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zu mir?«, schlug er vor. Dass sein eigener Sohn ihn siezte, störte ihn.

      »Wenn ich darf?«

      »Natürlich darfst du. Ich bitte dich ja darum.« Daniel fuhr Jens streichelnd übers Haar. Zum ersten Mal.

      Da fand Jens endlich den Mut, Daniel das zu sagen, was ihn schon den ganzen Nachmittag quälte. »Hoffentlich denkst du nicht, dass ich undankbar bin, Onkel Daniel?«

      »Warum?«, fragte Daniel überrascht.

      »Weil ich mich noch gar nicht richtig bedankt habe. Für die vielen schönen Sachen, die du mir gekauft hast.«

      »Aber du hast dich doch bei mir bedankt«, sagte Daniel.

      »Ja, aber nicht richtig. Ich habe einfach nur danke gesagt. Und das sieht vielleicht so aus, als ob ich mich nicht richtig freue. Oder als ob ich undankbar sei. Aber ich freue mich wirklich über alles. Mir hat noch nie jemand so schöne Sachen gekauft.«

      Jens senkte den Blick. Er ärgerte sich über sich selbst, weil er sich vorgenommen hatte, Daniel einen Kuss zu geben. Aber nun brachte er das doch nicht fertig.

      Da beugte sich Daniel vor und gab Jens einen Kuss auf die Schläfe. »Du bist ein lieber Kerl.«

      Schnell legte Jens seine Arme um Daniels Hals und streichelte die schon etwas bärtige Männerwange. »Danke, Onkel Daniel.«

      Daniel versuchte seine Rührung zu verbergen. Es gelang ihm jedoch nur unvollständig. Doch das merkte Jens nicht. Er war an diesem Abend selig. Nur die Aussicht, in ein Kinderheim zu kommen, trübte dieses Glück ein wenig. Aber wenn sogar die Tochter von Onkel Daniel in diesem Heim war, dann musste es dort wohl schön sein.

      *

      Die beiden gingen früh zu Bett.

      Am nächsten Vormittag brachte Daniel den Jungen zu Anjuta. Er selbst wollte mit dem Arzt sprechen, der Anjuta behandelte.

      Dieser Arzt war auch sofort bereit, ihn zu empfangen, obwohl Daniel sich nicht angemeldet hatte. Als der Arzt aber den Namen Fernau hörte, wurde sein Gesicht hochrot. »Und Sie wagen es, hierher zu kommen, um mit mir zu sprechen, Herr Fernau?«

      Daniel verstand überhaupt nichts mehr. »Mir liegt das Schicksal von Frau Fabricius sehr am Herzen«, sagte er. Es klang fast wie eine Entschuldigung.

      »Wenn das so ist, sollten Sie dafür sorgen, dass Ihre Frau nicht hierher kommt und der Kranken Szenen macht, die ihren Zustand aufs Äußerste gefährden.«

      Daniel stand da, als habe er einen Schlag vor den Kopf bekommen. Das erkannte sogar der Arzt. »Wussten Sie nichts von dem Besuch Ihrer Frau?«

      »Nein«, antwortete Daniel erschüttert. »Nicht die geringste Ahnung hatte ich.« Er ließ sich von dem Arzt schildern, was vorgefallen war, weil er Anjuta nicht danach fragen wollte. Das hätte sie womöglich wieder aufgeregt.

      Als der Arzt Carstas Auftritt schilderte, schoss Daniel das Blut in den Kopf. Er schämte sich für seine Frau und entschuldigte sich für sie. Die Hintergründe erwähnte er nicht. Das ging außer ihn und Anjuta keinen Menschen etwas an.

      *

      Jens saß währenddessen auf Anjutas Bett und erzählte ihr von dem alten Nissen. Ergriffen hörte sie zu. »Es tut mir leid, dass du das alles so lange ertragen musstest.«

      »Jetzt ist es ja vorbei«, sagte Jens fröhlich. »Und wenn du erst wieder gesund bist …«

      Anjutas Gesicht überschattete sich.

      »Was hast du, Mutti?«

      In diesem Moment trat Daniel ein. Er fand, dass Anjuta an diesem Morgen viel besser aussehe. Nur im Moment schien sie etwas verstört zu sein.

      »Müssen wir schon wieder fahren?«, fragte Jens.

      »Ich fürchte, ja. Sonst schaffen wir es nicht bis nach Sophienlust. Aber ich verspreche dir, dass wir so bald wie möglich wieder hierherkommen.«

      »Wirklich?«, fragten Jens und Anjuta gleichzeitig.

      »Ganz bestimmt. Und dann nehmen wir auch Ulrike mit.«

      »O ja, bitte«, sagte Anjuta. »Ich möchte sie kennenlernen.« Sie zog Jens abschiednehmend in ihre Arme und gab ihm einen Kuss.

      Dann verabschiedete sie sich von Daniel. Noch bevor er genau wusste, was er tat, hatte er sich über sie gebeugt und küsste sie auf beide Wangen.

      »Danke, Daniel«, flüsterte sie dabei. »Danke für alles.«

      Er richtete sich wieder auf. »Bis bald.«

      Schweigend verließen sie das Sanatorium und stiegen ins Auto ein. Beide waren beschäftigt mit ihren Gedanken. Jens spürte immer noch die Stelle auf der Wange, die Anjuta geküsst hatte. Solche Zärtlichkeiten waren für ihn Raritäten. Noch nie hatte ihn jemand geküsst. Nicht einmal gestreichelt. Von seinem Pflegevater hatte er nur Prügel bekommen. Und von Nissens Frau grobe Worte. Deshalb fühlte er sich wie in einer neuen Welt. Und das war er ja eigentlich auch.

      Daniel hatte bereits mit Sophienlust telefoniert und seine Ankunft angekündigt. Er hatte Denise auch gebeten, noch am Abend mit ihr sprechen zu dürfen. Sie hatte sich sehr großzügig gezeigt und sich sofort bereit erklärt, Jens in Sophienlust aufzunehmen, obwohl sie noch nicht einmal wusste, wer dieser Junge war. Das wollte Daniel ihr am Abend erklären. Sie sollte als Einzige die Wahrheit erfahren.

      Es war schon Nachmittag. Sie hatten München bereits hinter sich gelassen und befanden sich auf der Autobahn in Richtung Frankfurt. »Wenn du müde bist, schlaf doch ein bisschen«, riet Daniel dem Jungen.

      Doch Jens war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. »Sind wir bald in dem Kinderheim?«, fragte er.

      Daniel nickte. »In spätestens zwei Stunden sind wir dort.«

      Jens’ Finger klammerten sich um den Haltegriff. Was würde ihn in diesem Kinderheim erwarten? Er hatte mit Kindern schlechte Erfahrungen gemacht. Er war von ihnen gehänselt und ausgelacht und sogar verprügelt worden. Er blickte an sich hinab. Zerlumpte Sachen trug er ja nun nicht mehr. Deshalb konnten sie ihn nicht auslachen.

      »Du wirst sehen, es wird dir in Sophienlust gefallen«, sagte Daniel.

      Das bezweifelte Jens. Doch er wollte nicht widersprechen. Deshalb nickte er nur.

      Daniel lächelte darüber. »Ich kann deine Zweifel verstehen. Ulrike ging es genauso. Sie flehte mich an, sie zu Hause zu behalten.«

      »Und du hast sie trotzdem weggebracht?«

      Diese naive Kinderfrage brachte Daniel fast aus dem Gleichgewicht. »Ich selbst kann mich nicht um sie kümmern. Ich arbeite den ganzen Tag«, verteidigte er sich.

      »Aber sie hat doch noch eine Mutti? Oder nicht?«

      »Doch.« Daniel nickte. »Sie hat noch eine Mutti. Aber die hat keine Zeit für ihr Kind.«

      »Was macht sie denn?«, wollte Jens wissen.

      »Sie dreht Filme.«

      »Ist sie eine Filmschauspielerin?«

      Daniel nickte. »Eine berühmte sogar.«

      Auf Daniels Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. Deshalb fragte Jens nicht weiter. Er besaß ein feines Gespür für die Stimmungen Erwachsener.

      Sophienlust wirkte an diesem Spätnachmittag wie ausgestorben. Ein Teil der Kinder war zum Tierheim gefahren, die anderen waren im Park oder im Haus.

      Daniel wurde von der Heimleiterin wie ein alter Bekannter begrüßt. »Ich rufe sofort Frau von Schoenecker an und sage ihr, dass Sie da sind. Sie will herüberkommen, um selbst mit Ihnen zu sprechen.«

      Jens war schüchtern hinter Daniel stehen geblieben. Jetzt reichte er der Heimleiterin die Hand und machte einen Diener. Er war so verwirrt, dass er vergaß, etwas zu sagen. Schon der große Park und das schlossartige Haus hatten ihn erstaunt. Vollends durcheinandergebracht hatte ihn dann die große Halle

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