Скачать книгу

Leute hatten einfach schon zu viel getrunken. Hier und heute würde sie wohl an keine Informationen mehr kommen. Vielleicht sollte sie noch so lange in diesem Kaff bleiben, bis alle wieder nüchtern waren, und dann erneut fragen.

      Für einen winzigen Moment überlegte sie, auf Mister Sexy zuzugehen, der als Einziger völlig klar im Kopf wirkte. Doch der große Mann und seine direkten Blicke wurden ihr von Minute zu Minute unheimlicher. Irgendwie schien er eine düstere Aura zu besitzen, die Fays Hexengene alarmierten.

      Schnell packte sie ihren Notizblock in die Handtasche und verließ den Saal, ohne sich von jemandem zu verabschieden. Es würde ohnehin keinem auffallen, wenn sie plötzlich nicht mehr da war.

      Kaum trat sie vor dem Wirtshaus ins Freie, wurde sie von der ländlichen Ruhe begrüßt. Fay genoss die warme Sommerbrise, die um den dünnen Stoff ihres Hosenanzuges wehte, den blauen Himmel und den Duft bunter Blumen, die in dicken Kübeln vor dem Gebäude standen. Autos fuhren nur sporadisch vorbei, weshalb die Luft hier wesentlich besser und vor allem sauberer war als in London.

      Weil das Wirtshaus auf einem Hügel lag, bot sich Fay ein herrlicher Blick über grüne Wiesen und auf ein größeres Waldstück. In diesem Wald, der früher den ganzen Landstrich überzogen hatte, sollten die Drachen gelebt haben. Und Gargoyles stammten von Drachen ab – das war Fay schon in der Schule beigebracht worden. Außerdem hatte das auch in Elwoods Buch gestanden, weshalb die Drachen ebenfalls an der Auflösung des Steinfluches beteiligt sein könnten.

      Alte Legenden erzählten, dass die Gargoyles es sich vor vielen Jahrtausenden zur Aufgabe gemacht hatten, die Menschen zu beschützen. Daraufhin befürchteten die Dämonen, in Zukunft weder genügend Menschen verderben zu können noch ausreichend Seelen zu erlangen. Voller Wut zogen sie in den Krieg gegen die friedlichen, geflügelten Wächter. Doch die Drachen, sozusagen die Urväter der Gargoyles, standen ihnen bei und sorgten dafür, dass sich die Dämonen in der Unterwelt verkrochen.

      Als letzten Schlag schickten die Unterweltler mächtige Schlangenpriester aus allen Teilen der Hölle, um die Gargoyles zu verwünschen. Jeder von ihnen sollte zu Stein werden und zu Staub zerfallen. Zum Glück gelang es einem Magier, der sich unter die Priester gemischt hatte, den Fluch abzumildern. Seither versteinerten die Gargoyles am Tag und konnten nachts weiterhin die Menschen beschützen. Wenn sie jetzt gar nicht mehr versteinern würden, so wie die Goyles, wären sie auch tagsüber vor Dämonenangriffen und anderen Gefahren geschützt. Erst letztes Jahr war beinahe der gesamte Pariser Gargoyle-Klan ausgelöscht worden, der seinen Hauptsitz in der Kathedrale Notre Dame hatte. Ein schwerer Dachstuhlbrand kostete einigen Gargoyles das Leben, viele wurden verletzt, als das Feuer in den frühen Abendstunden ausgebrochen war.

      Dieses schreckliche Unglück hatte natürlich auch Dämonen angezogen, die daraufhin auf das Versteck der Gargoyles aufmerksam wurden. Denn der Pariser Klan hatte nicht nur auf und unter dem Dach von Notre Dame gelebt, sondern sich zusätzlich ganz in der Nähe tagsüber in Katakomben verborgen. Die Dämonen hatten alle niedergemetzelt, die sich zu diesem Zeitpunkt dort befunden hatten.

      Obwohl in Vincents Klan überwiegend verstoßene Goyles lebten, hatte dieser Vorfall alle zutiefst schockiert.

      Zurück zum Hier und Jetzt … Da Fay seit gestern auf die Reservierungsbestätigung ihrer Pension wartete, setzte sie sich vor dem Haus auf eine Bank und checkte auf ihrem Smartphone die E-Mails. Bisher war leider keine Nachricht eingegangen. Mist, hoffentlich bekam sie noch ein Zimmer. Sie wollte spätnachmittags nicht mehr zurück nach London fahren. Bei Dunkelheit sah sie nicht besonders gut.

      Leider hatte sie zu spät reserviert, aber mal ehrlich: Wen zog es denn in diese Einöde? Es mussten doch noch genug Zimmer zu haben sein!

      Während sie wartete und die Sonnenstrahlen genoss, versuchte sie, sicherheitshalber noch eine andere Unterkunft in der Nähe zu finden. Aber in einem Umkreis von mehreren Meilen schien es nichts als diese eine Pension zu geben!

      »Das Universum ist definitiv gerade nicht auf meiner Seite«, murmelte sie und schloss frustriert seufzend die Augen. Jedoch riss sie die Lider gleich wieder auf, als etwas die Sonne verdunkelte.

      Mister Sexy spazierte vor ihr vorbei und setzte sich neben sie. Fay hatte gar nicht bemerkt, dass er aus der Tür gekommen war!

      »Hi«, sagte er mit rauer, leicht dunkler Stimme und grinste sie kurz verwegen an, wobei er wie ein Pirat aussah. Dann stützte er die Ellbogen auf der Rückenlehne ab. Da er sein Jackett nicht mehr trug – es hing über der Lehne – spannte sich sein blütenweißes Hemd über gut definierte Brustmuskeln.

      Fay schluckte; ihr wurde gleich noch wärmer. Hottie war ein großer Mann mit langen Beinen, die er machomäßig auseinander stellte, sodass sich ihre Schenkel beinahe berührten.

      Normalerweise würde sie ein Stück von ihm abrücken, wie man es automatisch machte, wenn einem ein Fremder zu nahe kam. Allerdings empfand sie seine Nähe nicht als unangenehm, obwohl Fay deutlicher denn je diese seltsame Dunkelheit in ihm spürte – die ihn jedoch nur interessanter machte. Außerdem sollte der Kerl bloß nicht denken, dass sie seine Dominanz einschüchterte. Sie war zwar nicht gerade ein Raubkätzchen, aber ihre Krallen würde sie ihm dennoch zeigen, wenn er ihr blöd kam. Zuerst wollte sie jedoch sehen, warum er sich plötzlich für sie interessierte. Waren ihm die älteren Damen vielleicht doch schon etwas zu betagt?

      Durchdringend blickte er sie an, als würde er in ihren Kopf sehen wollen. »Sind Sie Reporterin?«

      »Hm«, summte sie und grinste innerlich, weil sie Mr Obertoll anschwindeln konnte, ohne rot zu werden.

      »Was treibt Sie in diese verlassene Gegend?«

      »Mein Chef möchte, dass ich einen Artikel über diese Drachensage schreibe. Ist nur ein kleines Blatt mit eher esoterisch angehauchten Themen und hat auch nicht gerade viele Leser«, plapperte sie los. »Aber ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich hier überhaupt suche. Viele kennen diese Drachenlegende gar nicht mehr, erzählen sie völlig übertrieben oder haben einfach keine Lust, mir etwas darüber zu berichten.«

      Er schmunzelte. »Die Leute hier brauchen nur einen Grund, um zu feiern. In Woodhead passiert sonst nicht viel.«

      »Sind Sie deshalb hier? Um die Erinnerung an den Sieg über den letzten Drachen zu feiern?«, fragte sie süffisant. »Oder was treibt einen Mann wie Sie an diesen Ort?«

      »Einen Mann wie mich?« Erneut grinste er verwegen und beugte sich ein Stück zu ihr. Leise raunte er ihr zu: »Was bin ich denn für ein Mann?«

      Als sich plötzlich ihr Gesicht erhitzte und ihr bewusst wurde, dass sie mit diesem Kerl gerade geflirtet hatte, warf er ernst ein: »Was, wenn es doch noch einen einzigen Drachen geben würde?« Dann lehnte er sich wieder zurück und starrte auf die Straße.

      Fay musste tief durchatmen – möglichst unauffällig natürlich –, um wieder klar denken zu können. Was hatte dieser Mann bloß an sich, dass sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte? Mehr noch als zu ihrem heißen Gargoyle Caleb?

      Mr Obersexy schaffte es tatsächlich, ihre Gefühlswelt völlig durcheinanderzubringen. Er zog sie an wie ein frisch gebackener, köstlich duftender Käsekuchen. Sie liebte Käsekuchen!

      Fay überlegte, was er gerade gefragt hatte, und sagte möglichst entspannt: »Falls es nur noch einen einzigen Drachen geben würde, täte er mir leid.«

      Für einen Moment musterte er sie stirnrunzelnd, bevor er vorsichtig sagte: »Warum?«

      »Er hätte keine Partnerin. Was für ein trauriges Leben.« Sie seufzte innerlich, weil sie schon wieder den Flirtkurs einschlug! Frag ihn doch gleich direkt, ob er Single ist!, schalt sie sich.

      Sie hörte, wie er die Luft ausstieß, als wäre er genervt – von ihr? –, wobei er diesmal die Arme vor der Brust verschränkte. Fay erwartete, dass er nun genug davon hätte, ihr etwas über diese Sage zu erzählen, stattdessen murmelte er: »Die Drachen haben sich angeblich Menschenfrauen gesucht, um ihre Art zu erhalten, weil immer nur ein männlicher Nachfahre geboren wird. Er hätte also genug Auswahl.«

      »Ah«, sagte sie lächelnd. »Zum Glück waren

Скачать книгу