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du schon daran gedacht, dass er möglicherweise einfach nicht bleiben will?«, schaltete Andrea warnend ein. »Er liebt eben die Freiheit.«

      »Nein, daran habe ich nicht gedacht. Ich finde, man müsste es ihm verbieten. Er muss es doch einsehen. Er ist doch ein kluger Hase. Hasen sind nämlich die klügsten Tiere – wegen der Ostereier, die sie legen. Manchmal sind es einfach bunte Eier wie von der Henne und wie man sie auch selber anmalen kann. Aber manchmal sind die Eier aus Schokolade oder aus Marzipan oder aus Zucker. Die aus Zucker in Gelb und Weiß sind die allerbesten. Das kann natürlich bloß ein echter Osterhase. Aber Langohr ist bestimmt ein echter. Das sehe ich.«

      »Ich werde einmal mit Langohr reden«, versprach Andrea augenzwinkernd. »Aber wenn er wegen der Ostereier in den Wald muss, dann dürfen wir ihn nicht festhalten, sonst gibt es zum nächsten Osterfest keine Schokoladeneier und keine Eier aus Zucker. Das möchtest du doch nicht? Die Hühnereier können wir ja notfalls selber kochen und bunt anmalen. Aber das mit den gelbweißen Zuckereiern schaffen wir bestimmt nicht ohne den Hasen.«

      »Er darf nur weg, wenn er wirklich unbedingt muss – wegen der Ostereier«, räumte Kitty schließlich zögernd ein. »Wenn er aber lieber Möhren und Klee bei Helmut Koster essen will, muss er bleiben, und das Loch im Zaun wird einfach zugemacht. Mit Draht und Spucke. Das hält nämlich bestimmt.«

      Kitty wusste offenbar wirklich in allem und jedem Bescheid, und sie war ihrer Sache immer absolut sicher.

      Denise stand auf und schloss das kleine Mädchen fest in die Arme. »Mit Draht und Spucke geht es zwar bestimmt, aber es wäre gemein, jemanden einzusperren, der nicht eingesperrt sein will, Kitty. Du bist erst drei Jahre alt, aber das kannst du doch schon verstehen – oder etwa nicht?«

      »Na ja, wenn er also unbedingt wieder in den Wald gehen will wegen der Ostereier, dann soll er eben gehen«, räumte Kitty zögernd ein. »Aber schöner wär’s, wenn er bleiben würde. Ich mag nun einmal Hasen schrecklich gern leiden. Deshalb.«

      Damit war ihrer Ansicht nach alles erklärt.

      Denise verabschiedete sich von Andrea und herzte das Peterle ein letztes Mal.

      Dann stieg sie in ihren Wagen ein und ließ Kitty auf den Rücksitz klettern, wie es sich nach der Vorschrift gehörte.

      »Grüß mir Hans-Joachim noch einmal. Er soll nicht gar zu viel arbeiten, Andrea. Wir telefonieren wieder. Leb wohl, mein geliebtes Kind.«

      Andrea stand zwischen ihren fünf Hunden, während aus dem Garten nun auch noch Munko, der Schäferhund, herbeigehinkt kam. Munko war früher einmal bei der Polizei gewesen. Er war jetzt schon ein wenig betagt und bei einem Einsatz angeschossen worden. Dabei war eine Sehne verletzt worden. Deswegen lahmte er nun. Trotzdem war er noch ein guter Wachhund, und wenn Andreas schwarze Dogge Severin nicht gerade das Peterle behütete und begleiteten dann übernahm Munko unaufgefordert diese Ehrenpflicht, um die es zwischen ihm und Severin anfangs einen regelrechten Eifersuchtskampf gegeben hatte.

      »Bis bald, Mutti«, rief die junge Frau. Peterle machte brav Winkewinke und lachte dazu über das ganze Gesichtchen.

      »Peterle ist niedlich«, meinte Kitty, »aber natürlich noch sehr, sehr klein.«

      »Wenn du magst, werde ich dich öfters nach Bachenau mitnehmen, damit du mit Peterle spielen kannst. Der Bub freut sich nämlich ganz sicher, wenn so ein großes Mädchen wie du kommt.«

      Kitty nickte. »Dann kann ich auch nachschauen, ob der Hase Langohr noch da ist, Tante Isi.«

      »Ja, Kleines, das kannst du auch.«

      So hatte Kitty in Sophienlust Einzug gehalten. Es waren dabei nicht die geringsten Probleme entstanden. Kitty lebte sich vom ersten Tag an gut ein und fühlte sich in gewisser Weise als absoluter Mittelpunkt des Geschehens.

      Denise konnte Rosita Linden mit gutem Gewissen berichten, dass ihr Töchterchen rasch eines der glücklichen Kinder von Sophienlust geworden sei und dass sie selbst sich nun ganz und gar ihrer Genesung widmen könne, ohne sich mit Sorgen um Kitty quälen zu müssen.

      *

      Marianne Weber stammte aus dem Schwarzwald. Sie war schon als Hausmädchen bei Rosita Linden gewesen, als Kitty geboren worden war. Sie allein kannte den Namen von Kittys Vater und wusste, wie es damals gewesen war. Doch Rosita hatte der vertrauten Gehilfin das Versprechen abgenommen, zu niemandem jemals ein Wort darüber zu sagen. Und Marianne, die zu den Menschen gehörte, denen ein gegebenes Wort lebenslange Verpflichtung bedeutete, hatte sich an ihr Versprechen gehalten.

      »Komm doch einmal zu mir, Marianne. Du sollst nicht immer schaffen. Frau von Schoenecker hat angerufen. Es geht Kitty gut. Sie hat sogar schon einmal auf dem Rücken des kleinsten Ponys einen Reitversuch unternommen. Kein Wunder bei unserer kleinen Tiernärrin.«

      Marianne ging freundlich auf die Aufforderung Rositas ein und setzte sich zu ihr ans Bett. Sie sorgte sich um ihre junge Herrin, denn sie wusste genau, dass die Geldmittel Rosita Lindens nicht unerschöpflich waren. Die Kosten der Krankheit waren hoch, und Rosita musste alles aus eigener Tasche bezahlen, weil sie – wie so viele freischaffende Künstler – von einem Tag auf den anderen und von der Hand in den Mund gelebt hatte. Eine Versicherung war ihr unnötig erschienen.

      »Ein Segen, dass Kitty gern in Sophienlust ist«, sagte Marianne leise. »Aber ich hatte von Anfang an keine Bedenken. Frau von Schoenecker hat so etwas Liebes an sich. Bei ihr müssen sich die Kleinen einfach wohlfühlen.«

      »Ja, auch ich hatte sofort herzliches Zutrauen zu dieser Frau. Willst du mir helfen, Marianne? Ich möchte mich in den Sessel am Fenster setzen.«

      »Natürlich, Frau Linden.«

      Marianne sprang auf und stützte ihre Herrin sorgsam. Die wenigen Schritte bis zum Fenster trug sie sie beinahe, weil die Verunglückte nicht mithelfen und sich aus eigener Kraft nur wenig bewegen konnte.

      Endlich saß Rosita im Sessel, und Marianne brachte eine weiche Decke.

      »Jetzt die Violine, Marianne.«

      »Wirklich …, wollen Sie?«

      »Ja, ich will. Wenn ich nicht wenigstens den Versuch unternehme, wird nie etwas daraus. Der Professor hat mir ausdrücklich gesagt, dass Übung nur gut sein kann, solange ich die Bandage trage.«

      Marianne unterdrückte einen Seufzer. In der vergangenen Woche hatte sich ein ähnlicher Versuch als absoluter Fehlschlag erwiesen. Rosita konnte die Bogenhand nicht weit genug biegen. Der Strich fiel zitterig und rau aus. Nach einigen unsauber angestrichenen Tönen hatte die Künstlerin weinend den Bogen weggelegt. Trotzdem wollte sie es nun wieder probieren.

      Marianne holte zögernd das Instrument und legte es auf Rositas Knie. Vorsichtig nahm die Künstlerin die Geige aus dem Kasten, dann den Bogen. Mit der bandagierten Hand war es nicht leicht, den Bogen richtig zu halten, doch Rosita nickte befriedigt, nachdem sie ein paar Übungen in der Luft ausgeführt hatte. Dann setzte sie zum Spiel an. Ein paar Takte erklangen, so meisterhaft wie in alter Zeit. Doch dann brach die Künstlerin mit einem Schmerzenslaut ab.

      »Nein, es tut zu weh. Es geht nicht mehr, Marianne. Die Hand hat keine Kraft mehr.« Auf Rositas Stirn standen Schweißperlen. Sie zitterte, als habe sie stundenlang schwer körperlich gearbeitet.

      Marianne nahm das Instrument und bettete es wieder in den Geigenkasten. »Sie müssen noch warten, Frau Linden«, sagte sie leise.

      »Aber ich kann nicht bis in alle Ewigkeit warten, Marianne«, begehrte Rosita auf. »Hast du unseren letzten Kontoauszug gesehen? Lange kann ich es mir nicht mehr leisten, nur immer Geld auszugeben und keines zu verdienen.«

      »Wir könnten etwas vom Schmuck verkaufen, Frau Linden. Zuerst müssen Sie gesund werden.«

      »Der Schmuck sollte als Rücklage für Kitty bleiben. Sie hat ja keinen Cent, wenn mir etwas zustoßen sollte. Ach, manchmal wünschte ich, ich wäre aus der Narkose gar nicht mehr aufgewacht, als sie mir den Beckenbruch berichteten.«

      »So etwas dürfen Sie nicht sagen, Frau Linden«, flüsterte Marianne

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