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Er hatte zu sehr für den Sieg gelebt. Es war ihm unmöglich, sich selbst einzugestehen, alles sei umsonst gewesen. Dreimal verwundet, einmal schwer. Und die anderen? Würden die mitmachen?

      Die Sonne war hinter der gezackten Kulisse der Fichtenwipfel verschwunden. Ein paar rosiggraue Wolken standen darüber. In der Ferne rumorten Panzer. Drei silbern glitzernde »Mustangs« flogen in großer Höhe heimwärts.

      Wo standen jetzt wohl die Eigenen, Hauptmann Geis? Vielleicht schon am Westwall.

      Und der Feldwebel dachte: Dort werden die Amis nicht durchkommen. Nie!

      »Macht ihr mit?«, fragte er mit einer Stimme, die möglichst beiläufig klingen sollte.

      »Klar«, sagte der Obergefreite, »aber wie?«

      Und der Unteroffizier meinte schwankend: »Na, ich weiß nicht …«

      »Nein«, sagte der Gefreite entschlossen.

      Also drei gegen einen.

      Das Kinn des GI lag auf der Brust. Schlief er?

      Jetzt, dachte der Feldwebel, aber er rührte sich nicht. Er konnte es nicht glauben. Wie konnte ein Posten schlafen, der vier Gefangene zu bewachen hatte?

      Feldwebel Klingler sah die Straße hinab und bemerkte eine dunkle Gruppe Zivilisten. Bewaffnet. Sie werden hinter uns herschießen, aber die meisten sind schlechte Schützen … Als wäre sie selbstständig geworden, von eigenem Leben erfüllt, unabhängig vom Willen des Feldwebels, tastete seine Hand vor. Sie zitterte nicht. Sein Körper folgte der Hand und schob sich auf den Posten zu. Es kam ihm vor wie Stunden und dauerte doch nur Sekunden.

      Langsam! Ich kenne diese Müdigkeit – wenn man so müde ist wie dieser Schwarze, wird einem alles egal. Man möchte nur noch schlafen. Herrgott, lass ihn schlafen! Wie lange hat er nicht mehr geschlafen?

      Nur noch einen halben Meter. Nur noch zwanzig Zentimeter.

      »Feldwebel!«, zischte die Stimme des bebrillten Gefreiten.

      Klingler kümmerte sich nicht um sie. Er streckte den Arm aus. Seine Fingerspitzen berührten den Revolverkolben. Das Holz war glatt, kühl, abgegriffen.

      »Feldwebel!« Die Stimme des Gefreiten war lauter.

      Klingler rührte sich nicht. Ich werde das Schwein erschießen, dachte er, ich werde ihn erschießen, wenn er mir … der verfluchte Hund, ich werde ihn …

      »Weiter, machen Sie weiter!«, sagte die Stimme des Obergefreiten. Sie war dünn und flach vor Anspannung.

      Der Posten fuhr zusammen. Sein Kopf hob sich ruckartig, und der Stahlhelm schlug metallisch gegen die Wand. Aber er machte die Augen nicht auf, noch nicht, und der Feldwebel dachte jetzt an nichts mehr, er war nur noch Hoffen, Bangen und Wünschen: Herrgott, lass ihn nicht auf wachen!

      Er riss den Revolver aus dem Halfter. Er tat es im gleichen Augenblick, als das Unterbewusstsein des Postens Gefahr signalisierte. Der Schwarze sprang blitzschnell auf, er war hellwach, und seine Bewegungen waren geschmeidig, katzengleich, als er zu den Hüften griff. Der Stahlhelm polterte zu Boden. Er zog den zweiten Revolver, hob ihn.

      Aber Feldwebel Klingler schaffte es, in einer blitzschnellen, verzweifelt schnellen Bewegung aufzuspringen, zugleich mit dem Posten, wie von einer Stahlfeder geschleudert. Er schlug mit der erbeuteten Waffe zu, Augenblicke bevor der andere abdrücken konnte.

      Der Schlag traf den Amerikaner über dem Haaransatz. Seine Knie gaben nach, bewusstlos sackte er zusammen, und noch während er fiel, beugte sich Klingler über ihn und riss ihm den zweiten Revolver aus der kraftlosen Hand. Dabei sah er auf die Wunde, aus der das Blut lief, und es berührte ihn seltsam, dass das Blut so rot war, so schrecklich rot auf der dunklen Haut. Das hatte er noch nie gesehen: so leuchtend rotes Blut auf schwarzer Haut … Er riss sich von diesem Anblick mit Gewalt los, fuhr herum, warf dem Obergefreiten einen Revolver zu und zischte: »Los jetzt!«

      Der Obergefreite und der Unteroffizier begannen zu laufen, aber der Gefreite mit der Brille blieb sitzen, und aus dem hellen Oval seines Gesichts in der Dämmerung sprach nichts als Feindseligkeit. »Schwein!«, sagte er. Weiter nichts.

      »Sie werden dich umbringen!«, flüsterte der Feldwebel heiser. »Steh auf! Los!«

      Der Gefreite gehorchte.

      »Weiter! Los, weiter! «, zischte der Feldwebel, und sie liefen, der Gefreite zögernd zuerst, nur der Gewohnheit des Gehorchens folgend, und bald freier, schneller, zielbewusster. Die beiden anderen waren schon weit vorne auf der Wiese.

      Der Gartenzaun! Mit einem Satz sprangen sie auf die andere Seite. Der Feldwebel stolperte, fing sich. Die Wiese. Weiter! Sie mussten bis zum Wald, in den Wald! Der Wald war hoch und dunkel, weit vor ihnen. Dort waren sie sicher. Sie liefen an der toten Kuh vorbei, der Gefreite immer zwei Schritte voran, und weiter vorne, doch nicht mehr so weit wie vorhin, der weiße, auf- und abwippende Kopfverband des Obergefreiten. Der Feldwebel stolperte, fiel, sprang auf. Hinter ihnen ertönten laute, wütende Stimmen und dann Schüsse.

      Klingler sagte sich, dass die Stimmen und die Schüsse ihnen galten, aber es ließ ihn irgendwie kalt, es berührte ihn kaum. Er sagte sich, dass er jeden Augenblick von einer Kugel getroffen werden konnte – denn hinter ihm erscholl das abgehackte Rattern einer Maschinenpistole – doch zugleich wusste er, dass sie gegen den dunklen Hintergrund des Waldes ein schlechtes Ziel abgaben. Sie konnten nur wie huschende schwarze Schatten vor der Dunkelheit erscheinen, in der Dunkelheit, im Zwielicht …

      Die Schüsse und die Stimmen blieben in gleichmäßiger Entfernung hinter ihnen.

      Der Feldwebel sprang über einen dunklen Haufen und erkannte erst nach Sekunden, dass er über einen Gefallenen gesprungen war, der neben einem schwärzlichen, flachen Trichter lag. Und er rief zu den anderen: »Schneller! Schneller!«

      Sie liefen um ihr Leben, hinter ihnen die anderen. Schreie, Schüsse – kamen sie näher?

      Keuchend brachen sie in das Unterholz ein. Der Feldwebel schlug mit der Stirn gegen einen Baumstamm, in seinem Gehirn platzte eine glühende Kugel, und er fand sich auf dem Boden sitzend wieder. Wie lange habe ich hier gesessen? Es ist nichts, sagte er sich, nur ein Baum, ich muss weiter. Ich – muss – weiter!

      Und dann sah er, dass er allein war. Die anderen waren verschwunden. Hinter ihm hörte er das Brechen dürrer Zweige, Stimmen. Er stand taumelnd auf und wurde sich plötzlich der tröstlichen Glätte des Revolverkolbens bewusst, den er in den Händen hielt. Sie werden mich nicht erwischen. Nie. Nicht lebend. Er begann wieder zu laufen.

      Der Oberscharführer des SD war Mitte dreißig und sah recht alltäglich aus. Sein rundes, gesundes Gesicht hätte fast gutmütig gewirkt – wenn seine Augen nicht gewesen wären. Sie waren hell, kalt und wirkten sonderbar leblos, selbst dann, wenn er wütend war oder wenn er lachte.

      Er hieß Werner Wenzel und war zuletzt in Mons eingesetzt gewesen. Die »rote Stadt« im belgischen Kohlenrevier hatte ihm genügend Gelegenheit gegeben, sich zu bewähren.

      Oberscharführer Wenzel hatte sich mit seinen Leuten nicht zu Fuß von Mons nach Osten abgesetzt, als die Reste der geschlagenen deutschen 7. Armee unentwirrbar verstrickt mit denen der 5. Panzerarmee über die Seine und Somme in Richtung Deutschland fluteten. Zu Fuß tippelten nur die einfachen Landser. Wenzel war mit einem fast neuen Peugeot gefahren, und sein Wagen war vollbepackt mit Benzinkanistern und persönlichem Gepäck.

      Gefolgt war ihm ein Autobus mit belgischen Zivilisten, Männer und Frauen, die er nach Bergen-Belsen bringen sollte, ins Konzentrationslager. Doch sein Vorgesetzter – der Teufel allein wusste, wo er jetzt war – hatte offensichtlich nicht mit dem Chaos gerechnet, das sich den deutschen Grenzen näherte und sie bereits überflutete.

      Der Omnibus stand mit Netzen und Zweigen getarnt unter den Bäumen, als Wenzel von seiner Informationsfahrt nach Aachen zurückkehrte. Dort hatte er ein wüstes Durcheinander vorgefunden. Die Kreisleitung war im Aufbruch, der Abschnittsleiter des SD unerreichbar. Es gab keinen Zugverkehr mehr, und die Straßen zwischen Ruinen und Schutt waren mit ratlosen Flüchtlingen verstopft.

      Am

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