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Der Raubgraf. Julius Wolff
Читать онлайн.Название Der Raubgraf
Год выпуска 0
isbn 9783961183517
Автор произведения Julius Wolff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Leere Drohungen auszustoßen und im Übrigen eine Sache auf sich beruhen zu lassen, war Graf Albrechts Weise nicht. Er hatte der Äbtissin gesagt, dass er sich erst Emersleben wiedernehmen und dann seine Rechnung mit dem Rate der Stadt Quedlinburg wegen des bischöflichen Aftergerichts begleichen würde. Das eine war vollbracht, jetzt sollte auch das andere geschehen. Er wählte dazu den Tag, an dem ihn Fürst Bernhard von Anhalt-Ballenstedt mit Burg und Gericht Gersdorf belehnte.
Nachdem die lehensrechtliche Handlung mit der hergebrachten Feierlichkeit an Ort und Stelle stattgefunden und Albrecht seinen zweitjüngsten Bruder Günther als Burgvogt daselbst eingesetzt hatte, ritt er mit seinem jüngsten Bruder Siegfried und einem kleinen Gefolge reisiger Knechte geradeswegs nach Quedlinburg. Dicht vor der Stadt kamen sie an den städtischen Vorwerken Tackenburg und Stumsburg und an dem hohen Baume unweit der vor dem Steinbrückentor belegenen Sankt Spirituskapelle vorüber. Der hohe Baum, eine mächtige Linde, war eine alte Dingstätte, an welcher über Fürsten und Grafen Gericht gehalten wurde, wo unter anderem auch im dreizehnten Jahrhundert die Teilung der Braunschweigischen Länder zwischen den Herzögen Albert und Johann, den Stammvätern der beiden nachmaligen Linien Braunschweig-Lüneburg und Braunschweig-Wolfenbüttel, vollzogen und förmlich ausgesprochen war.
An dieser Stelle vor dem hohen Baume wollte Albrechts Pferd nicht vorbei. Er zwang es mit fester Hand und sagte zu Siegfried: »Seltsam! Brun scheut vor dem Blutgeruch, als witterte er etwas von den harten Sprüchen, mit denen hier schon über manchen tapferen Mann der Stab gebrochen ist. Gott verhüte, dass jemals ein Regensteiner als Verklagter unter dieser Linde stehen muss!«
»Das verhüte Gott!« wiederholte Siegfried, »Albrecht, wie kommst du nur darauf?«
»Ich weiß es nicht,« sprach Albrecht, »aber die Tiere merken oft Dinge, von denen ein Mensch nichts ahnt, und ich achte gern auf die kleinen, stummen Winke von Roß und Hund, unseren guten Gesellen, die mich noch selten betrogen haben.«
Sie ritten durch das tiefgewölbte Tor in die Stadt hinein, und die Bürger wunderten sich über den unverhofften Besuch. Die Männer warfen dem Grafen Albrecht finstere Blicke zu, obwohl sie es an einem dienstlichen Gruße nicht fehlen ließen; die Frauen und Mädchen aber hatten ihre Freude an den beiden ritterlichen Gestalten, besonders Siegfrieds blühende Jugendkraft fand viel Gunst und Gnade in den Augen der Schönen. Dieser ritt nur durch die Stadt hindurch nach der Gunteckenburg, wo er auf den älteren Bruder warten wollte.
Aus dem Markte vor dem Rathause stieg Graf Albrecht ab, übergab sein Roß einem Knechte und schritt die breite Steintreppe hinan und durch die Tür, über welcher an der Außenseite des stattlichen Gebäudes ein großer gemeißelter und bemalter Reichsadler prangte.
Er hatte in Erfahrung gebracht, dass heute Nachmittag eine Ratssitzung stattfinden würde, und war darum gerade heute gekommen. Den Ratsdiener, der seine Ankunft dem versammelten Rate melden wollte, schob er mit kräftigem Arm beiseite und betrat dröhnenden Schrittes den Sitzungssaal, wo sein plötzliches Erscheinen keine geringe Überraschung und keine große Freude hervorrief.
»Verzeihet, Wohledle und Wohlweise, dass ich eure gewiss sehr wichtige Beratung so jählings unterbreche; aber ich habe in Frieden und Freundschaft ein paar ernste Worte mit euch zu reden,« begann er zu den sich schnell erhebenden Ratsherren. Den Stuhl nicht benutzend, den ihm der Stadtschreiber herbeitrug, blieb er mitten vor der Versammlung stehen und fuhr, ohne eine höfliche Aufforderung dazu abzuwarten, in einem entschiedenen Tone fort: »Ihr wisst, Bürgermeister und Rat, wie ich über das vom hochwürdigsten Bischof von Halberstadt hier in der Stadt eingesetzte geistliche Gericht denke, und wer von euch es etwa noch nicht weiß, dem sage ich hiermit, dass ich diesen Eingriff in mein Recht als Schirmvogt und Gerichtsherr des Stiftes auch nicht einen Tag mehr zu dulden gewillt bin. Ist einem Bürger eurer Stadt von einem an meinen Malstätten gehegten Gerichte unrecht geschehen, das Recht verweigert, ein scheltbares Urteil gefunden, ein zu harter Spruch gefällt? Das frage ich euch!«
»Hochachtbarer Herr Graf,« sprach nun der erste Bürgermeister, »nicht wir haben das geistliche Gericht eingesetzt, sondern, wie Ihr selber sagt, der hochwürdigste Bischof von Halberstadt hat es getan.«
»Aber Ihr habt es geduldet!« erwiderte der Graf heftig und schlug mit der behandschuhten Eisenfaust klirrend und krachend auf die hölzerne Schranke vor dem Sitzungstische.
»Nur über geistliche, nicht über weltliche Dinge hat der Bischof hier einen Richter bestellt, Herr Graf,« erwiderte der Bürgermeister.
»Was geistlich und weltlich!« rief der Graf. »Wer das Gericht anruft, Pfaff oder Laie, der hat Recht zu nehmen von einem echten und gerechten Ding. Jeder arme Sünder mag in seiner heimlichen Gewissensnot zum Beichtmönch schleichen, und Pfaffengezänk mögen sie vor den Bischof bringen, aber in des Kaisers Namen Recht sprechen, das tu' ich oder die von mir bestellten Richter. Gebt Ihr das zu? oder wagt Ihr es zu leugnen?«
»Wir müssen es zugeben,« sagte de Bürgermeister nach einem raschen Blick über die Versammlung, die mit einem leisen Gemurmel zustimmte.
»Nun dann wißt Ihr auch, was Ihr zu tun habt,« sprach der Graf. »Ich belege Euch mit einer Buße von dreihundert Mark Stendalisch Silber für jeden, noch so gelinden Spruch, der von heute an hier aus einem anderen Munde als dem des von mir bestellten Stadtschultheißen fällt. Ihr selber und jeder Bürger Eurer Stadt haftet mir dafür mit Leib und Leben! Nun habt Ihr mich wohl verstanden, und jetzt, Herr Bürgermeister, ersuche ich Euch, mir mit zwei Ratmannen nach dem Franziskaner-Kloster zu folgen, damit wir dort an der Stätte seines Frevels dem Afterrichter des hochwürdigsten Herrn Bischofs die Pfuscharbeit ernstlich verbieten.«
Was sollten sie machen? Der Graf sah nicht danach aus, als wenn er sich lange aufs Bitten legen wollte, und sie wussten, wie schwer seine Hand war, wenn sie im Zorne auf der Stadt ruhte. Sie wagten es nicht, ihn noch mit einem Worte zu reizen. Die Sitzung wurde aufgehoben, und der Bürgermeister musste sich dazu bequemen, den Grafen mit zwei Ratsherren zu den Franziskanern zu begleiten.
Dort musste zwei Mönche sofort den Rektor von Sankt Ägidien herbeiholen. Der Graf befahl ihm mit kurzen und derben Worten, seinem Richteramt zu entsagen und auf die Heiligen zu schwören, dass er keine Klage, weß Gegenstandes sie auch sei, mehr annehmen wolle. Dessen weigerte sich der Pfarrer, worauf ihm der Graf drohte, ihn stehenden Fußes aus der Stadt führen und auf dem Regenstein in den Turm werfen zu lassen. Da leistete der Rektor den Eid in Gegenwart der Herren vom Rat, des Guardians und einiger Barfüßermönche.
Darauf ritt der Graf mit den Seinigen von dannen, und als er aus dem Tore war, atmeten Rat und Bürgerschaft auf, als wenn ein Wolkenbruch Tod und Verderben drohend über ihrer Stadt geschwebt hätte und noch einmal glücklich vorübergezogen wäre. Einen Zuwachs an Anhänglichkeit und Liebe der Quedlinburger nahm Graf Albrecht nicht mit, aber das geistliche Gericht des Bischofs war beseitigt, und er hoffte nun eine Weile in Ruh und Frieden zu leben.
Aber länger als eine Woche sollte das beschauliche Stilleben auf dem Regenstein nicht dauern. Dafür sorgte der Ritter Bock von Schlanstedt.
Dieser Würdige, der den Panzer nicht auszog und sich nur in den Steigbügeln wohl und glücklich fühlte, brannte darauf, die neu erworbene Burg Gersdorf in näheren Augenschein zu nehmen, war daher eines Tages mit seinen sechs reisigen Knechten dahin aufgebrochen und hatte in Abwesenheit des Grafen Günther eine Nacht auf der Burg zugebracht.
Am andern Morgen wollten die sieben nach dem Regenstein zurück und machten sich auf den Weg dahin, der über Quedlinburg führte. Bock ritt langsam voran, und die Knechte folgten ihm in kurzer Entfernung. Zwei der letzteren hatten auf Befehl des Grafen den tags vorher beendeten Feierlichkeiten in Halberstadt beigewohnt, um auszukundschaften, wer von den benachbarten Grafen und Herren an der Inthronisation des Bischofs teilgenommen hatte und wer nicht.
Diese beiden erzählten nun ihren Gesellen von den dort geschauten Herrlichkeiten bei der Prozession durch die geschmückte Stadt, der feierlichen Weihe im Dom und den Lustbarkeiten im bischöflichen Palast und auf dem stolzen Rathause.
»Heilige Maria, Mutter und Magd!« rief Nothnagel, »war das eine Pracht an Kleidung und Armatur, an Reitzeug, Kleinoden und Fähnlein von all den Herren