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bewusst, als würde ich auf einen gemütlichen Sessel sinken: Ich muss all das Zeug, was sich in meinem Zuhause befindet, nicht besitzen. Ich muss den Kram, den ich in all diesen Kistchen, Taschen und Schubladen verstaut habe, nicht besitzen. Ich darf. Und darin liegt der entscheidende Unterschied. Wenn ich etwas muss, dann habe ich keine freie Wahl. Ich bin nicht mein eigener Herr, sondern werde von Verpflichtungen, Versprechen oder anderen Menschen bestimmt. Wenn ich hingegen etwas darf, kann ich selbstbestimmt sein und Entscheidungen so treffen, wie ich sie für richtig halte. Ich bin eigenverantwortlich und kann meinen Weg selber kreativ gestalten.

      AUF EINMAL FINDET EIN GANZ NEUER GEDANKE SEINEN WEG IN MEINE INNERE ÜBERFORDERUNG: ICH MUSS DAS NICHT BESITZEN.

      Auf einmal wird mir bewusst, was dieser kleine Unterschied von dürfen und müssen für mein Zuhause und mein ganzes Leben bedeuten könnte. Ich darf meine Sachen besitzen, aber ich muss nicht. Obwohl diese Erkenntnis eigentlich so selbstverständlich ist, begeistert sie mich total und öffnet mit einem Mal Türen, die mir bislang verschlossen zu sein schienen.

      Bislang habe ich mich nicht so frei gefühlt, hier einen eigenen Weg einzuschlagen. Etwas hat mich daran gehindert, diese Freiheit ganz unbekümmert auszukosten, und auch jetzt plagen mich Gewissensbisse: Ich komme mir irgendwie undankbar vor, wenn ich mir eingestehe, etwas gar nicht haben zu wollen. Woher kommt das eigentlich?

      DAS NOTZEITEN-MINDSET IN DER ÜBERFLUSSGESELLSCHAFT

      Ich glaube, dass das ganz viel mit unserer Prägung und Erziehung zusammenhängt. Die meisten von uns sind mit Eltern oder Großeltern aufgewachsen, die noch die Kriegs- und Nachkriegsjahre und damit bittere Armut und Existenznot miterleben mussten. Ist ja klar, dass wir dadurch von klein auf Dinge gelernt haben, die unseren Blick für Besitz geprägt haben. Manches bewusst, aber vieles auch unbewusst.

      Mir wurde zum Beispiel immer und immer wieder beigebracht, dass ich für alles, was ich haben kann, dankbar sein muss. Es war egal, ob ich das geschenkte Kuscheltier superschön fand oder nicht, ich musste mich doch freuen, weil ich so privilegiert war, überhaupt eins haben zu können. Schließlich hatte Oma als Kind praktisch gar keine Spielsachen besessen und auch Papa musste sich mit ganz wenigen Habseligkeiten zufriedengeben, die er sein Eigen nennen durfte. Wenn ich mich nicht wirklich für dieses Geschenk begeistern konnte und es vielleicht gar nicht haben wollte, hieß es, ich sei undankbar oder verwöhnt.

      Mir ist vollkommen bewusst, dass das etwas hart klingt und dass diese Art zu Denken absolut angebracht und auch überlebenswichtig ist, wenn man sich in Notzeiten befindet. Wenn ich bitterste Armut leiden würde, wäre es nicht nur undankbar, sondern sogar bedrohlich für meine Existenz und die meiner Familie, wenn ich ein barmherziges Geschenk ablehnen würde.

      Genauso herzlos wäre es, wenn ich meinem Kind nicht erlauben würde, diesen einzigen Teddy zu behalten, den es angeboten bekommt. In so einer Situation wäre es ganz und gar unwichtig, ob der Teddy nun besonders schön oder eher kratzig ist. Oder ob das einzige Paar Schuhe, das ich haben darf, meine Lieblingsfarbe hat oder nicht. Wenn ich ums Überleben kämpfe, sind Dinge wie persönlicher Geschmack einfach absolut egal. Wen interessiert schon, ob die Jacke hübsch aussieht, wenn sie das Einzige ist, was mein Kleines vor dem Erfrieren retten kann?

      Es ist also total verständlich, dass unsere Großeltern, die furchtbare Dinge erleben mussten, dieses „Überlebens-Mindset“ entwickelt und mehr oder weniger für den Rest ihres Lebens behalten haben. Nichts durfte weggeschmissen werden, und zu wählerisch zu sein, ging gar nicht. Ist ja klar, wenn man das Mindset aus Notzeiten weiterlebt. Ich kann mehr als gut verstehen, dass die Kriegsgenerationen von ihren Erfahrungen so stark geprägt wurden, dass sie bis ans Ende ihres Lebens so gedacht und gelebt haben.

      BEIDES TUT UNS MENSCHEN NICHT GUT: ZU VIEL UND ZU WENIG. WIR BRAUCHEN DIE MITTE.

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      Wahrscheinlich würde jeder von uns das genauso tun, wenn wir echte Armut erlebt hätten. Und damit wird auch klar, warum wir als Kinder vielleicht vorschnell als verwöhnt oder undankbar abgestempelt wurden. Weil wir das auch gewesen wären, wenn wir dieses Geschenk in Zeiten von existenzieller Not nicht hätten haben wollen. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass wir glücklicherweise nicht in Notzeiten leben. Wir sind durch Gottes Gnade tatsächlich so privilegiert, dass wir eine Wahl haben. Wir müssen nicht alles nehmen, was uns angeboten wird, weil wir nicht auf Überlebens-Mindset schalten müssen.

      Und genau hier finden wir auch den Knackpunkt für das Problem des schlechten Gewissens, wenn wir uns von unserem Kram so überfordert fühlen und meinen, ihn nicht loswerden zu dürfen: Wir sind wahrscheinlich vom Notzeiten-Mindset unserer Großeltern geprägt und haben das Gefühl, auch noch danach handeln und leben zu müssen – obwohl wir nicht in Notzeiten leben, sondern in einer Überflussgesellschaft.

      Es ist also wichtig, dass wir unsere innere Haltung und unsere Überzeugungen unserer Lebenssituation anpassen. Ein Überlebens-Mindset brauche ich dann, wenn ich ums Überleben kämpfe. Dann ist es gut und hilfreich. Wenn ich aber dasselbe Mindset lebe, wenn ich in einer Überflussgesellschaft lebe, ist es auf einmal gar nicht mehr gut und hilfreich, sondern sogar sehr kontraproduktiv.

      Es wird noch einleuchtender, wenn man sich das Ganze wie eine mathematische Gleichung vorstellt:

       In Notzeiten habe ich weniger, als ich brauche. = Ich muss sammeln.

      Im Überfluss habe ich mehr, als ich brauche. = Ich muss abgeben.

      Das Problem unserer Generation ist, dass wir von Menschen erzogen wurden, die in Notzeiten leben mussten und uns dementsprechend geprägt haben; wir selbst leben aber im Überfluss. Und das wird schwierig. Ein Notzeiten-Mindset ergibt nur in Notzeiten Sinn und ein Überfluss-Mindset nur in Überflusszeiten. Wenn ich nichts habe, muss ich auch nichts loswerden. Aber wenn ich zu viel habe, darf ich nicht unreflektiert sammeln. Ich muss meine innere Haltung meinen Lebensumständen anpassen.

      Beides tut uns Menschen nicht gut: zu viel und zu wenig. Wir brauchen die Mitte.

      Ich glaube, dass die Prägung unserer Großeltern und Eltern der Grund ist, warum wir uns so schwer damit tun, Dinge loszuwerden. Uns hängt einfach das Gefühl nach, doch nicht so undankbar für diesen Extrasessel sein zu dürfen, den Opa uns vererbt hat, den wir aber eigentlich gar nicht haben wollen, weil er in unseren Augen nicht schön ist mit seinem kratzigen, grünen Stoff und den Quasten am unteren Saum. Obwohl wir dieses Ding überhaupt nicht brauchen (weil wir schon eine wunderschöne Couch haben), meinen wir, es nicht ablehnen zu können. Schließlich war das der erste Sessel, den Opa sich nach dem Krieg hatte leisten können, sodass die Familie endlich wieder ein Plätzchen zum Kuscheln und für Gemütlichkeit hatte.

      Es tut uns gut, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir aus Gnade nicht in solchen Zeiten leben müssen. Deshalb dürfen wir uns auch von diesen Gedankenmustern verabschieden. Wir sollten es sogar. Denn was passiert, wenn ich mein Notzeiten-Mindset in einer Überflussgesellschaft auslebe? Ich versinke in zu viel. Ich werde so viel Zeug um mich herum anhäufen, dass ich das Gefühl habe, von all dem erschlagen zu werden. Dann bin ich auf einmal die Mama mit dem Baby im Arm, die so überfordert und überreizt ist von den Bergen an Besitz um sich herum, dass ihr vor Erschöpfung die Tränen runterlaufen.

      Meine Liebe, du darfst dich selbst von diesem Notzeiten-Mindset befreien – ohne schlechtes Gewissen! Denn wer im Überfluss lebt, ist nicht undankbar oder verwöhnt, wenn er Dinge nicht haben möchte und sie lieber anderen überlässt. Er ist weise und großzügig.

      WER IM ÜBERFLUSS LEBT, IST NICHT UNDANKBAR ODER VERWÖHNT, WENN ER DINGE NICHT HABEN MÖCHTE UND SIE LIEBER ANDEREN ÜBERLÄSST. ER IST WEISE UND GROSSZÜGIG.

      Du darfst deine Haltung verändern, ohne dass das bedeutet, alles schlechtzumachen, was deine Großeltern oder Eltern dich gelehrt haben. Denn sie haben es richtig gemacht. Sie haben die richtige Haltung zur richtigen Zeit eingenommen und dadurch für das Überleben deiner Familie gesorgt. Dafür können wir ihnen so dankbar

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