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sehr lange machen könne, weil ihr Mann nicht damit einverstanden sei, dass sie von Montag bis Freitag außerhalb arbeitete. Hinzu kam, dass diese Helferin am Wochenende natürlich ausblieb. Auch abends hatte Andrea keinen Babysitter, sodass das Ehepaar jetzt manche Einladung absagen musste. All das behagte Andrea nicht.

      Hans-Joachim leerte seine Tasse und küsste seine hübsche junge Frau auf die Nasenspitze. »Ich muss weitermachen. Im Wartezimmer knurren sich zwei Hunde an, und ein junger Kater sträubt pausenlos die Haare gegen beide. Einen Jungen mit einem Kanarienvogel habe ich sicherheitshalber schon ins Ordinationszimmer gesetzt, und außerdem wartet noch ein Meerschweinchen auf meinen ärztlichen Rat. Anschließend muss ich nach Wildmoos zu einem Bauern, dessen Pferd ein entzündetes Auge hat.«

      Kitty hörte staunend zu. Sie fand das, was der Tierdoktor zu tun hatte, wahnsinnig interessant. Außerdem kam sie nun endlich zu ihrem Recht. Andrea erbot sich, ihr das berühmte Tierheim Waldi & Co. zu zeigen.

      »Habt ihr auch Hasen?«, fragte Kitty. »Ich mag Hasen so gern, aber ihr habt sicher keine.«

      »Doch, wir haben einen Hasen«, erwiderte Andrea lachend. »Er heißt Langohr, wie es sich für einen ordentlichen Hasen gehört, aber er hat uns in letzter Zeit ein bisschen Kummer gemacht, denn er empfiehlt sich dauernd auf eigene Faust durch den Zaun.«

      »Reißt er aus?«, fragte Kitty.

      »Hm, so kann man es nennen. So ein Hase kommt nämlich, wenn er will, rasch durch den Zaun. Ich glaube, unser Langohr möchte ganz gern wieder seine Freiheit haben. Allerdings ist er bis jetzt von seinen Ausflügen stets zurückgekommen, weil es hier immer etwas Leckeres für ihn gibt.«

      »Hasen essen Möhren. Hasen essen auch Klee«, sagte Kitty. Diese Weisheit hatte sie offenbar aus einem Bilderbuch.

      »Ja, Langohr kriegt bei uns das, was er mag. Trotzdem würden wir ihn nicht mit Gewalt zurückhalten, wenn er wieder bei einer richtigen Hasenfamilie leben möchte. Es heißt doch Waldi & Co., das Heim der glücklichen Tiere. Langohr soll sich also bei uns nicht unglücklich und eingesperrt fühlen.«

      Wieder einmal schob Kitty das Unterlippchen vor, das bei ihr so besonders klein und niedlich war. »Na, weißt du, wo ich Hasen so gern mag, könnte er ruhig bleiben. Hoppelt er da nicht?«

      Kitty hatte mit ihren großen schwarzen Augen richtig gesehen. Der Hase hoppelte gemächlich durchs Gehege und kehrte wohl gerade von einem Ausflug in die Freiheit zurück, um sich an dem guten Futter des Tierheims zu laben. Er verband sozusagen die goldene Freiheit mit den Fleischtöpfen Ägyptens. Jedenfalls hatte Dr. von Lehn es noch am Tag zuvor in heiterster Laune so ausgedrückt, wenngleich der Vergleich gewaltig hinkte, weil ein Hase ja natürlich kein Fleisch fraß.

      Kitty war begeistert, dass sie den Hasen nun wirklich zu sehen bekam. Sie lief auf das große, schöne Tier zu. Langohr hoppelte weiter seines Weges und tat, als bemerkte er den freundlichen Annäherungsversuch von Kitty gar nicht.

      »Er ist ein Flegel, unser Langohr«, schalt Andrea. »Er sollte wenigstens auf dich warten. Aber du darfst ihm das nicht übel nehmen.«

      »Ich nehm’s nicht übel. Er wird schon merken, dass ich ihn gern leiden mag«, erwiderte Kitty zuversichtlich. »Weißt du, einen Hasen sieht man kaum einmal im Zoo. Karnickel gibt’s, aber einen richtigen echten Hasen aus dem Wald eben nicht. Dabei legen die Hasen doch die Ostereier und sind die wichtigsten Tiere.«

      »Ja, da hast du freilich recht«, bestätigte Andrea amüsiert. Langohr hätte allerdings den Kopf geschüttelt, dass seine langen Ohren nur so geschlackert hätten, wenn sie ihm anvertraut hätte, was Kitty von ihm dachte. Vielleicht will er überhaupt wieder in den Wald zurück, weil er hier im Tierheim keine Eier legen kann«, fügte sie hinzu, um Kitty darauf vorzubereiten, dass der Hase wohl bald gänzlich verschwunden sein würde.

      »Wenn’s wegen der Ostereier ist, dann kann man es verstehen«, erwiderte Kitty in ihrer altklugen Art. »Es ist ja ein Geheimnis, und niemand darf dabei zuschauen. Nicht wahr?«

      »Stimmt. Du weißt wirklich eine ganze Menge.«

      Kitty wurde sichtlich größer vor Stolz. »Ich weiß überhaupt alles«, erklärte sie überheblich.

      Andrea fuhr ihr über das Haar und tippte zärtlich auf die beiden winzigen Haarschleifen, die Kitty trug. Man musste dieses kleine Ding lieb haben. Man kam einfach nicht an Kitty Linden vorüber.

      Da Kitty »ihren Hasen« noch ein wenig beobachten wollte, ließ Andrea das Kind unter der Obhut Helmut Kosters zurück und ging wieder ins Haus zu ihrer Mutter.

      »Kitty ist ein Goldschatz, Mutti«, rief sie begeistert aus und erzählte von dem kleinen Erlebnis. »Sie ist – möchte ich sagen – ein wandelnder Beweis für die Torheit der Männer – oder wenigstens mancher Männer«, schloss sie ihre Lobrede auf das kleine Mädchen, das ein Herz ausgerechnet an den treulosen Hasen Langohr verschenken wollte.

      »Wie meinst du das?«, fragte Denise und setzte Peterle auf den Boden, weil er unbedingt mit Waldi spielen wollte. Denn Klein-Peter war selbstverständlich nicht weniger ein Tierliebhaber als seine Eltern.

      »Wegen Kittys Vater. Er hat die Mutter im Stich gelassen und hat keine Ahnung, was ihm damit entgangen ist. So etwas Süßes! Wahrscheinlich kommt sich dieser Trottel sogar noch schlau vor, weil er sich geschickt aus der Affäre gezogen hat. In Wirklichkeit hat er sich um einen Reichtum gebracht, der nicht mit Millionen aufzuwiegen ist. Deshalb halte ich ihn für einen ausgemachten Dummkopf.«

      Denise neigte zustimmend den Kopf. »Ich möchte es zwar nicht ganz so krass ausdrücken, aber in gewisser Hinsicht hast du tatsächlich recht. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein Mann später vergeblich den Versuch unternahm, sein Kind zu beanspruchen. Doch die Frau hatte nach jahrelangen Schwierigkeiten, nach verzweifeltem Hoffen und Bangen einen Schlussstrich gezogen und sich einem anderen zugewandt, der bereit war, sie vorbehaltlos zu lieben und ihrem Kind Vater zu sein. Der leibliche Vater kam zu spät zur Besinnung. Er tat mir herzlich leid, aber ihm war nicht mehr zu helfen. Dennoch gibt es auch Fälle, in denen es anders ist. Wir wissen nichts von Kittys Vater. Deshalb wäre es sicherlich nicht gerecht, wenn wir ihn einfach als dumm und egoistisch abtun würden. Dazu haben wir nicht das Recht.«

      »Aber solche Fälle sind die Ausnahme, Mutti. Im allgemeinen sind die Männer rücksichtslos und bilden sich noch dazu ein, besonders schlau zu sein. Die Frauen sind dann meistens noch so anständig, dass sie den Namen des Vaters verschweigen und alle Last auf sich nehmen. Na, ich will mich lieber nicht aufregen. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass Kittys Vater einen schweren Verlust erlitten hat und täglich neu erleidet. Aber es geschieht ihm ganz recht. Er verdient es gar nicht besser.«

      »Gerade das entzieht sich unserer Kenntnis, mein Liebes, wie ich dir eben schon nahebringen wollte«, meinte Denise versöhnlich. »Außerdem gibt es aus diesem Grund Sophienlust, wo Kitty jetzt geborgen ist. Du brauchst also ihrem Vater, den wir nicht kennen, wahrhaftig nicht zu zürnen. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass du dich irrst.«

      »Ich bin halt wütend, weil Kitty gar so süß ist und weil doch alles viel einfacher wäre, wenn Frau Linden einen Mann hätte. Was soll denn aus ihr und dem Kind werden, wenn sie wirklich nicht mehr Geige spielen kann, Mutti? Hast du dir das schon einmal richtig überlegt? Vielleicht sind Mutter und Tochter am Ende auf die Fürsorge oder so etwas angewiesen. Das wäre so ziemlich das Letzte, nicht wahr?«

      »Wobei ich nicht einmal sicher bin, dass Frau Linden Fürsorgeunterstützung beanspruchen könnte. Rosita Linden ist nicht in Deutschland geboren, sondern im Ausland.«

      Vom Tierheim sah man jetzt Kitty zurückkommen. Sie brachte drei Dackel mit, die sich offenbar als ihre Beschützer fühlten. Eine Minute später betrat sie zusammen mit Hexe, Pucki und Purzel das Wohnzimmer.

      »Ich habe den Hasen gestreichelt, er mag mich«, behauptete sie. »Und ich habe ihm gleich gesagt, dass er lieber im Tierheim bleiben soll, weil es da viel schöner ist als im dunklen Wald.«

      »Und was hat der Hase geantwortet?«, fragte Denise ernsthaft.

      »Gar nichts. Er hat mich nicht einmal

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