühlte, hier war Vertrauen möglich. Ich stimmte zu.
„Bedingungslos?“
„Bedingungslos.“
„Der Vertrag ist abgeschlossen. Du bist in unseren Verbund als Hilfskraft aufgenommen.“
Tok! Tok! Zweimal stieß der Stock auf den Boden und besiegelte den Vertrag.
„Jetzt zur Kleidung. Dreifingerregel. Daumen hoch: Hemd. Zeigefinger hoch: Hose. Mittelfinger hoch: Sandalen.“
„Kein Unterzeug?“
„Wozu? Wäschst du dich vielleicht nicht gründlich? Willst du dich üppiger kleiden als wir Frauen?“
„Aber Frauen …“
„Frauensommerbekleidung. Dreifingerregel: Kleid, Sandalen, Schmuck.“
„Bei mir kommen natürlich noch zwei Kissen hinzu. Das sind hier nämlich nur Kissen. Nicht, dass du denkst …“
Die Frauen lachten, das große Glüh wurde puterrot.
„Immer nur ein einziges Kennzeichen“, erklärte Tok-Tok. „Glüh hat die Nilpferdrundungen, Rose hat ein Rad ab, das Heilige Graubrot hat sein Brot, ich habe den Stock und du hast den Kahlkopf. Der Rest, Dreifingerregel: Mimik, Schultern, Gangart. Mehr nicht an Verstellung. Nihil nimis, never zu viel. Täuschung muss einfach sein, sonst ist das bisschen Menschengehirn überfordert und nimmt die Täuschung nicht an.“
Die würdige Alte erhob sich. Wir jüngeren Leute standen ebenfalls auf. An der Tür drehte sich die alte Dame um und betrachtete mich noch einmal sehr lange. Sie schüttelte besorgt den Kopf.
„Ach, Kahler Baba, du bist so hoffnungslos komisch. Wie nur soll ich dich zu einem Scheusal machen? Ich fürchte, es geht nicht anders, ich muss dir die Sprache wegnehmen. Die Sprache verriete dich sofort.“
„Aber ich muss doch irgendetwas sagen, wenn ich Leute treffe? Das gehört sich so.“
„Warum? Du kannst doch auch Fratzen schneiden, mit den Händen fuchteln, trällern, brüllen und grunzen.“
„Darf ich wenigstens ein paar Worte grunzen: Ich, Kahler Baba! Ich, böser Baba.“
„Gut, das darfst du grunzen, meinetwegen auch noch ein paar Schimpfworte und Flüche stammeln, aber nichts Vernünftiges und nur keine richtigen Sätze dahersagen.“
Sie stieß ihren Stock zweimal auf den Boden. „Das, Kahler Baba, gehört jetzt zum Vertrag“, sagte Tok-Tok streng, fügte aber lächelnd hinzu: „Und musst du unbedingt etwas Kluges von dir geben oder verschachtelte lange Sätze reden, dann mach das mit uns, wir halten das schon irgendwie aus.“
Kaum war Tok-Tok verschwunden, huschte geräuschlos der Alte mit dem Brot unterm Arm herein. Er legte das Brot auf den Tisch. Er holte ein Bündel Papiere hervor, reichte es mir zusammen mit einem Stift und zeigte auf das letzte Blatt.
„Hier unterschreiben.“
Ich überflog die Papiere. Es waren meist Geldüberweisungen. Alle meine nicht ganz unbeträchtlichen Schulden, sogar die, die ich schon vergessen hatte, waren bezahlt worden. Dann, die letzte Seite, war eine Vollmacht, dass jemand Miete, Versicherungen, Müll und Ähnliches, also die Kosten meiner Wohnung in der Stadt, für mich übernehmen werde. Der ganze Bürokram musste in den wenigen Stunden erledigt worden sein, in denen ich k. o. herumgelegen hatte. Ich glaube nicht an dunkle Zauberkräfte. Aber die Kraft, die das geplant und ausgeführt hatte, war gut organisiert, unsichtbar und nicht klein. Mit dieser Kraft war ich nun durch mein Wort und ein Tok! Tok! und vor allem durch ein Frauenlächeln verbunden. Also schrieb ich, ohne zu zögern, meinen Namen neben dem Fingernagel einer gepflegten Greisenhand aufs Papier. Still verschwand der Alte. Das Brot ließ er zurück.
Rosalinde lächelte mich wieder an, so innig, wie man einem Kind zulächelt, das man sehr gern hat, aber mit dem man noch lange nicht über heikle Dinge reden kann.
„Stell keine Fragen“, sagte sie nur.
Dann nahm sie die große, runde Frau, die mich mit unverhohlenem Behagen anstarrte, an die Hand und zog sie mit sich hinaus in die dunkle Wildnis.
Drei schöne Frauen
bargen ein wunderbares Geheimnis,
nach dem ich nicht fragen durfte.
4.Kapitel
Wer schleicht da durch die Nacht?
Das Kichern und Schwatzen der Frauen entfernte sich und verstummte. Ich sah den Hebel an der Blechtür, mit dem ich mich einschließen konnte. Ich schloss mich nicht ein. Es war sehr still. Im schwachen Licht der Laterne sah ich mich um. Der verbeulte und rostige Blechkasten war früher ein oben offener Abrollcontainer, eine Riesenblechwanne für fünfunddreißig Tonnen groben Bauschutt gewesen. Den Container hatten die Abrissarbeiter auf den Kopf gestellt, sicher, um dort teure Maschinen und ihre Wertsachen