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gehandelt.‹ Einzelheiten der Ansprache, zum Beispiel die genaue Formulierung der Dankesworte et cetera. Nachdem schnell Einigkeit geherrscht hatte, verabschiedete er sich von Frau Cohen. Das spätere Opfer habe sich bester Gesundheit und Laune erfreut, als er das Museum um genau 21.22 Uhr verlassen hatte. Ist das korrekt so weit?« Haftrichterin Hofstetter blickte zu Sebastian Hess.

      »In der Tat.«

      Winterberg schwieg weiter. »Gut, denn …« Die Haftrichterin rückte ihre Brille zurecht: »Es ergeht folgender Beschluss: Ich ordne eine Verlängerung der Untersuchungshaft gegen Winterberg, Robert, geboren am 20. Januar 1942, wohnhaft auf Schloss Conradsberg bei Seedorf, an. Nach meiner Meinung besteht eine akute Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Dieser Entscheid gilt bis Ende Monat. Dann wird eine neue Haftprüfung stattfinden.« Robert Winterberg nahm den Entscheid scheinbar ungerührt entgegen. Sebastian Hess dagegen sagte: »Wir werden eine Beschwerde gegen diese Verfügung prüfen.« Ein Polizist begleitete Winterberg zu einem grauen Lieferwagen, der ihn zurück in seine Zelle fuhr.

      Famdöbusonbra

      »Also! Der stiehlt sein eigenes Bild? Wie wahrscheinlich ist das denn?« Lisa Lehmann knibbelte gedankenverloren an einem Pickel an ihrem Kinn, der seit Tagen keine Ruhe gab.

      »Aber irgendwie …«, fing Hutter an, sein Satz endete so abrupt wie eine Welle, die kurz vor dem Strand in sich zusammenfällt.

      »Wer, wie und vor allem warum?« Lehmanns Tage in der Polizeischule lagen noch nicht so weit zurück. »Wer? Winterberg. Ich sehe keine Alternative«, gab sie sich selbst zur Antwort. »Jedenfalls sieht man keine andere Person beim Betreten oder Verlassen des Museums.«

      »Hmm!« Mehr als ein halbzufriedenes Grunzen erntete sie nicht von ihrem Chef.

      »Wie? Zum Beispiel unter dem weiten Mantel, den er trägt. Und warum? Weil er die Tatwaffe verschwinden lassen muss. Und die zufälligerweise auch noch einige Millionen wert ist.«

      »Ja, aber …« Hutter schienen Lehmanns Vorschläge nicht ganz zufriedenzustellen. »Das eigene. Das von sich. Macht doch keinen Sinn. Irgendwie.«

      »Ein Ablenkungsmanöver?«

      »Ich weiß … nicht … so recht.«

      »Famdöbusonbra ist …«, nahm die Praktikantin einen neuen Anlauf.

      »Was?«

      »63,7 Zentimeter.«

      »Nein, das vorher.«

      Lisa Lehmann war es peinlich. Französisch passte zu ihr wie zu einem Fisch das Leben an Land. So schob sie ihrem Chef den Computerausdruck unter die Nase.

      Femme debout, sans bras

      65,1 x 11,3 x 21 cm

      1958

      »Hmm …« Hutter schien nachzudenken, obwohl man ihm das nie so deutlich ansah. »Möglich.« Lehmann sah das als Bestätigung ihrer Theorie, dass der Täter, also Winterberg, die Statue unter seinem Mantel nach draußen geschafft hatte.

      »Das Stück Metall ist mehrere Millionen wert, auf dem freien Markt unmöglich zu verkaufen, sagen die Kollegen Kunst-Spezialisten in Zürich. Wird laut ihrer Ansicht irgendwo im Safe eines vermögenden Kunstliebhabers landen. Weshalb nicht auf Schloss Conradsberg?«

      Lehmann schaute zu, wie ihre These langsam in Hutter versickerte.

      »Hausdurchsuchung!«

      Ein Schritt geradeaus

      Wie viel ist ein Fick wert? Nicht ein exorbitanter. Eher so einer für eine laue Sommernacht, die man nicht allein verbringen mag. Ich sehe, Sie zögern mit der Antwort. Einige der Leserinnen schütteln sogar empört den Kopf: was für eine Frage! Während die meisten der Herren ernsthaft darüber nachdenken. Machen Sie es sich nicht so schwer. Ich sage Ihnen: Kein Fick der Welt ist jedenfalls das hier wert. Übrigens: Selbstbefriedigung ist möglich. Außer den regelmäßigen Kontrollgängen des Wachpersonals gibt es unbeobachtete Augenblicke. Aber einen Funken Selbstwertgefühl und Anstand haben die einem gelassen, sogar hier. Schmuck, Schuhbändel, Handy, alles muss man abgeben. Aber Scham und Würde, den Schmarren durfte ich mitnehmen in die Zelle.

      Ich bin kein schlechter Mensch, hören Sie! Schreiben Sie mich nicht zu schnell ab. Ja, vor allem Sie, meine Damen. Leider sind wir uns nie persönlich begegnet, weil Sie sonst … Was sagen Sie? Zum Glück sind wir uns nie begegnet. Das ist jetzt sehr taktlos. Denn ich mag Menschen, auch Sie. Wo wäre ich denn ohne all die Leute, die Bier trinken? Genau: Menschen sind mein Geschäftsmodell. Darum habe ich alles Interesse daran, dass es ihnen gut geht. Und sie wacker Durst haben.

      Sie tut mir wirklich leid, die Amélie. Ich mochte sie: Sie war ehrgeizig, klug und ausgesprochen hübsch. Auch charmant konnte sie sein; und im nächsten Augenblick aufbrausend. Ich wusste nie so richtig, woran ich bei ihr war. Glauben Sie mir: Kaputt machen würde ich so etwas nie, das gebe ich Ihnen jederzeit schriftlich! Jedenfalls war da nie Gewalt. Immer alles einvernehmlich, wie man dem heute sagt. Ich sag es Ihnen, wie’s ist: Amélie war alles in allem großartig. Aber ein Unschuldsengel war sie nicht. Im Gegenteil. Die hat sich genommen, was ihr genützt hat. Da war ich ein Teil davon.

      Jetzt ist sie tot. Und ich sitze hier. Außer ich gehe: ein Schritt geradeaus, eine Drehung um 90 Grad nach links, vier Schritte geradeaus, wieder im rechten Winkel nach links, ein Schritt, die Drehung und noch einmal vier Schritte.

      Familienidyll

      Juni 1942

      Mit den Bewegungen eines alten Mannes ging Conrad Winterberg zum Volksempfänger. Seit seiner Verwundung im vergangenen Winter hatte er ständig Schmerzen in seiner Schulter. Ein glatter Durchschuss hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. So war er, mit einem der letzten Verwundetentransporte, der Hölle Stalingrad entkommen, wo er als Freiwilliger gekämpft hatte, für Führer und Vaterland. Winterberg war der Überzeugung, die Zukunft Europas würde von Adolf Hitler gestaltet werden. Dem Mann, der jetzt hysterisch aus dem Radio krakelte, der Feind werde zurück ins Meer geworfen und der Endsieg stünde kurz bevor. Conrad Winterberg hatte Zweifel, wollte es aber glauben, dass der Krieg nicht verloren war. Ihn hatte er mit Stahlgeschäften reich gemacht. Für ihn war der Krieg vorbei. Er hatte zu jenen rund 2.000 Schweizer Männern gehört, die freiwillig in der Waffen-SS gedient hatten. Nach dem Verbot des Söldnerdienstes von 1927 hätte sich Conrad Winterberg eigentlich vor einem Militärgericht verantworten müssen. Doch seine Familie war schon damals einflussreich gewesen, und so war er offiziell als Geschäftsmann im Dritten Reich unterwegs, nicht als mordender Scherge an der Ostfront.

      Zurück in der Schweiz konnte er sich unbehelligt seinen Geschäften widmen und seiner jungen Familie. Wobei, eine richtige Familie waren sie eigentlich nicht. Conrad Winterberg hatte im Lazarett vom Tod seiner Frau Hildegard erfahren. Als er nach Deutschland gegangen war, hatte er noch nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst. Die freudige Nachricht, er sei Vater von gesunden Zwillingen, erreichte ihn an der Ostfront, zusammen mit der traurigen Botschaft, Hildegard sei bei der Geburt gestorben. Unter dem Stakkato der Stalinorgeln hatte Conrad eine Träne um seine Frau geweint. Mehr Zeit blieb nicht. Vielleicht war dies einer der Gründe, weshalb er nach seiner Rückkehr in die Schweiz nie ein inniges Verhältnis zu seinen Söhnen entwickelt hatte. Die Erziehung der Zwillinge Robert und Richard oblag dem Kindermädchen, an dessen Name sich Conrad Winterberg später nicht mehr erinnerte.

      Sie hieß Colette und kam aus dem Elsass, aber das sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Für den heutigen Tag hatte sie die Kleinen in Anzüge gesteckt und ihnen die Haare ordentlich gekämmt. Den Hemdkragen des Patrons hatte sie zweimal gebügelt und mit so viel Stärke behandelt, dass er Conrad würgte. Wieder und wieder steckte er den Zeigefinger in den Kragen, zog daran und verschaffte sich so etwas Luft. Eigentlich hätte sich Winterberg lieber um seine Geschäfte gekümmert, anstatt wieder ein paar Stunden in diesem Ohrensessel zu sitzen. Porträtmaler Niklaus Mock hob das angefangene Bild auf die Staffelei. Er prüfte es und arrangierte Winterberg: »Etwas nach links, bitte, nur ein bisschen! Sehr schön.«

      Die Zwillinge ließ er

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