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Assistenten nicht zu rügen. Vor den Augen eines Zeugen wollte er das nicht tun und so war er nun selbst gespannt auf die Antwort des Messermachers.

      „Wenn Sie mich so direkt fragen … ja. Meine Mutter war die Herrin im Haus und auch in der Firma. Sie stammt auch aus einer Messermacherei und die beiden Firmen wurden irgendwann, nachdem wir hierher nach Ottenbach gezogen waren, zusammengelegt. Da mein Vater einfach zu sensibel und nicht streng genug war, hat meine Mutter automatisch das Ruder in die Hand genommen. Ihm schien das nichts auszumachen – im Gegenteil. So konnte er sich ganz auf sein Handwerk und auf uns Kinder konzentrieren und die anstrengenden Gespräche mit Kunden und Lieferanten führte meine Mutter. Das lief alles hervorragend und Sie können sich ja vorstellen, welch ein Schock es für uns alle war, als wir erfahren mussten, dass Mutter Lungenkrebs hat!“ Jakob schluckte schwer und schaute verlegen aus dem Fenster. Die Polizisten sollten nicht sehen, wie nahe ihm diese ganze Sache ging. Behutsam stellte Joska nun seine nächste Frage:

      „Was glauben Sie, ist in der gestrigen Nacht passiert?“

      „Ich hab natürlich keine Ahnung, aber wahrscheinlich hat Vater wie jede Nacht nach seiner Frau geschaut und hat sie tot aufgefunden. Das muss ihn so geschockt haben, dass er in Panik davongefahren ist.“

      „Und der Hund?“, fragte Sascha Clemens schon wieder dazwischen, doch Joska schaute nur gespannt auf Jakob.

      „Nun ja – ich nehme an, dass der gute alte Moritz seinem Herrchen hinterher gelaufen ist und da der völlig von der Rolle war, hat er auf seinen Hund gar nicht geachtet und der ist dann zum Tor hinausspaziert. Der wird sicher bald zurückkommen, wenn er Hunger kriegt“, meinte Jakob hoffnungsvoll, denn etwas anderes konnte er sich einfach nicht vorstellen.

      „Nun gut. Belassen wir es vorerst dabei und hoffen, dass beide – also Hund und Herrchen – bald wieder auftauchen. Würden Sie uns dann bitte Ihren Bruder Tobias hereinschicken?“, fragte Herr Kiss freundlich, fügte aber noch bestimmend hinzu: „Herr Clemens wird Sie begleiten. Ich möchte nicht, dass Sie vorher mit Ihrem Bruder sprechen.“

      Es war dem jungen Polizisten sehr unangenehm, diesem ehrenwerten Handwerker etwas unterstellen zu müssen, aber die Vorschriften waren diesbezüglich eindeutig. Seufzend ließ sich Joska in die Polster sinken. So eine Befragung war ganz schön anstrengend. Man musste jederzeit wachsam sein, jede Gefühlsregung seines Gegenübers registrieren und (hoffentlich richtig) deuten. Das Schwierigste war aber, immer die richtigen Fragen zu stellen. Er hätte es nicht für möglich gehalten, aber in diesem Moment hätte er seine Chefin schon sehr gerne an seiner Seite gehabt. Aber das hatte ja nun alles keinen Sinn, er musste da alleine durch und hoffen, dass Herr Clemens sich zurückhielt und nichts Falsches sagte.

      Doch auch die Befragung von Tobias Angerer, der rein äußerlich das genaue Gegenteil seines Bruders war, ergab nichts Neues. Tobias war schlank, knapp zwei Meter groß mit langen Beinen und kurzem Oberkörper, sowie schütterem, blondem Haar – allein an den grauen Augen konnte man erkennen, dass Jakob und Tobias Brüder waren. Von ihrer Schwester Marianne, die ebenfalls diese grauen Augen geerbt hatte, erfuhren sie nur noch, dass ihre Mutter mit der Frau von Jakob nicht zufrieden war. Die aus Portugal stammende Delfina war Adele von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Diese gutaussehende Südländerin war in Adeles Augen eine schlechte Hausfrau und mit ihrer Malerei konnte die alte Dame auch nichts anfangen. Für Adele war das alles nutzlose Zeitverschwendung. Das einzig Gute, das diese Frau hervorgebracht hatte, waren ihre Kinder: Nora und Felix.

      Die beiden Beamten hatten sich gewundert, dass Marianne ihnen diese Umstände erzählt hatte, denn danach gefragt hatten sie nicht. Wollte sie damit andeuten, dass Delfina einen Grund gehabt haben könnte, ihre Schwiegermutter umzubringen? Danach gefragt, meinte Marianne nur:

      „Natürlich nicht! Delfina weilt zurzeit in Irland. Sie hätte eine solche verabscheuungswürdige Tat gar nicht begehen können und außerdem ist meine Mutter doch eines natürlichen Todes gestorben. Ich wollte Ihnen nur alles über unsere Familie sagen, damit Sie uns besser kennenlernen“, fügte sie noch hinzu, da sie sich insgeheim nun doch ärgerte, das über Delfina erzählt zu haben. Sie mochte ihre Schwägerin sehr gerne und kam gut mit ihr aus. Immerhin half diese ihr bei der täglichen Kocherei und beim Sauberhalten der Werkstatt und des Hauses. Auch in ihrer ehrenamtlichen Bücherei, die sie zwei Mal in der Woche, nach der Arbeit in der Werkstatt, zusammen mit ihrer Freundin Carmen und deren Zwillingsschwester Carolin führte, half die gute Delfina aus, wenn Marianne mal keine Zeit hatte. Marianne hoffte inständig, dass ihre unbedachten Worte die Kommissare nicht auf die Idee brachten, die natürliche Todesursache infrage zu stellen. Es war für sie von größter Bedeutung, dass bald wieder alles seinen gewohnten Gang nahm, und die Familie nach Adeles Tod so bald wie möglich wieder in Harmonie leben konnte. Marianne lag sehr viel an ihrer Familie und vor allem auch an der Firma, denn durch diese hatte sie in finanzieller Hinsicht keine Sorgen und so musste es auch bleiben! Wenn Reno dann endlich die Firma in die Hände seiner Kinder legen würde (Marianne zweifelte nicht daran, dass sie ihn nun, nach Adeles Tod, dazu bringen konnten), dann wäre ihr Glück perfekt! Ihre Bemühungen der letzten Zeit durften einfach nicht umsonst gewesen sein!

      Erleichtert stellte sie daher fest, dass dieser junge Polizist

      die natürliche Todesursache wohl nicht infrage stellte, denn Herr Kiss entließ sie mit den Worten, nun den jüngsten Spross der Familie sprechen zu wollen. Zu seiner Überraschung kam jedoch auch Nora mit den Worten herein:

      „Mein Bruder ist erst sechzehn, den dürfen Sie nur gemeinsam mit einem erwachsenen Familienmitglied befragen und so bin ich gleich mitgekommen. Das ist doch in Ordnung, oder?“, fragte sie selbstbewusst und ließ sich in einen freien Sessel fallen. Die Beamten waren derart überrumpelt, dass sie nur nicken konnten. Doch Joska hatte sich gleich wieder gefasst und sagte:

      „Sie kennen sich ja gut aus in unseren Gesetzen, muss ich feststellen.“

      „Ich lese sehr viele Krimis und schaue solche Serien im Fernsehen an. Da lernt man eine Menge“, erklärte Nora nur und beugte sich interessiert vor.

      „Was wollen Sie noch wissen?“

      „Wer hat die Leiche entdeckt?“, fragte Herr Clemens, doch Joska winkte sofort ab.

      „Das wissen wir doch schon. Der alte Angerer hat sie entdeckt.“

      „Davon gehen wir aus, aber wissen tun wir das nicht. Ich wollte eigentlich wissen, wer von den hier Anwesenden heute früh die Leiche zuerst gesehen hat“, berichtigte sich Herr Clemens und schaute die beiden Jugendlichen fragend an.

      „Das war ich“, sagte Felix leise und sah im gleichen Augenblick wieder die starren Augen seiner toten Großmutter vor sich.

      „Hat sie da schon so dagelegen, wie ich sie vorhin vorgefunden habe?“, wollte Joska wissen.

      „Nein … äh … das heißt ja“, fing Felix stotternd an, doch seine Schwester kam ihm zu Hilfe:

      „Dagelegen hat sie genauso, wie sie bis vorhin gelegen hat, bevor die Bestattungsfirma sie mitgenommen hat. Als wir sie gefunden haben, hatte sie aber die Augen noch offen. Mein Vater hat sie dann zu gemacht“, antwortete Nora nun sachlich, doch ihrem Bruder lief dabei ein kalter Schauer über den Rücken. Nora bemerkte es und legte fürsorglich einen Arm um ihren zitternden Bruder.

      „Sie hat so gestarrt“, murmelte Felix mehr zu sich selbst und die Kommissare wollten nun nicht noch mehr in den Jungen eindringen. Nach dem Verhältnis ihrer Großeltern untereinander gefragt, antworteten beide, dass es ganz normal gewesen wäre. Jeder hatte seine Aufgabe und seine Stellung in der Familie und niemand hätte daran etwas ändern wollen.

      „Hat eure Oma Unterschiede zwischen euch gemacht?

      Hatte sie einen von euch mehr lieb als den anderen?“, fragte Herr Clemens und Joska sah ihn ob dieser Frage entsetzt an. Was sollte das nun schon wieder?

      Bevor Felix allerdings den Mund aufmachen konnte, kam Nora ihm zuvor:

      „Nein. Unsere Oma hatte uns beide gleich lieb und wir sind sehr traurig, dass sie nun nicht mehr bei uns ist. Nicht wahr, Felix?“, fragte die junge Dame und drückte ihren Bruder fest an sich. Der schaute mit

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