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glaubte, in seinem Schmerz ausrief: Ich werde mit meinem Schmerz in die Grube fahren, ins Inferno, in die Hölle; das heißt: Ich werde sterben, da mein Sohn tot ist.

      Sie beweisen es noch mit Passagen aus Jesaja und Hesekiel – aber die Hebräer, zu denen Mose sprach, konnten weder Hesekiel noch Jesaja, die erst mehrere Jahrhunderte danach lebten, gelesen haben.

      Es ist völlig unnütz, über Moses verborgene Gefühle zu streiten: Tatsache ist, dass er in seinen Gesetzen, die er dem Volk gab, nie über ein zukünftiges Leben sprach und alle Strafen oder Belohnungen auf das gegenwärtige Leben begrenzt. Wenn er von dem künftigen Leben wusste, warum hat er dann dieses wichtige Dogma nicht ausdrücklich erwähnt? Und falls er es nicht kannte, was war dann der Zweck seiner Mission? Dies ist eine Frage, die viele große Persönlichkeiten stellen. Sie antworten, dass Moses und aller Menschen Herr sich das Recht vorbehielt, den Juden zu einer von ihm bestimmten Zeit eine Lehre zu erklären, die sie während ihres Aufenthalts in der Wüste nicht imstande gewesen seien zu verstehen.

      Wenn Mose das Dogma der Unsterblichkeit verkündet hätte, so wäre es nicht von einer der großen Gelehrtenschulen der Juden immerfort bekämpft worden. Die große Schule der Sadduzäer wäre vom Staat nicht zugelassen, nicht mit den erstrangigen Staatsaufgaben betraut worden, und man hätte keine Hohenpriester aus ihrer Mitte gewählt.

      Es scheint, als hätten sich die Juden erst nach der Gründung Alexandrias in drei Sekten aufgeteilt: die Pharisäer, die Sadduzäer und die Essener. Der Historiker Flavius Josephus, ein Pharisäer, erklärt uns im 13. Buch seiner Jüdischen Altertümer, dass die Pharisäer an die Seelenwanderung glaubten, die Sadduzäer an den Untergang der Seele mit dem Körper, die Essener – sagt ebenfalls Josephus – hielten die Seele für unsterblich. Ihnen zufolge kamen die Seelen aus den höchsten Schichten der Atmosphäre in luftiger Form zu den Körpern herunter, wo sie von einer gewaltigen Anziehungskraft festgehalten werden, und nach dem Tod bleiben diejenigen, welche guten Menschen angehört haben, jenseits des Ozeans, in einem Land, wo es weder warm noch kalt ist, wo es weder Wind noch Regen gibt. Die Seelen der Bösen kommen in ein völlig entgegengesetztes Klima. Solcherart war die Theologie der Juden.

      Derjenige aber, der alleine die ganze Menschheit lehren sollte, verurteilte alle drei Sekten, aber ohne ihn hätten wir niemals etwas über unsere Seele erfahren können, weil ja die Philosophen niemals eine präzise Vorstellung von ihr hatten, und Mose, der einzige wirkliche Gesetzgeber der Welt vor dem unseren, Mose, der mit Gott von Angesicht zu Angesicht sprach und ihn dabei nur von hinten sah, hat die Menschen in einer tiefen Unkenntnis über diesen erhabenen Gegenstand gelassen. Daher ist man sich erst seit siebzehnhundert Jahren der Existenz der Seele und ihrer Unsterblichkeit gewiss.

      Cicero hatte nur Vermutungen, sein Enkel und seine Enkelin konnten die Wahrheit von den ersten Galiläern, die nach Rom kamen, erfahren.

      Aber vor dieser Zeit und seither auch in der ganzen übrigen Welt, wo die Apostel nicht hinkamen, sagte jedermann zu seiner Seele: Wer bist du, woher kommst du, was tust du, wohin gehst du? Du bist ich weiß nicht was, du denkst und fühlst, aber auch wenn du hunderttausend Millionen Jahre fühlen und denken würdest, wirst du doch niemals aus eigener Erkenntnis, ohne die Hilfe eines Gottes, mehr darüber wissen können.

      O Mensch, dieser Gott hat dir den Verstand gegeben, damit er dich gut leite, aber nicht, damit du in das Wesen der Dinge dringst, die er geschaffen hat.

      AMITIÉ – Freundschaft

      Das ist ein stillschweigender Vertrag zwischen zwei füreinander offenen und aufrichtigen Personen. Ich sage offen, weil ein Mönch, ein Einsiedler, keineswegs bösartig sein muss und doch lebt, ohne die Freundschaft zu kennen. Ich sage aufrichtig, weil die Bösartigen nur Komplizen haben, Wollüstlinge haben Kumpane ihrer Ausschweifungen, Gewinnsüchtige Teilhaber, Politiker versammeln Parteigänger, der gewöhnliche Müßiggänger hat seine Beziehungen, Prinzen haben Höflinge, allein aufrichtige Menschen haben Freunde. Cethegus war der Komplize von Catilina und Maecenas der Höfling von Octavius, aber Cicero war der Freund von Atticus.

      Wozu führt dieser Vertrag zwischen zwei zartfühlenden und aufrichtigen Seelen? Die Verpflichtungen sind je nach dem Grad ihrer gegenseitigen Offenheit und der Anzahl der erwiesenen Dienste usw. stärker oder schwächer.

      Die Begeisterung für die Freundschaft war bei den Griechen und bei den Arabern stärker als bei uns. Die Erzählungen über die Freundschaft, die sich diese Völker ausgedacht haben, sind bewundernswert, wir haben nichts Vergleichbares, wir sind in allem ein wenig trockener.

      Die Freundschaft war bei den Griechen Bestandteil der Religion und der Gesetzgebung. Die Thebaner hatten das Regiment der Liebenden*: ein schönes Regiment! Einige haben es für ein Regiment von Sodomiten gehalten; sie irren und halten die Nebensache für die Hauptsache. Die Freundschaft war bei den Griechen durch Gesetz und Religion geboten. Die Päderastie wurde bedauerlicherweise von ihren Sitten toleriert, man sollte einem Gesetz aber nicht den schändlichen Missbrauch anlasten. Wir werden später darauf zurückkommen.

      AMOUR – Liebe

      Amor omnibus idem.* Hier müssen wir uns auf körperliche Dinge beziehen, denn Liebe ist ein Stoff der Natur, den die Fantasie bestickt hat. Willst du eine Vorstellung von der Liebe bekommen, so schau auf die Spatzen in deinem Garten, auf deine Tauben; betrachte den Stier, welchen man zu deiner Jungkuh bringt; sieh den stolzen Hengst, den zwei Stallburschen der friedlichen Stute zuführen, die ihn erwartet und ihren Schweif zur Seite dreht, um ihn zu empfangen; sieh, wie seine Augen sprühen; höre sein Gewieher; betrachte dies Springen und Tänzeln, die gespitzten Ohren, das Maul, wie es sich unter kurzen Zuckungen öffnet, die geblähten Nüstern, den entflammten Atem, der daraus entweicht, die Mähne, die sich sträubt und wogt, diese ungestüme Bewegung, mit der er sich auf das Objekt stürzt, das seine Natur ihm bestimmt hat. Du aber sei bloß nicht eifersüchtig, sondern gedenke der Vorzüge der menschlichen Gattung: sie entschädigen in der Liebe für alles, was die Natur den Tieren mitgab: Kraft, Schönheit, Zwanglosigkeit, Schnelligkeit.

      Es gibt sogar Tiere, welche die Sinneslust überhaupt nicht kennen. Die schuppigen Fische sind dieser Wonne beraubt, das Weibchen wirft Millionen von Eiern in den Schlamm; das Männchen, das darauf stößt, zieht darüber hin und befruchtet sie mit seinen Samen, ohne sich zu bekümmern, welchem Weibchen sie zugehören.

      Die meisten der Tiere, die sich paaren, kosten die Lust nur mit einem einzigen Sinn aus, und sobald dieses Verlangen gestillt ist, erlischt alles. Kein Lebewesen außer dir kennt die Umarmung; dein ganzer Leib ist empfindsam; deine Lippen vor allem genießen eine Wollust, die nichts ermüdet, und diese Lust gehört deiner Gattung allein. Schlussendlich kannst du dich jederzeit der Liebe hingeben, während die Tiere nur einen bestimmten Zeitraum haben. Wenn du diesen Vorrang bedenkst, wirst du mit dem Grafen von Rochester sagen: »Die Liebe brächte noch ein Land von Atheisten dahin, das Göttliche anzubeten.«*

      Weil die Menschen die Gabe erhalten haben, alles, was die Natur ihnen gewährt hat, zu vervollkommnen, haben sie auch die Liebe vervollkommnet. Die Sauberkeit, die Körperpflege, die die Haut zarter machen, erhöhen die Lust am Berühren, und die Sorge um unsere Gesundheit macht die Organe der Lust empfindsamer.

      Alle anderen Empfindungen münden schließlich in die der Liebe, so wie Metalle, die sich mit Gold verbinden: die der Freundschaft, der Achtung kommen verstärkend hinzu; die Gaben des Körpers und des Geistes sind zusätzliche Bande.

       Nam facit ipsa suis interdum faemina factis,

       Morigerisque modis, et mundo corpore cultu,

       Ut facile insuescat secum vir degere vitam. *

      LUKREZ

      Vor allem die Eigenliebe lässt all diese Bande immer fester werden. Man beglückwünscht sich selbst zu seiner Wahl, und die Illusionen schmücken zuhauf dieses Werk aus, dessen Grundlagen die Natur geschaffen hat.

      Das also ist es, was du den Tieren voraus hast, doch wenn du so viele Freuden genießt, die sie nicht kennen, so auch viele Leiden, von denen sich die Tiere überhaupt keine Vorstellung machen! Das Schreckliche

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