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Ihre Tiere sind der Kranich, die Krähe und die Wildsau, aber auch der Schmetterling. Ihre Farbe ist schwarz. Ihr Symbol ist der Kessel, die abnehmende Mondin, die Sense und die Sichel.

      Die Greisin ist die alte Frau, die das Leben gesehen und ihre Erfahrungen gemacht hat – und die Todesbotin. Die Eibe, die oft auf Friedhöfen gepflanzt ist, ist ihr Baum. Wenn die Bäume ihre Blätter abwerfen und kahl und schwarz in graue, regnerische Novemberhimmel ragen, kehren wir uns nach innen und gedenken unserer Ahninnen. Wir lassen die Dinge sterben, die unserem Leben nicht mehr dienlich sind, und säen die Saat unserer Absichten für das neue Jahr. Bei den Kelten stand der Tod nicht am Ende: unvermeidlich, bedrohlich und schreckenerregend. Vielmehr war er der Beginn eines neuen Kreislaufs, untrennbar mit dem Leben verwoben und das Leben mit ihm. Die Greisin schenkt uns den Tod und die Wiedergeburt, das Sprengen der Ketten und die Transformation.

       Matrona

       Göttin der Transformation

      Matrona ist uns heute durch römische Inschriften und Weihesteine aus der südlichen Germania Inferior6 bekannt. Dort werden drei Frauen nebeneinander sitzend abgebildet, die in ihren Schößen mit Obst und Brot gefüllte Körbe halten. Die beiden Äußeren tragen Hauben, groß und rund wie der volle Mond, während die Frau in der Mitte mit offenem glatten Haar dargestellt wird. Es gibt keinerlei erhaltene Schriftquellen.

      Matrona wird auf den Weihesteinen in ihrer Erscheinung als Greisin-Mädchen-Mutter abgebildet. Dies verraten uns die Hauben, die, der germanischen Tracht der Ubierinnen entsprechend, nur von verheirateten Frauen getragen wurden. Dies bedeutet, dass in der Mitte eine junge Frau sitzt. Allgemein interpretieren Archäologen diese drei Frauen als eine Dreiergruppe von Muttergöttinnen, die Drei Matronen. Tatsächlich zeigt sich hier jedoch die Große Göttin in ihren drei Aspekten selbst.

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       Weihestein mit Gaben für Matrona auf der Görresburg oberhalb von Nettersheim, Nordrhein-Westfalen

      Die römischen Weihungen sind grammatikalisch uneinheitlich: Mal ist von den Göttinnen im Plural die Rede, dann im Singular und manchmal sogar gemischt (Dea Matronae).7 Auch die vielfältigen Beinamen dieser Matronae weisen darauf hin, dass die Macht der Göttin alles umfasste: sie beziehen sich manchmal auf die Familiennamen oder Stammeszugehörigkeit der Stifter der Steine (z. B. die suebischen Matronen), manchmal auf regionale Landschaftsmarken (z.B. Flüsse, Bäume, Dörfer usw., vgl. Renahenae = die rheinischen Matronen) und beschreiben manchmal das Wesen der Göttin: die Gebenden, die Hohen, die Heilenden oder die Matronen des Schicksals.

      Wir haben es hier also mit einer Göttin zu tun, deren Machtwirken alle Lebensbereiche durchdringt, die in drei Erscheinungsformen abgebildet ist und die sich ewig wandelt. Die vollen Körbe betonen ihren fruchtbaren Schoß. In den Körben finden sich Äpfel und Birnen. Äpfel stehen für die Unsterblichkeit, die der ewige Kreislauf der Göttin – von Leben, Tod und Wiedergeburt – schenkt. Die Birne bildet in ihrer Form die Gebärmutter ab, in der das neue Leben entsteht. Beide Früchte sind somit weibliche Ursymbole, die Leben, Sterben und Wiedergeburt versinnbildlichen. In den Schoß der Göttin kehrt alles zurück, was stirbt, und aus ihrem Schoß werden wir wiedergeboren. Darum wird Matrona auf dem deutschen Jahresrad der Göttin vor allem im Nordwesten in ihrem Aspekt als Greisin, als Todesbotin und Verwandlerin, verehrt.

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       Die drei Gesichter Matronas (auf einem Weihestein auf der Görresburg)

       Hel

       Die Göttin der Unterwelt

      Die Göttin der Unterwelt ist Hel. Ihre eine Körperhälfte ist weiß, die andere schwarz. Sie reitet auf einem Pferd oder fährt in einem Wagen über das Land und sammelt die Toten ein. Hel, oder Helja, ist die Göttin, der wir am Ende unseres Lebens alle begegnen. Ihr Name bedeutet bergend.8 Wer einmal in ihr Reich Niflheim eingegangen ist, kann dieses nicht wieder verlassen.9 Niflheim ist eines von mehreren Jenseitsreichen der nordischen Mythologie, die alle mehr oder weniger auf eine bestimmte Gruppe von Menschen eingestellt sind.10 Das Totenreich Heljas allerdings steht allen offen, die an Alter oder Krankheit sterben. Sie ist der Inbegriff der Totengöttin, die uns alle am Ende in ihre leuchtende Dunkelheit in Empfang nimmt und dem Sterben den Schrecken nimmt.

      Hel hat, wie wir alle, zwei Seiten, die sie deutlich zeigt.11 Sie ist gleichzeitig erschreckend und wohlmeinend – der Tod ist nicht immer schrecklich. Hel lehrt uns, unsere eigenen zwei Seiten anzunehmen. Oft lernen wir in unserem Leben, eine Hälfte von uns abzulehnen – bestimmte Dinge, die wir fühlen oder die wir getan haben. Wenn wir das tun, können wir seelische Krankheiten entwickeln, und dann müssen wir die Reise nach Niflheim antreten. Auch Schlimmes, das uns widerfährt, und woran wir keine Schuld tragen, kann ein Auslöser für einen Sturz in die Unterwelt sein. Dann ist Niflheim der Inbegriff der trostlosen Totenwelt.

      Der Name bedeutet Nebelheim, und man gelangt über den Hellweg dorthin. Niflheim liegt unter den Wurzeln der Weltesche Yggdrasil, in dessen Mitte sich der Brunnen Hwergelmir, das bedeutet rauschender Kessel oder alter Kessel, befindet. Aus diesem Brunnen ergießen sich zwölf eisige Flüsse, von denen Gell am dichtesten an Hels Wohnung vorbeifließt. Dies ist nicht der Ort der Anderswelt, an dem die Seele sich auf die Wiedergeburt vorbereitet. Auch ist dies nicht die angsteinflößende Hölle der Christen. Zwar wurde der Name dieser Vorstellung von Hels Namen abgeleitet, doch hat dieses brennende Inferno nichts mit Hels düsterem Reich gemein.

      Niflheim ist ein finsterer, kalter Ort fernab der Welt der lebendigen Menschen, ohne Ausweg, Hoffnung oder Freude. Es ist der Ort tiefster Depression und Einsamkeit, das unterirdische Totenreich eine innere, psychische Unterwelt. Hel ist die Königin dieser Unterwelt, in die große Traurigkeiten, Schicksalsschläge und Ähnliches uns hinabstürzen können. Wie die sumerische Inanna in die Unterwelt ihrer Schwester Ereshkigal hinabsteigt, so steigen auch wir im Laufe unseres Lebens mindestens einmal, meistens jedoch öfter, in die Unterwelt hinab, um uns selbst zu finden. Diese Zeiten in der Dunkelheit sind oft schmerzhaft und schwierig, doch ist Hel bei uns, ohne uns zu quälen und ohne Grausamkeit. Sie ist einfach nur anwesend, Halterin dieser seelischen Unterwelt und Zeugin.

      Und dann zeigen sich auch in Niflheim die zwei Seiten der Hel. In diesem finsteren Reich gibt es auch goldene Säle, in denen Met getrunken wird, und es öffnet sich ein Ausweg: In Hels leuchtender, nährender Dunkelheit, sind wir bei ihr, und wenn wir uns lang genug in Niflheim aufgehalten und das Zentrum dieser Dunkelheit gefunden haben, stoßen wir auf den rauschenden Kessel.

      Der Kessel ist ein altes Symbol für die Göttin. In den keltischen Mythologien besitzen die Göttinnen zahlreiche magische Gefäße, aus denen ihre Gaben fließen. Der Kessel ist das mächtigste von ihnen, denn in ihm geschieht Veränderung. Die Göttin rührt in ihm und zerstört dadurch das alte Gerüst, das das Leben zusammenhält und die Realität definiert. Wie in einer Spirale werden wir herumgewirbelt, wenn wir uns in Hels Unterwelt befinden, verlieren den Boden unter den Füßen und erkennen uns selbst nicht mehr. Doch die Bausteine werden neu zusammengesetzt. Der Kessel steht für den Bauch und die Gebärmutter der Göttin, aus der wir wiedergeboren werden; und wenn für uns die Zeit kommt, dass die Dinge und wir selbst verwandelt wurden, kehren wir aus der Unterwelt zurück: freier, stärker und mehr wir selbst als zuvor. Hels Dunkelheit ist nicht grausam und bedrohlich, sondern leuchtend und nährend. Wie in der Dunkelheit im Mutterschoß sind wir in ihr geborgen, und jede Geburt findet immer aus der Dunkelheit heraus statt.

      Hel ist auch ein anderer Name für den Unterweltsaspekt der Großen Holle. Ein Abstieg nach Niflheim und eine Wiederkehr von dort, aus Holles Totenhöhle,12 sind kraftvolle Erfahrungen, einschneidende Initiationen, die uns für

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