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und eilen kopfwackelnd den Gang entlang. Ich glaube, sie werden den kleinen Vorfall ebenso wenig vergessen wie ich. Das Taj, so viel steht fest, sieht mich in diesem Leben nicht wieder. Mit hochrotem Plutzer stürze ich ins Freie und widme die kleine Szene – wem schon, meinem Freund Petters, der in so manchem Feydeau-Schwank, zum Gaudium des Publikums, mit schöner Regelmäßigkeit die Hosen verlor …

      Im Taxi geht es danach quer durch die Stadt zum Chhatrapati Shivaji International. Die Straßen sind unpassierbar, die Stadtautobahnen ebenso, von den zahlreichen Fly-overs ganz zu schweigen. Der Moloch atmet. Wir passieren Dharavi, einen der größten Slums des Landes. Zahlreiche Filme wurden hier gedreht, Slumdog Millionär zum Beispiel. Eine Million Menschen leben hier in Löchern, die einem Tier nicht zuzumuten wären. Für die gleiche Fahrt, die mich vor Tagen in entgegengesetzter Richtung 1800 Rupien gekostet hat, zahle ich heute einen Bruchteil davon, immer noch eine Summe, von der eine vielköpfige Familie in Dharavi zumindest einen Monat überleben könnte.

      Eine knappe Flugstunde später setze ich im Land der Könige auf. Wie immer habe ich im Backstagebereich des Vogels gebucht. Nach dem Abschnallen der übliche Stau im Mittelgang. Ein Steward verneigt sich vor mir – ich möchte doch den hinteren Ausgang benutzen. Eine Gangway dockt an, ich schwebe wie die leibhaftige Nummer siebenundsiebzig der Singh-Dynastie von Udaipur jener Stadt entgegen, die heute noch von Nachkommen des Mewar-Geschlechts regiert wird, genau genommen vom gegenwärtig sechsundsiebzigsten Nachfolger des Maharana Udai Singh aus dem altehrwürdigen Geschlecht der Rajputen. Während sich das Fußvolk durch das schmale Arrival-Gate quält, werde ich direkt in den VIP-Bereich komplimentiert. Weshalb mir diese Ehre zuteil wird? Keine Ahnung. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Verwechslung. Vielleicht liegt es auch an meinen perfekt gezippten Beinkleidern. Im Hauptgebäude passiere ich die salutierende Security-Garde, nehme die Parade der Gepäcksbänder ab, nicke nach links und nach rechts und bewege mich in Richtung Ausgang, wo mich bereits ein freundlicher Abgesandter meiner Unterkunft erwartet.

      Bei der Ankunft ist Schluss mit lustig. »Over there!«, bellt mich der Taxifahrer an. Dieselwolke. Kein Hotel weit und breit. Aus der Dunkelheit schält sich ein Mann, spuckt vor mir aus und verschwindet. Ein Mopedfahrer schießt mich beinahe ab. »Gajkaran Haveli? Over there!« Er deutet ins Dunkel zu einer der Hausruinen. Aus einer Stalltüre glotzt mich das nationale Heiligtum einer Kuh an. Die Rezeption ist über einen Hühnersteig zu erreichen. Eine Viertelstunde später erscheint der Besitzer des Etablissements, weist mir unter vielen Verbeugungen ein Verlies von einem Zimmer zu, bittet mich auf die Dachterrasse, von wo aus man eine prächtige Aussicht über den See hat, und stellt mir ein tadelloses Abendessen hin. Ich habe einen Bärenhunger. Das Curry ist scharf wie die Hölle, ich bin in Rajasthan gelandet. Ich erhebe ein pitschkaltes Glas Bier auf meinen Freund Heinz Petters und – auf ein Paar frisch renovierter Hosenbeine der Marke Just in Case

       Glück

      Udaipur, 21. Februar

      Die Trommeln lassen mich Raum und Zeit vergessen. Dumpf hören sie sich an, unheimlich, später fordernder, schneller, immer schneller, als möchten sie explodieren: die Trommeln von Udaipur. Die dicht an dicht stehenden weißen Häuser schaffen einen Klangkörper, der alles in Schwingung versetzt. Ich liege auf dem Dach des Lake View Restaurants am Gangaur Ghat und genieße die Aussicht über den Pichola-See, den zauberhaftesten der zahlreichen Seen, die das Stadtgebiet mit dem Umland bis hin zu den Ausläufern des nahen Aravalli-Gebirges verbinden. Im 16. Jahrhundert war hier noch Sumpfland. Heute ist Udaipur eine der malerischsten und romantischsten Städte Rajasthans. Dicht bewaldete Hügelketten bilden einen natürlichen Schutzwall. Ich blicke über die Dächer der Altstadt. Streifenhörnchen huschen wie kleine, drollige Gespenster an mir vorbei, halten an, rümpfen ihre Nasen, putzen sie und setzen ihre purzelnde Verfolgungsjagd zwischen Dachvorsprüngen und Mauernischen fort. Die Trommeln jenseits des Sees, die eine bevorstehende Hochzeit ankündigen, verstummen. Von unten ist jetzt nur mehr das aufgeregte Hupen der Tuk-Tuk-Fahrer zu hören, die sich ihren Weg durch die Gassen bahnen.

      Für den morgigen Tag habe ich hier im Restaurant einen Kochkurs gebucht, also nehme ich die Gastfreundschaft des Wirtes gerne in Anspruch. »Go upstairs, you will see the most beautiful roof terrace you’ve ever seen!« Er hat nicht übertrieben. Bunt bemalte Tische stehen da und, in Kombination mit dem Haus, wie ein verkehrtes Ausrufezeichen ein Himmelbett, das seinem Namen alle Ehre macht. Auf Pölstern und Tüchern mache ich es mir bequem, die zur Seite gerafften Vorhänge geben die Aussicht über Dächer und See frei.

      Drüben, zwischen den schmalen Häusern, setzt sich der Zug der bunt gekleideten Trommler erneut in Bewegung. Stampfende Rhythmen, drängend, dann zart, beinahe liebevoll – die Hochzeitsgesellschaft bekommt das volle Programm. Ich warte auf den Sonnenuntergang. Unter mir, im Hof des Bagore-ki-Haveli, eines der Paläste der Stadt, beginnt gerade eine Tanzvorführung. Heute Vormittag habe ich ihn besichtigt, er beherbergt ein sehenswertes Museum, das die märchenhafte Phantasie indischer Architekten, Bildhauer, Holzschnitzer und Freskenmaler widerspiegelt. Einen ganzen Saal voll mit lebensgroßen Puppen gibt es da: Man fühlt sich zu Gast bei einer Audienz eines Rajputen-Fürsten längst vergangener Tage. Das Herrenhaus stammt aus dem Jahre 1751, es besitzt hundertachtunddreißig Zimmer. Drüben überquert der Musikzug die Brücke, die den See an seiner schmalsten Seite mit der Stadt verbindet, und marschiert zum Haus der Braut. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Sogar die Streifenhörnchen werden nervös. Sie retten sich in meine Nähe und blicken mich aus angstvollen, kugelrunden Augen an. Die buschigen Schwänze zittern – sie sind eng an die kleinen Körper geschmiegt.

      Udaipur hat viel zu bieten. Auch der Stadtpalast des Sisodia-Geschlechts ist von bemerkenswerter Schönheit. Ein riesiges Geflecht aus mehreren eigenständigen Palästen, die die Maharanas, die Fürsten, über die Jahre verbinden ließen. Er ist der größte hoheitliche Baukomplex Rajasthans. Verwinkelte Gänge mit zum Teil niedrigen Decken verbinden Räume und Höfe. Die Beschwernis, von einem Komplex zum anderen zu gelangen, machte Sinn: Es verunmöglichte das Eindringen bewaffneter Feinde.

      Blecherne Musik tönt aus einem der Innenhöfe des Palastes, in dem die Tanzvorführung in vollem Gange ist. Ich verabschiede mich von meinem Hochsitz und den Backenhörnchen, die längst über alle Simse sind. Mein Ziel ist das andere Ufer. Dort, in einem kleinen Restaurant, will ich zu Abend essen. Noch bin ich der einzige Gast, es ist kurz nach Sonnenuntergang. Ich nehme Platz. Der Ausblick trifft mich unvorbereitet. Das prächtigste Panorama, das sich denken lässt, liegt vor mir: Paläste, Brücken, Ghats. Alles spiegelt sich im Wasser des Sees, alles ist festlich beleuchtet. Man ist versucht zu sagen kitschig, nein, es ist einfach nur schön, schöner, als das Wort »schön« es zu beschreiben vermag. Ich bestelle Tandoori Masala Chicken Curry, reichlich scharf, wenn man bitten darf. Auf dem Dach nebenan wird ebenfalls eine Hochzeit vorbereitet.

      Weit draußen im See liegt eine kleine Insel, in deren Mittelpunkt der Tempel Jag Mandir steht. Glühlampen beleuchten Mauern, Erker und Balkone. Das Gebäude erstrahlt in Weiß und Rosarot. Devendar, mein Tandoori-Beauftragter, folgt meinem Blick: »Very expensive!« Zur Bekräftigung wackelt er mit dem Kopf (das indische Pendant zu unserem Nicken). Vom anderen Stadtufer ertönt fröhliches Geschrei. Auf den Inseln trommeln sie ihre Antwort an die Kollegen vom Festland. Von der Zeremonie nebenan weht der Wind zärtliche Melodien herüber.

      An dieser Stelle sei eine Anmerkung zum Begriff »Glück« gestattet. Das, was ich soeben erlebe, ist überwältigend. Es berührt mich zutiefst. Glück hat nichts mit Zufall zu tun, noch weniger ist es unverdient oder ein Geschenk, und schon gar nicht bedeutet es Überfluss. Lässt es sich nicht auch als Erkennen des Augenblicks beschreiben, als Vollkommenheit bewussten Erlebens? Ich empfand es, als ich zum ersten Mal in die Augen der Frau blickte, die ich liebe. Und ich empfinde es jetzt, hier und in diesem Augenblick, in dem ich die makellose Schönheit dieser Nacht erfahre: die Harmonie des goldenen architektonischen Schnittes jahrhundertealter Baukunst, das Zusammenspiel von Farbe und Licht, die Fröhlichkeit und Lebenslust der Menschen, das unbeschreiblich göttliche Tandoori-Hendl mit Biryani und Minzsauce, g’schamster Diener. All dies darf ich genießen. Hier und jetzt. Und das Entscheidende: Ich erlebe es bewusst, in eben diesem Augenblick. Auf euer Wohl, ihr Götter und Schamanen, ihr überirdisch Klugen und ihr unterirdisch Dummen.

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