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      © 2020 – e-book-Ausgabe

      Überarbeitete Neuausgabe

      Originalausgabe 2012

      (Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer)

      RHEIN-MOSEL-VERLAG

      Zell/Mosel

      Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel

      Tel 06542/5151 Fax 06542/61158

      Alle Rechte vorbehalten

      ISBN 978-3-89801-889-0

      Ausstattung: Stefanie Thur

      Titel: ullstein bild

      Monika Littau

      Die sehende Sintiza

      Buchela – Pythia von Bonn

      Roman

      Rhein-Mosel-Verlag

      Für B.

      Kai-pe-sina, Kai-pe-nana (Es war, es war nicht) Einleitungsformel südeuropäischer Roma zu Beginn einer Geschichte

       Dein Ort ist / wo Augen dich ansehen … (Hilde Domin)

      Prolog

      Sie sitzt im goldenen Plüschsessel und starrt auf ihre Füße.

      Was hat sie denn für Schuhe an?

      Die Lippen fest aufeinander gepresst, bückt sie sich, streift die plumpen Dinger, die gar nicht aus Leder sind, sondern aus irgendeinem Stoff oder Filz, von den Füßen und schleudert sie unter den Wohnzimmertisch. Sie starrt den Schuhen hinterher, entspannt sich, als sie feststellt, dass sie außer Sichtweite sind. Die Falten rund um den Mund werden flacher. Sie lächelt.

      Auf Strümpfen geht sie ins Schlafzimmer, öffnet den Schrank und überblickt die vielen Paar Schuhe, die auf dem Boden stehen. Offene und geschlossene Schuhe, viele schwarze Paare dabei, weiße auch, und sogar schwarzweiße.

      Sie kauert sich auf den Boden und nimmt ein Paar nach dem anderen heraus, bis sie Damenpumps mit einer großen runden, strassbesetzten Schnalle in Händen hält. Genau die hat sie gesucht. Die Schuhe hat sie mit Romi gekauft. Und getragen hat sie die auf dem Presseball. Romi hat auch ein Paar bekommen. Wollte rote. Rote Schuhe! Und dann noch flache Treter. Aber so ist sie eben, die Tochter, die Bocka. Gar nicht weiblich. Immer muss es bequem sein. Und am besten ein kleines bisschen auffällig.

      Rund um Buchela ist der Boden bedeckt mit ihren Schuhen. Einen Moment lang sitzt sie bewegungslos und betrachtet das Durcheinander, weiß nicht, wie sie aufstehen soll. Energisch schiebt sie mit beiden Händen die Schuhe einfach zur Seite, eine Bewegung als wolle sie Schwimmübungen machen. Sie gewinnt soviel Platz, dass sie sich mit den Händen abstützen kann, auf die Knie kommt, erst den rechten, dann den linken Fuß aufsetzt und wackelig auf den Beinen steht.

      Sie bückt sich erneut, greift nach den Schnallenschuhen, gerät beim Hochkommen ins Wanken und lässt sich nach hinten auf das Bett fallen. Kurz betrachtet sie die Zimmerdecke. Dann rappelt sie sich auf, beugt sich nach vorn und schlüpft in die Schuhe. Sie betrachtet ihre Füße mit Wohlwollen. So sieht es gut aus. So ist sie Madame Buchela. Wenn sie an diese unförmigen Dinger denkt, die sie eben anhatte, wird sie jetzt noch wütend. Sie stößt die Atemluft laut aus. So kann man sie doch nicht herumlaufen lassen!

      Immer muss sie aufpassen, damit sie ihr nicht irgendetwas andrehen, das gar nicht zu ihr passt. Sie schüttelt den Kopf, stützt sich mit den Händen auf der Bettkante ab, schiebt sich weiter nach vorn, so dass sie leichter aufstehen kann.

      Auf ihren hochhackigen Pumps läuft sie aufgerichtet ins Wohnzimmer, genießt es, wenige Zentimeter größer zu sein. Dann lässt sie sich wieder in ihren Sessel fallen. Sie schlägt die Beine übereinander und wippt mit dem Unterschenkel des einen Beins, als ob sie ein junges, ungeduldiges Mädchen wäre. Sie lächelt. Sie kann sich nicht erinnern, jemals mit dem Bein gewippt zu haben. Vielleicht als Mädchen, aber das weiß sie nicht mehr. Das Wippen macht ein gutes Gefühl.

      Sie hört auf damit, stellt die Füße wieder nebeneinander, so dass ihre Knie sich berühren, weiß einen Moment lang nicht, was jetzt kommen soll und schlägt dann das andere Bein über, wippt erneut und beobachtet belustigt ihren Fuß, der sich im Schnallenschuh auf und ab bewegt, als ob er schaukelt.

      Schließlich hat sie genug davon, setzt beide Füße wieder auf die Erde, die Beine fallen ein wenig auseinander. »Wie albern du bist«, schimpft sie mit sich.

      Sie lauscht.

      »Lita!«, ruft sie. »Lita, wo bist du?«

      Aber im Haus bleibt es still.

      Vor dem Fenster bewegen sich die Zweige der Tannen heftig hin und her.

      »Lita!«

      Das Mädchen kann doch bei diesem Wetter nicht weg sein?

      Sie steht auf und öffnet das Fenster ein kleines Stück. Wind mit ein paar Regentropfen schlägt ihr ins Gesicht. Unten hat ein Wagen angehalten. Sie hat deutlich gehört, dass der Motor zunächst brummte und es dann still war.

      Kommt da einer? Sie schließt das Fenster wieder. Was soll sie tun, wenn es jetzt an der Tür klingelt? Soll sie aufmachen?

      Besser sie tut so, als wenn keiner da wäre. Das ist das Klügste. Sie darf auch nicht nach Lita rufen, sonst verrät sie sich und der vor der Tür weiß sofort Bescheid, dass sie allein ist. Sie sitzt still in ihrem Sessel und lauscht. Waren da Schritte auf der Treppe? Sie hält den Atem an. Aber es ist nichts. Nichts.

      Am meisten fürchtet sie sich davor, dass einer sie mitnehmen will.

      Sie geht ihren Leuten auf die Nerven, wenn sie sagt: »Die wollen mich holen.«

      »Hör schon auf, Tante«, lacht Lita dann. »Wer soll dich denn schon holen wollen.«

      »Gar nichts weißt du«, sagt Buchela ungeduldig. »Gar nichts.«

      Dass dieser Dr. Sardo alles daran gesetzt hat, sie in sein Auto zu bekommen, hat sie ihr erzählt. Trotzdem scheint sie nicht zu verstehen. »Der Sardo hat noch eine Rechnung offen mit mir«, sagt sie zu Lita.

      »Aber der ist im Gefängnis, Tante.«

      »Wer weiß«, sagt Buchela. »Vielleicht ist der schlaue Kerl schon wieder raus. Der dritte Mann ist längst draußen.«

      Sie sitzt starr im Sessel, atmet schnell und flach. Die Füße in den Schnallenschuhen sind eiskalt geworden, gefühllos. Was sie weiß, das weiß sie. Einer wird sie am Ende holen. Die Fingerkuppen drücken sich tief in den Plüsch der Armlehnen. Warum glaubt Lita der Tante nicht? Muss ja nicht mal der Sardo sein. Kann sie auch sonst wer holen. Als Kind hat sie die Staatsgewalt mitgenommen, die Obrigkeit.

      Zwei Schutzmänner, gegen die sie nichts ausrichten konnte.

      1.

      Am Tag, als ihr Bruder Anton stirbt, bringen zwei Schutzmänner Buchela in das Waisenhaus der Borromäerinnen.

      »Du bist also die Margaretha.«

      Das Mädchen sieht die Oberin nicht an. Es spielt mit Fäden, die sich aus dem abgestoßenen Bündchen der roten Männerjacke gelöst haben, die es trägt.

      Buchela schweigt. Dann aber schüttelt sie vorsichtig den Kopf.

      »Was heißt das?«, forscht die Oberin nach.

      »Margaretha ist ein guter Christenname. Hier bist du Margaretha, wie es in deiner Taufurkunde steht. Hast du gehört?«

      Buchela reißt mit einem Ruck die Fäden von ihrer Jacke ab und beginnt zwischen den Fingern eine kleine Kugel daraus zu rollen.

      »Gib her.« Die Oberin hält ihre Hand vor Buchela auf.

      Das Mädchen reagiert nicht. Da ergreift die Schwester ihre Hand, öffnet die Finger gewaltsam und nimmt das Fadenknäuel heraus.

      »Hast du gehört?«, fragt die Oberin eindringlicher.

      Das Mädchen blickt weiter auf die Holzdielen, bewegt aber den Kopf ein wenig, so dass die Oberin

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