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möge und den Kelch an ihm vorübergehen ließ. »Wenn nix weiter geht, werfen wir zusammen.«

      Doch die Rollen waren wie die Trümpfe klar verteilt. »Ich spiel – oder hast was dagegen, Erwin?« Der vierte Mann wurde langsam ärgerlich. Sepp ahnte Schlimmes. Wie es aussah, hatte der Bursche einen astreinen Wenz – bei dem nur die Unter Trumpf waren – auf der Hand.

      Der Neue in der Runde war der hagere, habgierige Typ. Sein Raubvogelgesicht, der lauernde, tückische Blick verhieß Ärger. Das kehlige K, das rollende R deuteten darauf hin, dass der beutegierige Berg-Bajuware aus dem südlichen Nachbarland stammte. Sepp hielt nicht sonderlich viel von ihren »Stammesverwandten«. Hinterfotzige Hinterwäldler, deppengesichtiges Diebsgesindel. Und heute plusterten sich die Speckknödelfresser wie die Gockel am Misthaufen auf, nur weil sie dank Pickerl und Pulverpisten zu Geld gekommen waren. Wie ein typischer Vertreter der alpinen Zipfelklatscher-Zunft sah der Großkotz allerdings nicht aus. Handgenähte Lederlatschen, haselnussbraune Flieger-Jacke mit Pelzkragen, moosgrüne Cargohose im Casual-Look. Fehlte nur noch die verspiegelte Ray Ban. Sonnleitner suchte sein Heil im Small Talk: »Wo bist denn her, aus Innsbruck oder von Kitz drüben?«

      Die coole Cargohose grinste nur herablassend: »Willst mir eine Ansichtskarte schicken, oder was?«

      Ehgartner kicherte wie ein Ziegenbock: »Hofergasse 1 A, haha!«

      »Nix für ungut, Salute!« Der unverschämte Kerl, den Ehgartner als »guten Geschäftsfreund und aufrechten Patrioten« gebauchpinselt hatte, erhob das Glas zu einem Toast: »Auf uns, ein einig Volk und Vaterland!«

      Ehgartner strahlte über beide Schlitzohren: »So ist es recht, Fichtner! Wir halten zusammen wie Pech und Schwefel! Wir sind von einem Schlag, schlagen mit geballter Kraft zu. Wir jagen dieses ganze Gesindel zum Teufel und holen uns unser Land zurück.« Wie die bilaterale »Kooperation« zwischen Bayern und Tirolern im Detail aussehen würde, darüber schwieg sich Ehgartner geflissentlich aus. Rabensteiner war wie erwartet – schließlich stammte die Sippschaft seines Vaters aus einem dieser finsteren Bergtäler – sofort Feuer und Flamme: »Bayern und Tirol, dass isch lei oans! Das ist unsere Heimat, die gehört uns allein. Ned den Negerwaschln.« Veitl spuckte gerne große Töne, zumal er zu Hause nichts zu gacksen hatte. Sonnleitner war kein Freund solch zweifelhafter Stammtischparolen. Er war bekennender Bayer und stolz darauf. Deswegen musste er mit seiner Weltanschauung nicht hausieren gehen. Extremismus, in jeglicher Form, war der falsche Weg. Und führte nur zu Hass und Unfrieden. Dass er sich mit ketzerischen oder gar rassistischen Äußerungen zurückhielt, hatte rein pragmatische Gründe: Er war Polizeibeamter, da war es allemal gescheiter, unter dem Radarschirm zu bleiben. Auch wenn er nicht im Dienst, sondern auf der Verliererstraße war.

      Ehgartner gab sich einen Ruck. »Herz sticht! Heute ist Zahltag.«

      Sonnleitner zischte: »Geh verreck, so ein Dreck.« Hilfeheischend schielte er zu Rabensteiner hinüber. Ihre Blicke kreuzten sich – ein Solo würde ins Geld gehen. Sepp Sonnleitner und Vitus Rabensteiner waren ein eingespieltes Tandem. Seit den Tagen, als sie auf getunten MZ Mopeds zum Grand-Prix-Rennen in Imola gedüst waren – in Nietenjacken, mit zwei Biertrageln und wenig mehr im Gepäck. Sepp und Vitus waren aus demselben Holz gedrechselt. Bayerische Eiche. Sture Dickschädel, die sich in die Haare kriegten und wieder aussöhnten. Aus ähnlich robustem Erbmaterial, doch nach Charakter und Physiognomie durchaus verschieden. Rabensteiner war etwas kräftiger, grobknochiger. In seiner Sturm-und-Drang-Zeit hatte er sich zum Kraftpaket hochgehantelt. Anfang 30 war er jedoch vom Barras-Beau zum Bundesgrenzschutz-Beamten mutiert und hatte gehörig Hüftspeck angesetzt. Bei Sepp hatte es nie zum Muskelmonster gereicht. Er taugte weder zum Athleten noch zum Asketen. Schon als Säugling hatte er mit wahrer Wonne an der Mutterbrust genuckelt. Später dann, im zarten Alter von fünf oder sechs Jahren, hatte der »Sepperl« die kulinarischen Schätze der heimischen Schmankerlküche entdeckt. Die Oma hatte ihren »Enkerl« mit Rindsrouladen, Kalbsnierenbraten, Rahmgeschnetzeltem, Strudel und Striezel verwöhnt. Von da an war es um ihn geschehen. Kalorienarme Grünkost seitdem vom Speiseplan gestrichen: Kaiserschmarren mit Weinbeerl, Krautnocken, marinierte Schweinshaxenscheibchen, Schmorbraten in Dunkelbiersoße. Die »kalorienarme« Kochkunst war ein Garant dafür, dass man nicht zum Knochengerüst abmagerte. In jungen Jahren war er durchaus ein fescher, wenn auch etwas untersetzter Bursch gewesen, vor dem kein Gipfel, keine Gämse sicher war. Erst nach der Heirat mit Vroni war er wie ein Germknödel auseinandergegangen. Liebe ging bekanntlich durch Magen und Gedärm. Ein Prozess, der langsam, quasi organisch vonstattengegangen war. Wie die Eichen im Wald hatte er Jahr um Jahr an Masse und Volumen zugelegt. Vor allem um die Leibesmitte. Bis sämtliche Hosennähte zu platzen drohten. Dieser Umstand hatte Veronika Sonnleitner dazu bewogen, den »gwamperten Uhu« rigoros auf Diät zu setzen. Wellfleisch, Wammerl & Co. wurden ersatzlos gestrichen. Die Fastenzeit hatte den gewünschten Effekt erbracht. Die Waage zeigte zehn Kilo weniger an als noch vor einem Jahr. Er war ganz »spitzig« im Gesicht, wie er fand, aber seine altgediente Lederhose passte wieder wie angegossen.

      Erwin Ehgartner rieb seinen himbeerroten, von einem feinen Geäst kapillarer Blutgefäße durchflochtenen Zinken und strahlte über beide Schweinebacken. »Packt’s den Geldbeutel aus!« Seine Wieselaugen glänzten wie bei der Hennen-Hatz im Hühnerstall. Sonnleitner strich sich eine widerborstige Strähne aus der Stirn. Die dichten Brauen des Tirolers zogen sich erstaunt zusammen. Er bleckte eine Reihe perlmuttweißer Zähne und leckte sich die Oberlippe: »Herz Solo? Bist du dir da sicher? Da drauf spritz ich!« Sein Lächeln war so tückisch wie das eines Beutelschneiders, der einen Sack voller Dukaten in Griffweite wähnte. Eine schier unerträgliche Spannung lag in der Luft. Ehgartner reckte sein Doppelkinn kämpferisch vor: »Einen Stoß gibst! Sapperlot, du traust dich was, Bürscherl.« Jeder am Tisch wusste, was die Stunde geschlagen hatte. High Noon – Showdown! Erwin Ehgartner saß vorn. Er war also am Zug. Er hatte eine lauernde Haltung eingenommen und bellte wie ein speckschwartiger, übellauniger Seelöwen-Bulle: »Gras hat ein jeder, sogar der Allerbleder.« Dann drosch er den Gras Zehner auf den Tisch. Nun war es an ihm. Sepps graue Zellen fuhren Sonderschichten, exerzierten verschiedene Szenarien durch. Er äugte zum »Feind« hinüber und kratzte sich hinterm Ohr. Wo war die Lücke in seinem Blatt? Bei einem Solo gab es nur eines – Mut zum Risiko. Er zückte die Gras Sau – und kommentierte lapidar: »Willst du Haue, spiel die Blaue!«

      Ehgartner lief puterrot an und brüllte wie ein Mastochse am Spieß: »So ein Mordsmassel! Zieht mir der Sauhund den Spatzen!« Wütend schlenzte er den blauen Achter quer über den Tisch. Der Tiroler orakelte so dunkel und doppeldeutig wie die Pythia von Delphi: »Das Glück vom Goaßpeterl ist das Pech der Marie!« Fichtner war Gras frei – und schmierte den Schellen Zehner. Die Sau brachte 11, die beiden Zehner jeweils 10 Augen, machte summa summarum 31. Die halbe Miete. Mit einem diabolischen Lächeln zückte Sepp eine weitere Lusche, die Schellen Sieben.

      Rabensteiner jauchzte schadenfroh: »Feine Farbe. Schon blöd ha? Dein Freunderl aus Tirol ist frei – und ich hau ein Pfund nei!«

      Ehgartners Gesicht war eine Grimasse wilder Entschlossenheit. »Ich ziehe euch Schafbeidlwaschern die Lederhosen stramm!« Beim Schafkopf ging es ums Ganze, um Gedeih oder Verderb, um Leben oder Tod.

      Der Kampf der Titanen ging in die entscheidende Phase. Sie hatten 56 Augen am Konto. Fünf Augen noch – und der Sieg wäre ihrer! Ein Solo mit vier Laufenden plus Stoß – beim bloßen Gedanken daran wurde ihm schummerig. Der Parade-Patriot hatte sich verbissen gegen das drohende Debakel gestemmt und seine Trumpf-Flöte ausgespielt. Fünf Stiche in Folge gemacht, doch noch war er gerade mal Schneider frei. Ehgartner war ein Alpha-Tier, das gern groß auftrumpfte. Andererseits war er ein schlauer Fuchs, der wusste, wie man ein Hühnchen rupfte. Der letzte Stich würde der alles entscheidende sein. Hatte der Tiroler noch ein As im Ärmel? Im Eifer des Gefechts hatte Sonnleitner den Überblick komplett verloren. An sich unverzeihlich – doch in dieser Ausnahmesituation verständlich. Am Tisch war es totenstill wie im Leichenschauhaus bei der Autopsie. Es war so still, dass man eine Sektionsnadel hätte fallen hören. Sepp suchte in den Mienen seiner Mitspieler zu lesen wie eine Hellseherin im Kristallglas. Rabensteiner kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe herum. Fichtners Gesichtsmuskeln zuckten unkontrolliert. Ehgartners Batzelaugen glänzten gierig. »Rück den Herz Zehner raus! Euch Bratwürste röste ich auf dem Kugelgrill.« Fichtners Finger krampften sich um die

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