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sagen und ganz normal weiterarbeiten«, ordnete Seifritz an, worauf seine Sekretärin die Mitarbeiterin im Vorzimmer instruierte.

      Die beiden Gangster schienen sich von der Aufregung nicht anstecken zu lassen. Der falsche Polizist wirkte sogar eher entspannt, als er sich erneut an Seifritz wandte:

      »Vielleicht sollte ich Sie noch mal an Ihre Tochter erinnern.« Sein Komplize ließ währenddessen den Entsicherungshebel einer schwarzen Pistole mehrfach klicken.

      6

      Heinrich Lackner, ein zurückhaltender, ruhiger Bankangestellter, die Seriosität in Person und als stellvertretender Leiter der Schalterhalle auch für die Hauptkasse zuständig, wie im hausinternen Jargon der Tresorraum im dritten Untergeschoss bezeichnet wurde, kam häufig früher als notwendig zur Arbeit. Er parkte seinen Wagen in einem nahen Parkhaus und betrat das mächtige Sparkassengebäude über die Zufahrt zur Tiefgarage, in der nur Kunden und die Vorstände ihre Fahrzeuge abstellen durften. Wie häufig, so galt auch an diesem Märzmontag sein erster Gang der Hauptkasse, die sich unter dem zweiten Untergeschoss der Tiefgarage befand. Ein Lastenaufzug, wie ihn die Angestellten nannten, führte durch alle Etagen, war aber nur für die interne Nutzung gedacht. Mit ihm fuhr Lackner ganz hinunter, wo in den klimatisierten, aber schmucklosen Räumen bereits Hauptkassierer Berthold Rilke einige Aufzeichnungen las. Wie immer prüfte er alle Daten, Zahlen und Anweisungen mehrfach, wie er es als penibler Bankmitarbeiter ein Berufsleben lang gewohnt war. Auch jetzt, kurz vor dem Renteneintritt, hatte er nichts von seiner korrekten Arbeitsweise verloren. Das Geld, das für den täglichen Geschäftsbetrieb droben in der Schalterhalle gebraucht wurde, konnte er jedoch nicht allein aus dem Tresor holen. Dazu bedurfte es eines zweiten Angestellten, und der war Lackner. Die eingespielte Prozedur wiederholte sich deshalb jeden Morgen: Lackner gab in das Zahlenkombinationsschloss die Geheimnummer ein, worauf Rilke mit seinem Schlüssel die schwere gepanzerte Tür öffnen konnte, hinter der sich über Nacht nur ein vergleichsweise geringer Betrag befand. Die beiden Männer wechselten noch ein paar Worte zum gestrigen Sonntag, den Lackner trotz des schlechten Wetters auf einer Wanderhütte bei Gruibingen verbracht hatte, und widmeten sich kurz einer weiteren Routinearbeit: Beide mussten sie den Scheck unterschreiben, mit dem die Geldboten jeden Morgen einen größeren Betrag für den zu erwartenden Tagesbedarf bei der Landeszentralbank-Filiale holen mussten, die sich Luftlinie nur etwa 300 Meter entfernt befand. Heute waren es 700.000 Mark.

      »Dann noch einen schönen Tag«, wünschte Lackner seinem älteren Kollegen, der bisweilen nervös werden konnte, wenn nicht alles so lief, wie er es sich vorstellte. Dazu jedoch gab es an diesem Vormittag keinen Anlass.

      Lackner bestieg den Aufzug und fuhr zur ebenerdig gelegenen Schalterhalle hinauf, in der sich sein Büro befand. Schon waren auch weitere Angestellte eingetroffen, die sich auf den Geschäftsbeginn vorbereiteten. Lackner machte sich über Akten und Protokolle her, in denen es um einige merkwürdige Überweisungen ging, die bei einem ausländischen Kunden aufgefallen waren. Als er ein paar Minuten später einen Kollegen in der Schalterhalle etwas dazu fragen wollte, lief ihm völlig unerwartet Rilke über den Weg, den er um diese Zeit noch immer im Tresorraum vermutet hätte. Bevor er ihn ansprechen konnte, war Rilke schnellen Schrittes Richtung Treppenhaus verschwunden. Lackner sah ihm eine Sekunde lang nach, zuckte verwundert mit den Schultern. So war Rilke eben. Oft in Eile, nervös und stets darauf bedacht, alles 100-prozentig richtig zu machen.

      Lackner, der in Stresssituationen hingegen in sich zu ruhen schien und jedes noch so kritische Gespräch mit sonorer und sanfter Stimme entkrampfen konnte, setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, um einige dubios erscheinende Geldtransaktionen zu verfolgen. Es verging kaum ein Monat, in dem nicht irgendetwas aus dem üblichen Rahmen fiel. Meist jedoch ließen sich die Sachverhalte logisch erklären, und der betroffene Kunde merkte von der hausinternen Prüfung überhaupt nichts. Allerdings schienen die Tricks der Ganoven und Geldwäscher immer ausgeklügelter zu werden. Spätestens seit es Geldautomaten gab, hatten die Betrugsversuche deutlich zugenommen. Es hatte bundesweit sogar schon Täter gegeben, die die stabilen Geräte mit Sprengladungen aus der Verankerung gerissen hatten.

      So weit war es im beschaulichen Göppingen noch nicht gekommen, aber auch hier, im nördlichen Vorland zur Schwäbischen Alb zwischen Stuttgart und Ulm, war man bestimmt nicht davor gefeit.

      Tief in Gedanken versunken, wurde Lackner vom schrillen Ton des Telefons wieder in die Realität zurückgeholt. Er nahm ab, meldete sich und hörte sofort eine wohlvertraute Frauenstimme, die heute aber viel ernster klang als sonst: »Sie sollen doch bitte mal zu Herrn Seifritz kommen.« Es war Chefsekretärin Karin Rüger.

      Lackner brummte ohne weitere Nachfrage ein »Okay« und legte auf. Zum Chef. Das hatte ihm am frühen Montagmorgen gerade noch gefehlt. Was er wohl wollte?

      Er schlug die Akten zu und machte sich auf den Weg quer durch die Schalterhalle, die für den Kundenbetrieb noch geschlossen war, hinauf durch das im Halbrund gebaute turmartige Treppenhaus mit den Bullaugenfenstern. Dort kam ihm auf halbem Weg Rilke mit blassem, ernstem Gesicht entgegen. »Was ist denn los?«, wollte Lackner wissen, weil er sofort merkte, dass etwas anders war als sonst.

      Die Antwort fiel kurz und knapp aus: »Ich war bei Seifritz. Geh rauf.« Dann eilte Rilke an ihm vorbei abwärts.

      Lackner stand für einen Moment wie belämmert. So hatte er seinen Kollegen noch nie erlebt. Plötzlich befiel ihn die Gewissheit, dass etwas Ungewöhnliches geschehen sein musste. Er verlangsamte seine Schritte und betrat vorsichtig die zweite Etage, das Reich der Vorstände, in dem für gewöhnlich gediegene Ruhe herrschte. Auch jetzt lag der Flur in absoluter Stille.

      Er klopfte an die Tür des Vorzimmers und trat unmittelbar danach ein. Sein Blick fiel auf Chefsekretärin Karin Rüger, die kreidebleich an ihrem Schreibtisch kauerte und ihm grußlos andeutete, gleich ins Büro von Seifritz weiterzugehen, dessen Tür geschlossen war. Ihre junge Kollegin hatte nicht einmal aufgeschaut.

      Lackners Verunsicherung stieg. Noch nie hatte es eine solch seltsame Situation gegeben. Er klopfte an die Tür, die sogleich geöffnet wurde. Vor ihm stand ein Uniformierter, der ihn in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzte. Polizei, durchzuckte es Lackner. Üblicherweise kamen die Beamten direkt zu ihm, wenn es polizeiliche Ermittlungen gab. Die Anwesenheit eines Polizisten im Chefbüro konnte nichts Gutes bedeuten. Lag etwas gegen ihn selbst vor?

      Aber die Sonnenbrille, das bärtige Gesicht und etwas, das wie eine Maschinenpistole aussah, jagten ihm augenblicklich ganz andere Ängste durch den Kopf: der Chef in der Gewalt von Gangstern.

      Seifritz, der übernächtigt hinterm Schreibtisch saß, forderte seinen völlig irritierten Angestellten auf hereinzukommen und die Tür hinter sich zu schließen. Er hatte Lackners Entsetzen bemerkt und gleich klargestellt: »Herr Lackner, das sind keine echten Polizisten.«

      Augenblicklich erfasste der Angestellte die bedrohliche Lage und erblickte erst jetzt den abseits stehenden zweiten Mann. Geschockt ließ er sich von dem sichtlich mitgenommenen Seifritz die Situation schildern – vor allem aber, dass die beiden Verbrecher seine Tochter entführt hätten. Worauf der Uniformierte, der die Maschinenpistole hielt, völlig unaufgeregt bekräftigte: »Keine Polizei. Wenn etwas schiefgeht, sieht Herr Seifritz seine Tochter nicht mehr lebend.«

      »Und in der Schalterhalle gibt’s ein Blutbad«, ergänzte der andere ebenso ruhig.

      »Die wollen fünf Millionen«, erklärte der Bankchef seinem Angestellten. »Ich hab ihnen aber bereits erklärt, dass das nicht geht.«

      »Sie werden es hinkriegen«, lächelte der Uniformierte und sah Lackner in die Augen.

      »Ich hab gesagt, dass der heutige Transport von der Landeszentralbank mit 700.000 Mark bald eintrifft – aber sie wollen fünf Millionen«, sagte Seifritz mit schwacher Stimme. Seine Hände zitterten, die Augen hinter der dicken Brille waren wässrig.

      »Jetzt brauchen wir Ihre Hilfe«, wandte sich der falsche Polizist mit charmantem Unterton an Lackner, der nicht verstand, was dies bedeutete.

      Seifritz stellte klar: »Herr Rilke holt einen Scheck. Mit dem können wir noch zwei Millionen bei der LZB besorgen lassen.«

      Lackner

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