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deine Schwester?“

      „Habe ich nie mehr gesehen.“

      „Ihr seid beide gegangen, aber nur du kamst zurück. Warum?“

      „Ich bin gegangen, weil ich bezweifelte, dass die Drachenberge mein Land sind. Und jetzt bin ich zurückgekommen, weil ich nicht mehr weiß, ob es überhaupt irgendwo ein Land gibt, das ich als mein Land betrachten kann.“

      Tama schüttelte den Kopf. „Ich weiß gar nicht, was ich zuerst fragen soll. Mit jeder Antwort wird das Durcheinander größer. Aber wenn man nicht weiß, wohin man gehört, dann kehrt man nicht dorthin zurück, wo man als Erstes das Gefühl hatte, am falschen Ort zu sein.“

      Der weiße Drache schwieg. Tama versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Bei Pando, der Raubkatze, war ihr das manchmal gelungen. Auch bei Pando, dem Bären. Aber bei dem weißen Drachen stellte sich das als unmöglich heraus. „Nun sag schon“, brach es endlich aus ihr heraus.“

      „Ich bin aus zwei Gründen hier: Einmal weil ich einen Rat brauchte und einmal wegen dir. Ich wollte mir dir reden.“

      „Du wusstest also, dass ich in die Drachenberge wollte. Von wem? Und was kann denn so schwierig sein, dass du mir nicht einfach sagst, worum es geht?“ Tama war verärgert und ließ es Pando auch merken. Doch den schien das nicht zu erschüttern.

      „Es ist schwierig, es zu erklären. Ich bin ein Halbdrache. Die Menschen würden mich fliehen, sähen sie mich in dieser Form, und die Drachen würden mich wahrscheinlich verjagen, weil sie meine Schwäche erkennen. Als Gestaltwandler bin ich sowohl Drache als auch Mensch. Aber mein Gefühl sagt mir, dass ich weder das eine noch das andere bin. Verstehst du? Ich gehöre nirgendwo hin.“

      Tama verstand und war bereits wieder halbwegs besänftigt. „Nur zu gut verstehe ich das“, sagte sie.

      „Ich bin viel zu spät dran“, sagte Pando.

      „Womit? Nun lass dir doch nicht ein Wort nach dem anderen abhandeln.“

      „Ist das nicht klar? Ich bin für einen Drachen immer noch recht jung und das jüngste Kind meiner Mutter. Und trotzdem bin ich bereits zu alt. Ich habe immer noch keine Zeit für eine Begegnung gefunden, obwohl mich mein Körper jedes Jahr nachdrücklich dazu auffordert. Ich wollte von meiner Mutter wissen, ob es etwas ausmacht, dass ich mich gegen meine Drachennatur wehre und ob mein Zögern mir irgendwann einmal schaden wird.“

      „Du meinst …“

      „Ja, eigene Kinder. Ich hätte längst eigene Kinder haben sollen, wollte aber nicht.“

      „Und was hat deine Mutter gesagt?“

      „Sie konnte meine Frage nicht beantworten, aber schalt mich einen Tölpel und Narren.“

      Tama nickte. Tief in Gedanken versuchte sie, Pandos Ringen zu verstehen. Es gelang ihr nicht.

      „Aber warum gibst du dem Verlangen deines Körpers denn nicht nach?“

      „Verstehst du denn nicht?“ Hätten sie nicht in Gedankensprache miteinander geredet, hätte Pandos Schrei der Verzweiflung das Bergwild in die Flucht getrieben. „Ich bin ein Halbdrache. Wenn der Drache in mir wollte, verbat es ihm der Mensch in mir. Und wenn der Mensch wollte, war nie der rechte Augenblick. Ist das denn so schwer zu verstehen?“

      Tama schüttelte bedächtig den Kopf. „Die Liebe führt ihre eigene Herrschaft. Sie ist sehr mächtig und kann alles auf den Kopf stellen. Manchmal überfällt sie einen – habe ich gehört. Manchmal kommt sie wie ein Dieb in der Nacht, bleibt unbemerkt und verändert doch ein ganzes Leben. Mir geht es ähnlich. Ich habe Angst vor dem, was vor mir liegt. Aber ich habe keine Angst um mein Leben. Nur ein Gedanke erschreckt mich. Wäre es nicht entsetzlich, zu sterben, ohne vorher geliebt zu haben? Die eine Liebe erlebt zu haben, die einen von innen und außen erfüllt, vergoldet und einzigartig macht? Ohne das wäre ein Leben nichts wert. Oder doch?“

      „Du sprichst, als würdest du die Liebe bereits kennen.“

      „Ach, Pando. Ich bin ein dummes Ding, das nicht von seinen Träumen lassen kann.“

      Der weiße Drache reckte den Hals und erschien ganz plötzlich größer und stärker. „Du bist alles andere als ein dummes Ding. Vielleicht solltest du über deine Träume mal mit jemandem reden, der etwas mehr davon versteht als ich, ein Halbmensch. Ich weiß von der Liebe, aber nur, dass es sie gibt und dass sie eine mächtige Kraft ist. Der Drache in mir sagt, dass sie Feuermagie ist, ein reines Feuer, das keinen Rauch erzeugt. Nicht mehr.“

      Der Drache in mir … Wie sollte sie mit Pando über Liebesdinge reden können, wenn er mal als Mensch und mal als Drache sprach? Und außerdem – jetzt war auch nicht die rechte Zeit dazu. Zu mächtig noch lasteten die Worte Kriechers auf ihr. Die Welt will sich selbst vernichten. Die Zukunft lässt sich lesen. Du bist so schwach, dass ich nicht weiß, wie du überleben willst. Und ihre Hand verkrampfte sich noch immer um die Drachenschuppe, die sie selbst dann nicht losgelassen hatte, als ihr die Sinne schwanden. Nein, jetzt war wirklich nicht die Zeit, über die Liebe zu plaudern. „Entschuldige“, sagte sie. „Ich rede die ganze Zeit nur von mir und dem, was mir bevorsteht. Aber du wolltest noch etwas Wichtiges mit mir besprechen.“

      „So wichtig ist es nicht mehr. Wie geht es Aureon?“

      „Bei allen Geistern des Dunkels, wie kommst du jetzt ausgerechnet auf den? Gut, schätze ich. Er und sein Bruder haben mich durch das Dunkel aus dem Elfenviertel ins Viertel der Gestaltwandler gebracht. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“

      „Fehlt er dir denn nicht?“

      „Jetzt, wo du es sagst. Ja, doch. Ich weiß nicht. Nein, er fehlt mir nicht. Aber ein wenig vielleicht schon.“ Tama verstummt, horchte in sich hinein. „Merkwürdig“, murmelte sie und verstummte erneut.

      „Was ist merkwürdig?“, fragte Pando, nachdem Tamas Schweigen länger und länger andauerte.

      „Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich gedacht, dass in meinem Herzen kein Platz für irgendetwas anderes als Aureon war. Und jetzt … Es fühlt sich an, als wäre das alles in einem Leben geschehen, das bereits lange zurückliegt. Die Erinnerungen sind so blass, unsere Neckereien ohne Bedeutung. War ja auch so. Was bedeuten schon Neckereien.“

      „Wir haben uns auch geneckt. Erinnerst du dich?“

      Tama seufzte erneut. Dieses Mal abgrundtief. „Die hatten eine Bedeutung. Du wolltest damit von der Wahrheit ablenken, und ich musste gewaltig aufpassen, um dir auf die Schliche zu kommen.“ Tama lächelte versonnen. „Wäre ich aber nicht, wenn du dich nicht selbst verraten hättest.“

      „Das musst du entschuldigen. Das war meine Sorge um dich. Die hat mich meine Vorsicht vergessen lassen.“

      „Ist ja auch schon fürchterlich lange her. Aber was wolltest du mir sagen?“

      „Es war der Rat, den meine Mutter mir letztendlich gab.“

      „Der, um den du gebeten hattest?“

      „Nein. Oder vielleicht doch. Sie hat mich gar nicht verstanden. Aber das lag daran, dass sie ein Drache ist und trotz ihres letzten Mannes zu wenig von den Menschen versteht. So gab sie einem Drachen den Rat eines Drachen und sagte mir, ich dürfte nicht länger warten.“

      Tama fühlte einen Stich. Pando als Oberhaupt einer eigenen Familie, für die er sorgen musste. Das war ein Gedanke, der so fremdartig war, dass er in ihrem Kopf alles wund scheuerte. Doch nicht ihr Pando, ihr Spielgefährte, Seelentröster und Kampfgefährte. Der doch nicht.

      „Und hast du denn schon jemanden ins Auge gefasst?“

      „Ja.“

      Wie kurz und knapp er das sagte. Und wie endgültig es klang. „Wen hast du dir denn ausgeguckt?“ Gleichgültig

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