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      »Ah ja, gut so«, war alles, was sie ihrem Chef entlocken konnte. Der hängte seinen Mantel an einen wackligen Kleiderständer, startete seinen PC auf und belohnte die Praktikantin vorläufig mit keiner weiteren Aufmerksamkeit. Er rückte Bleistift, Locher und Bostitch in den rechten Winkel. Die Putzfrau, die sein Pult abstaubte, störte allabendlich die Symmetrie. Immerhin lagen die Tageszeitungen sauber gefaltet auf seinem Pult. Während sein Computer mit dem Installieren von Updates beschäftigt war, sah sich Hutter die Presse durch. Überall waren sie auf der Frontseite, sogar in den überregionalen Blättern. Eine Tote im Museum hatte zweifellos Glamour. Leider ließ sich das von ihm auf den Bildern nicht sagen. Er sah mit der glänzenden Stirn, dem zerknitterten Hemd und der schief sitzenden Krawatte aus wie eine billige Kopie des berühmten TV-Inspektors Columbo. Außer dass bei dem nie Schweißtropfen zu sehen waren. »Na ja«, meinte Hutter tröstend zu sich selbst und schaute mit leerem Blick auf den Bildschirm, der immer noch keine Arbeitsoberfläche zeigte.

      »Möchten Sie einen Kaffee?« Lisa Lehmann hätte in einem Pflegeberuf bestimmt eine blendende Figur gemacht. Fehlte nur noch die Frage: »Wie geht es uns denn heute?«

      »Hmm?«

      »Kaffee?«

      Die Konversation zwischen Hutter und Lehmann beschränkte sich tatsächlich auf das Wichtigste. Sie vernahm ein undeutliches Grunzen, das sie als »Ja« interpretierte. Als sie mit dem Becher schlechten Automatenkaffees zurückkehrte, hackte Hutter mit dem Zeigefinger der rechten Hand sein Passwort in die Tastatur.

      »Haben wir was?«, fragte er eher beiläufig.

      »Sagte ich doch schon.«

      »Ach so.«

      Seine Eingabe hatte Erfolg, und endlich erschien die Arbeitsoberfläche.

      »Haben sich Zeugen gemeldet?«

      »Das auch. Aber ich habe was viel Interessanteres …« Lehmann wartete auf eine Reaktion ihres Chefs. Als diese ausblieb, schob sie freiwillig nach: »Es gibt Bilder der Tatnacht von der Überwachungskamera im Foyer des Museums.«

      »Soso … Gut!«

      Mann mit Hut

      Sie fuhren in einem Zivilauto vor. »Nur kein unnötiges Aufsehen«, hatte ihm Polizeikommandant Wiesendanger eingeschärft, im Wissen darum, dass Hutter in den vergangenen Jahren selten eine Anstrengung unternommen hatte, die über das Nötigste hinausging. »Winterbergs und Regierungsrat Streuli sind so.« Dabei ließ Wiesendanger seine Zunge herausquellen und verdrehte die Augen. Eine Geste, die Hutter als obszön empfand.

      »Keine Sorge.« Hutter wollte auch bei seinem Chef kein ganzer Satz gelingen. »Eine Befragung. Wegen dem Bild. Das fehlt.« In Brocken würgte er die Informationen heraus.

      »Sie wissen, was zu tun ist«, beendete Wiesendanger das Gespräch. Hutter war auf dem Beifahrersitz während der Fahrt nach Conradsberg kurz eingenickt. Lisa Lehmann, die das Auto steuerte, nahm dies als Kompliment für ihren umsichtigen Fahrstil. Genauso wie das »Soso«, mit dem Hutter ihre Entdeckung auf den Aufnahmen der Überwachungskamera kommentiert hatte: Ein Mann – das Gesicht war nicht zu erkennen, da er einen breitkrempigen Hut trug – betrat um 21.14 Uhr das Museum. Er wurde von Amélie Cohen am Eingang abgeholt, ging mit ihr in den ersten Stock und trat aus dem Bereich, der von der Kamera erfasst wurde. Um 21.22, nur acht Minuten später, verließ der Unbekannte das Gebäude wieder auf demselben Weg, freilich ohne Begleitung. Zeitlich passte das hervorragend mit dem vermuteten Todeszeitpunkt zusammen. Leider boten die weiteren Kameras, die vor dem Museum den Verkehr überwachten, keine neuen Informationen. An jenem Abend herrschte dicker Nebel. Für einen weiteren Zeugenaufruf war das Bildmaterial definitiv zu schlecht: Gesucht wird ein Mann, der Hut trägt – lächerlich!

      »Sind wir denn wenigstens sicher, dass es ein Mann ist?«

      »Er ist bestimmt über 1,80. Sein Gang und die ganze Postur. Vor allem die Aufnahmen, in denen er neben Amélie Cohen geht: ganz eindeutig ein Mann.«

      »Immerhin minus 50 Prozent.«

      Mit dieser Erkenntnis klingelten Hutter und Lehmann an der Pforte von Schloss Conradsberg. Sie wurden von Monika Reuter empfangen, der Haushälterin und guten Seele des Schlosses. »Ihr Besuch wurde angekündigt. Frau Winterberg erwartet Sie im Salon. Möchten Sie eine Tasse Tee?«

      »Hmmpf?«

      »Ja gerne!«

      Ein Landei auf dem Schloss

      Ich stand an dem Nachmittag in der Küche und schälte Zwiebeln. Sie müssen wissen, Winterbergs lieben Zwiebeln. Ist ja auch kein Problem, bei getrennten Schlafzimmern. Ich ahnte nicht, dass der heutige Besuch derart weitreichende Folgen haben würde. Der Herr Kommissar und seine Begleitung machten nämlich einen sehr anständigen Eindruck, so was erkenn’ ich auf den ersten Blick.

      Sie werden mich nicht kennen: Ich bin Monika Reuter. Seit über 40 Jahren arbeite ich für die Familie. Als ich auf Schloss Conradsberg begann, war der Herr Winterberg frisch verheiratet mit der Gabriela, der ersten Frau Winterberg. Mei, war das eine gute Frau. So was von kultiviert! Hatte nie ein strenges Wort, auch nicht für uns Bedienstete. Und obwohl in jenen Jahren die beiden Kinder, die Stephanie und der Alexander, zur Welt kamen, hat sie immer mitgeholfen, zum Beispiel bei den großen Banketts, die der Herr Winterberg damals oft ausrichten ließ. Geschäftsfreunde aus der Brauerei- und Gastro-Welt. So viel Glanz in dieser Hütte. Ach, da werde ich ganz sentimental!

      Für mich, das Landei aus Bayern, war die Anstellung auf Schloss Conradsberg die große Chance. Ich wuchs in ganz einfachen Verhältnissen auf, müssen Sie wissen. Auf dem Land, auf einem Bauernhof. Ein hartes Leben, das meine Eltern da führten. Sie waren zufrieden damit, aber ich sollte es einmal besser haben. Was sich halt Eltern jener Generation, die noch den Krieg erlebt haben, für ihre Kinder wünschten. »Mädchen, geh in die Schweiz, in einen vermögenden Haushalt, und lern dort den Sohn kennen und heirate den, dann hast du ausgesorgt.« Ganz so weit kam’s nicht. Natürlich hat mir der Winterberg junior damals schöne Augen gemacht. Aber erstens war er bereits verheiratet, und zweitens … egal.

      Ich fing als Kindermädchen für Stephanie, die Erstgeborene, in dem Haushalt an. Und als drei Jahre später Alexander als Stammhalter dazukam, hatte ich wirklich alle Hände voll zu tun. Zwei so hübsche, aber auch sensible Kinder. Vor allem die Steffi war viel krank. Wie viele Stunden saß ich an ihrem Bett und erzählte Geschichten? Noch heute sind wir beste Freundinnen. Und der Alexander? Das pure Gegenteil! Strotzte vor Gesundheit, war immer draußen in der Natur. Mit den Tieren konnte er es besser als mit den Menschen. Vor allem mit seinem Vater lag er sich als Teenager ständig in den Haaren. Den Betrieb sollte er mal übernehmen. Daraus wurde nichts. Auch jetzt, mit bald 75, ist der Vater noch der Chef der Brauerei. Oder er war es zumindest bis heute. Denn jetzt ist er fort, der Herr Winterberg, weggesperrt wie ein räudiger Hund.

      Verräterische Bilder

      »Schrecklich das Ganze, einfach schrecklich! So ein junges, hoffnungsvolles Leben, einfach ausgelöscht.« Christina Winterberg wirkte ehrlich erschüttert und bestätigte Hutter und Lehmann, dass Amélie Cohen das gestohlene Bild selbst ausgewählt hatte, weil es anscheinend gut zum Konzept der Ausstellung passte. »Und Köpfe waren ja wirklich drauf.«

      Da fiel Hutter etwas ein: »Gibt’s zufälligerweise ein Foto des Bildes? Könnte bei der Dingens … Suche helfen?«

      »Ich glaube nicht. Aber ich kann ja mal meinen Mann fragen. Schließlich ist er darauf abgebildet, als kleiner Junge.«

      »Ja, bitte, tun Sie das.«

      »Weiß man überhaupt, warum das Bild gestohlen wurde? Es war ja wohl nicht besonders viel wert, außer für die Familie.« Christina Winterberg erhielt keine Antwort. Lehmann schrieb eifrig Notizen in ihren Block, während Hutter scheinbar teilnahmslos in sein iPad starrte.

      »Nicht, dass es unserer Familie jemals ums Geld gegangen wäre. Ich glaube, das Bild war nicht einmal versichert.« Bleiernes Schweigen machte sich breit. Nur das Klappern des Teelöffels

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