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Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
Читать онлайн.Название Sophienlust Staffel 15 – Familienroman
Год выпуска 0
isbn 9783740975692
Автор произведения Elisabeth Swoboda
Жанр Языкознание
Серия Sophienlust Staffel
Издательство Bookwire
»Sitzt ja wie angegossen«, stellte Daniel fest, als Jens in der ersten neuen Hose aus der Kabine kam. »Schau einmal in den Spiegel.«
Jens starrte sein Spiegelbild ungläubig an. Die Verkäuferin reichte ihm nun eines der beiden Hemden.
Jens zog es an, und plötzlich sah er aus wie die Kinder wohlhabender Eltern, die er immer beneidet hatte und die für ihn auf einem unerreichbaren Sockel gestanden hatten.
»Gut siehst du aus«, sagte Daniel. »Die Sachen passen dir und stehen dir. Möchtest du sie behalten?«
Jens wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte nicht unverschämt sein, hätte aber sehr gern ja gesagt.
»Fragen wir einmal anders herum. Gefallen sie dir?«
»O ja.« Jens nickte eifrig.
»Na also. Dann nehmen wir das alles«, bestimmte Daniel.
»Alles auf einmal?« Jens’ Augen wurden ganz groß. Das waren zwei Hosen, zwei Hemden, ein Pullover und eine Jacke.
»Natürlich alles.« Daniel musste lachen. »Du brauchst noch viel mehr.« Er suchte Socken und Unterwäsche aus und fragte die Verkäuferin nach dem nächsten Schuhgeschäft.
»Darf ich …« Jens wurde rot. »Darf ich etwas gleich anziehen?«
»Du musst sogar«, bestimmte Daniel.
Nach einer weiteren halben Stunde besaß Daniel zwei Paar neue Schuhe, eine Sonnenbrille und einen leichten Sommermantel. Er kam sich vor wie im Schlaraffenland und hätte seinen Beschützer gern gefragt, warum er das alles für ihn tat. Außerdem hätte er gern gewusst, wohin er ihn bringen wollte. Doch er wagte es nicht, danach zu fragen. Er war so überwältigt, dass er kein Wort mehr herausbrachte.
Immer wieder glitt sein Blick hinab zu den wunderschönen glatten Lederschuhen. Er wagte es kaum damit richtig aufzutreten. Aus Angst, sie könnten sich zu schnell abnutzen.
»Und jetzt müssen wir unbedingt etwas essen, bevor wir weiterfahren«, sagte Daniel. »Ich sterbe nämlich vor Hunger. Wie ist es mit dir?«
Jens nickte aus lauter Höflichkeit. Er war viel zu aufgeregt, um Hunger zu haben. Aber er wollte diesem Fremden, der ihn so gut behandelte, auch nicht widersprechen. Noch nie war jemand so gut zu mir, dachte er. Und nun rutschte ihm doch die Frage heraus, die ihn so brennend interessierte: »Warum …, warum tun Sie das alles für mich, Herr Fernau?«
Daniel legte die Speisekarte, die er gerade in der Hand hielt, beiseite. »Weil ich möchte, dass du gut aussiehst, wenn du zu deiner Mutter kommst.«
Jens begann zu zittern. Er setzte zum Sprechen an, brachte aber kein Wort hervor.
»Entschuldige«, bat Daniel. »Ich hätte dir das nicht so plötzlich sagen dürfen. Aber du wusstest doch, dass Herr und Frau Nissen nicht deine richtigen Eltern sind? Das hast du jedenfalls vorgestern Abend zu mir gesagt.«
»Ja, ja«, antwortete Jens schnell. »Aber ich habe nicht gedacht, dass ich meine richtigen Eltern jemals kennenlernen würde.«
»Vorerst lernst du nur deine Mutter kennen.« Daniel wusste selbst nicht, warum er dem Jungen nicht sagte, dass er selbst der Vater war. Doch er wollte erst einmal Jens’ Vertrauen gewinnen.
»Kennen Sie meine Mutti schon lange?«, fragte Jens scheu.
Daniel nickte. »Sehr lange. Sie ist sehr krank und hat keinen sehnlicheren Wunsch, als dich kennenzulernen.«
Jens erschrak. »Wird sie wieder gesund?«
»Ich weiß es nicht«, log Daniel.
»Warum durfte ich sie nicht schon früher kennenlernen?«, fragte Jens weiter. In seinem Kopf ging alles drunter und drüber. So viele Jahre hatte er sich gesehnt, seine Eltern kennenzulernen. Und zwar genau seit der Nacht, in der er ein Gespräch seiner Stiefeltern belauscht hatte. Damals war seine kleine Welt für ihn zusammengebrochen, obwohl er nie gut von den Nissens behandelt worden war. Aber er hatte geglaubt, wenigstens richtige Eltern zu haben, auch wenn sie arm waren. Und dann dieser Schock. Eine ganze Nacht lang hatte er geweint. Und vom nächsten Morgen an hatte er seine Stiefeltern gehasst. Dafür, dass sie seine Stiefeltern waren. Dafür, dass sie ihn immer schlugen. Und dafür, dass er immer zerlumpt und barfuß herumlaufen musste und von allen Kindern ausgelacht und gehänselt wurde.
»Ich werde dir die Geschichte deiner Mutter erzählen«, versprach Daniel ihm. »Dann wirst du alles verstehen. Jetzt such dir erst einmal etwas zu essen aus.«
Hilflos betrachtete Jens die umfangreiche Speisekarte.
»Du kannst doch lesen, oder?«, fragte Daniel.
»Schon, aber …«
»Was aber?«
»Ich weiß nicht, was das alles ist. Zu Hause gab es immer nur Eintopf, und sonntags Schweinebraten.«
»Dann frag mich doch einfach«, riet Daniel ihm.
»Kennen Sie das alles?« Grenzenlose Bewunderung lag in Jens’ Stimme. Da standen französische und englische Ausdrücke auf der Karte. Die hatte der alte Nissen nicht einmal aussprechen, geschweige denn verstehen können.
»Ich bin ja auch ein bisschen älter als du«, sagte Daniel lächelnd.
Da Daniel gerade so guter Laune war, hätte Jens ihn gern gefragt, in welchem Verhältnis er zu seiner Mutter stand. Doch er traute sich nicht. Deshalb sagte er nur, dass er gern Schweinswürstel essen würde.
»Schweinswürstel?«, fragte Daniel. »Warum bestellst du dir nicht etwas Richtiges? Einen Schweinebraten oder ein Steak?«
»Ich habe noch nie ein Steak gegessen«, gestand Jens leise.
»Dann wird es Zeit, dass du es kennenlernst.« Er bestellte für Jens ein Steak und für sich einen Schweinebraten. Dann erzählte er Jens Anjutas Geschichte. Er ließ kaum etwas aus – außer der Tatsache, dass er selbst Jens’ Vater war.
»Dann sind diese Leute in Hamburg wohl meine Großeltern?«, fragte Jens scheu.
»Das sind sie. Aber ich glaube nicht, dass du sie jemals kennenlernen wirst.«
»Das will ich auch gar nicht«, sagte Jens, »wenn sie so gemein zu meiner Mutti waren.«
Das Wort Mutti kam ihm schon ganz selbstverständlich über die Lippen.
Sie unterbrachen ihr Gespräch, als der Ober mit dem Essen kam. Jens’ Augen wurden groß und rund. Sogar Pommes frites lagen auf seinem Teller. Die aß er für sein Leben gern, hatte sie aber nie bekommen, nur ein einziges Mal probiert.
Jens aß mit großem Appetit. Es machte Daniel Freude, ihm dabei zuzusehen. Jens war ein hübscher Junge. Besonders in den neuen Sachen. Man konnte direkt stolz auf ihn sein.
»Jetzt müssen wir aber losfahren«, sagte Daniel nach dem Essen. »Sonst erreichen wir Davos heute nicht mehr.«
Die Fahrt nach Davos war für Jens ein großartiges Erlebnis. Das begann schon mit dem schönen großen Wagen, in dem er fahren durfte. Und was er alles sah! Er war ja bisher noch nie aus Deutschland herausgekommen. Schon Österreich begeisterte ihn. Und dann erst die Schweiz. Seine Wangen glühten, und seine Augen leuchteten.
Daniel selbst stellte ebenfalls fest, dass ihm eine Autofahrt noch nie soviel Spaß bereitet hatte. Er kannte die Namen aller Berge, die sie sahen, und machte Jens auf besonders schöne oder alte Bauten aufmerksam. Er erwähnte auch wichtige Begebenheiten aus der Geschichte der Schweiz.
Sie erreichten Davos am späten Nachmittag. Hier wurde Jens vor Staunen ganz still. Aber als Daniels Wagen vor dem Sanatorium hielt, überfiel den Jungen ängstliche Nervosität. »Ist sie darin?«
»Ja.« Daniel stieg aus.
»Weiß sie, dass