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Reihe war der Schaufelbauer, der Pique-Bube.

      Studer hatte die Hände auf den Rücken gelegt und ging in der Küche auf und ab, öffnete den Schaft, schloß ihn wieder, nahm eine Pfanne von der Wand, lupfte einen Deckel…

      Im Schüttstein stand eine Tasse mit schwarzem Satz auf dem Grunde… Studer roch daran: ein schwacher Anisgeruch. Er kostete.

      Der bittere Nachgeschmack, der lange an der Zunge haftete… Der Geruch! – Es war ein Zufall, daß Studer beides kannte. Vor zwei Jahren hatte ihm der Arzt gegen Schlaflosigkeit Somnifen verschrieben.

      Somnifen!… Der gallenbittere Geschmack, der Anisgeruch… Hatte die alte Frau auch an Schlaflosigkeit gelitten?

      Aber warum, zum Tüüfu, hatte sie ein Schlafmittel genommen, hernach einen Klubfauteuil in die Küche geschleppt und schließlich die Hähne des Gasherdes aufgedreht? Warum?

      Eine tote Frau in Basel, eine tote Frau in Bern… Als Verbindungsglied zwischen den beiden der Mann: Cleman Alois Victor, Geologe und Schweizer, gestorben im Militärhospital zu Fez während des Weltkrieges. Warum begingen die beiden Frauen des Mannes Cleman fünfzehn Jahre später Selbstmord? Die eine heute, die andere gestern? Begingen Selbstmord auf eine, gelinde gesagt, merkwürdige Manier?

      War dies vielleicht der »Große Fall«, von dem jeder Kriminalist träumt, auch wenn er nur ein einfacher Fahnder ist?

      »Einfach!«… Das Wort paßte eigentlich nicht auf den Wachtmeister. Wäre Studer »einfach« gewesen, so hätten seine Kollegen, vom Polizeihauptmann bis zum simplen Gefreiten, nicht behauptet, er »spinne mängisch«.

      An dieser Behauptung war zum Teil die große Bankgeschichte schuld, die ihm das Genick gebrochen hatte, damals, als er wohlbestallter Kommissär bei der Stadtpolizei gewesen war. Er hatte den Abschied nehmen und bei der Kantonspolizei als einfacher Fahnder wieder anfangen müssen. In kurzer Zeit war er zum Wachtmeister aufgestiegen; denn er sprach fließend drei Sprachen: Französisch, Italienisch, Deutsch. Er las Englisch. Er hatte bei Groß in Graz und bei Locard in Lyon gearbeitet. Er besaß gute Bekannte in Berlin, London, Wien – vor allem in Paris. An kriminologische Kongresse wurde gewöhnlich er delegiert. Wenn seine Kollegen behaupteten, er spinne, so meinten sie vielleicht damit, daß er für einen Berner allzuviel Phantasie besaß. Aber auch dies stimmte nicht ganz. Er sah vielleicht nur etwas weiter als seine Nase, die lang, spitz und dünn aus seinem hageren Gesicht stach und so gar nicht zu seinem massiven Körper passen wollte.

      Studer erinnerte sich, daß er einen Assistenten am Gerichtsmedizinischen von einem früheren Fall her kannte. Er ging durch die Wohnung und suchte das Telephon. Im Wohnzimmer – rote Plüschfauteuils mit Deckchen, verschnörkelter Tisch, Säulchenschreibtisch – war das Telephon an der Wand angebracht.

      Studer hob den Hörer ab, stellte die Nummer ein.

      »Ich möchte Dr. Malapelle sprechen… Ja?… Sind Sie's, Dottore? Haben Sie die Sektion schon gemacht?… Jawohl, von der Gasleiche, wie Sie sagen… Senti, Dottore!… « Und Studer sprach weiter Italienisch, erzählte von seinem Verdacht auf Somnifen… Der Arzt versprach das Protokoll auf den Nachmittag.

      Dann blätterte der Wachtmeister weiter im Telephonbuch. Nein, hier war keine Fiebertabelle versteckt. Das Zimmer sah nicht aus, als sei es durchsucht worden. Studer probierte die Schubladen am Schreibtisch, sie waren verschlossen.

      Das Schlafzimmer… Ein riesiges Bett darin und vor dem einzigen Fenster rote Plüschvorhänge. Sie verdunkelten den Raum. Studer zog die Vorhänge auf.

      Über dem Bett hing das Bild eines Mannes.

      In Bern eine einsame Frau, in Basel eine einsame Frau. – Die Frau in Bern hatte es ein wenig schöner gehabt, Zweizimmerwohnung mit Küche, während die Josepha in Basel den Durchgangskorridor zum Wohn- und Schlafzimmer als Küche benutzt hatte. Aber einsam waren sie beide gewesen. Studer ertappte sich darauf, die alten Frauen bei ihrem Vornamen zu nennen. Die Josepha in Basel und die Sophie in Bern, beide schlurften in Finken in ihren Wohnungen herum, wahrscheinlich gingen sie auch in Finken über die Straße »go poschte«…

      Merkwürdig, daß in der Wohnung der Josepha in Basel kein Bild des verstorbenen Geologen hing. Josepha war doch die rechtmäßige Gattin gewesen, während die Sophie nur eine »G'schydni« war…

      Aber über dem Bett der Geschiedenen hing, mit dicken Holzleisten eingerahmt, die vergrößerte Photographie des Cleman Alois Victor. Denn nur um diesen konnte es sich handeln.

      Er trug auf dem Bilde einen dunklen, gekräuselten Bart, der den hohen Westenausschnitt so vollständig verdeckte, daß die Form der Krawatte nicht festzustellen war. Ein Bart! Zeichen der Männlichkeit vor dem Krieg!

      Der Bart mußte dem Geologen und Schweizer heiß gegeben haben, dort unten in Marokko, beim Silber-, Blei- und Kupferschürfen!… Dazu trug der Mann eine Brille, deren ovale Gläser die Augen verbargen. Verbargen? Es war nicht das richtige Wort!… Sie ließen nur den Blick sonderbar matt und unbeteiligt erscheinen – unpersönlich. Und dadurch wurde auch das ganze Gesicht ausdruckslos.

      Ein schöner Mann! Wenigstens das, was man in jenen vorsintflutlichen Zeiten unter einem schönen Mann verstanden hatte…

      Studer starrte auf das Bild; er schien zu hoffen, daß ihm der Ehemann von zwei Frauen etwas erzählen werde. Aber der weitgereiste Geologe blickte so gleichgültig drein, wie nur ein Wissenschaftler gleichgültig dreinblicken kann. Und der Wachtmeister kehrte ihm endlich verärgert den Rücken zu.

      Als er wieder die Küche betrat, war der lederne Klubsessel nicht mehr leer.

      Ein Mann saß darin, der ein merkwürdiges Spiel spielte: er hatte seine Mütze, die aussah wie ein vom Töpfer verpfuschter Blumentopf, über den Zeigefinger seiner Rechten gestülpt. Mit seiner Linken gab er dem vertätschten Gebilde kleine Stöße und brachte es zu einem langsamen Kreisen.

      Der Mann, der eine weiße Kutte trug, blickte auf:

      »Bonjour, inspecteur!« sagte er. Und dann fügte er in einem fremdländisch klingenden Schweizerdeutsch hinzu: »Es guets Neus!«

      »Glychfalls!« antwortete Studer, blieb unter der Tür stehen und lehnte sich an den Pfosten.

      Pater Matthias

      Der Gründer unseres Ordens, Kardinal Lavigerie«, sagte Pater Matthias und fuhr fort, seinem verpfuschten Blumentopf, den sie drüben in Afrika Scheschia nannten, kleine Stöße zu geben, »unser großer Kardinal soll einmal geäußert haben: ›Ein wahrer Christ kommt nie zu spät.‹ Ganz sicher ist dieser Ausspruch nur in übertragener Bedeutung richtig, denn auf unser Erdenleben angewandt, kann er nicht stimmen. Dieses ist abhängig von menschlichen Einrichtungen, als da sind: Eisenbahnzüge, Dampfboote, Automobile… Meine Nichte Marie, die ich gestern abend noch traf, erzählte mir, was in Basel vorgefallen ist. Ich habe darum schleunigst ein Taxi gemietet und bin nach Bern gefahren, denn es fuhr kein Zug mehr. Unterwegs hatten wir eine Panne – auch das kommt vor. Und so bin ich erst jetzt hier angekommen, die Tür war aufgebrochen, das Schloß lag am Boden – es roch noch ganz leicht nach Gas… Und dann hörte ich Schritte in der Wohnung. ›Ist vielleicht‹, dachte ich bei mir selbst, ›jener sympathische Inspektor anwesend, dessen Bekanntschaft zu machen ich in Paris die Ehre und das Vergnügen hatte? Das wäre eine wahrhaft göttliche Fügung!‹ Es stimmte… «

      Zuerst hatte Studer überhaupt nicht zugehört, sondern mehr dem Klange der Rede gelauscht und ihn mit dem Tonfall jener anderen Stimme verglichen, die ihn am Telephon ausgelacht hatte. Der Pater sprach ein ausgezeichnetes Hochdeutsch, nur hin und wieder, bei Worten wie »gedacht« und »leicht« klang das »ch« gaumig-schweizerisch… Die Stimme war eine richtige Kanzelstimme, tief, orgelnd, und sie paßte eigentlich nicht recht zu dem dürftigen Körper. Aber Stimmen kann man verstellen, nicht wahr? In der kleinen Pariser Beize hatte die Stimme etwas anders geklungen, ein wenig höher vielleicht. War die französische Sprache, die der Pater damals gebraucht hatte, an dieser Verschiedenheit schuld?

      Studer bückte sich plötzlich und hob das Schloß vom Boden

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