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keine Hochzeitsreise gemacht.“

      Als ihre Mutter von ihrem zweiten Ehemann sprach, wirkte sie um Jahre jünger, obwohl sie schon immer jünger ausgesehen hatte als andere Frauen in ihrem Alter. Wenn sie so lächelte, könnte man sie fast für Mirandas Schwester halten.

      Mutter tätschelte Mirandas Hand. „Ich kann euch allen nicht genug dafür danken, dass ihr uns dieses Jahr von allen Verpflichtungen befreit habt.“

      Griffith erhob sich und küsste seine Mutter auf die Wange. „Das war doch selbstverständlich, Mutter. Seine Kinder sind verheiratet und deine sind auch schon fast alle erwachsen. Es war nur angemessen, dass ihr euch euer eigenes Zuhause einrichten konntet, ohne Rücksicht auf uns zu nehmen.“

      Miranda nickte zustimmend. Aber sie musste zugeben, dass das vergangene Jahr für sie selbst auch befreiend gewesen war. Da sie nicht länger unter ständiger Beobachtung gestanden hatte und von ihrer Mutter nicht unablässig daran erinnert wurde, wie sich eine Dame zu verhalten hatte, hatte sie sich ein wenig entspannen können. Sie hatte ihr Leben genossen und sogar ein paar neue Freundinnen gefunden. Dass ihre Mutter seit einer Woche wieder hier war, stellte eine große Herausforderung für Mirandas Selbstbeherrschung dar.

      Mutter warf einen besorgten Blick zur Tür. „Aber bin ich Georgina gegenüber zu egoistisch? Es war für sie nicht leicht, dass ich ausgezogen bin. Vielleicht sollte ich hierbleiben. Oder sie mit nach Blackstone nehmen.“

      Miranda hatte noch nie erlebt, dass ihre Mutter etwas infrage gestellt hätte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie diese Frau immer nur selbstsicher, selbstbewusst und unerschütterlich erlebt. Es schmerzte sie, Zweifel und Schuldgefühle im Blick ihrer Mutter zu sehen. Vor allem, da diese Schuldgefühle daher rührten, dass sie endlich einmal an sich selbst gedacht hatte, und das war etwas, wozu alle ihre Kinder sie überredet hatten.

      Griffith legte seiner Mutter eine Hand auf die Schulter. „Und jetzt, da es darauf ankommt, bist du für sie da. Du unterstützt Georgina bei ihrem Debüt, auch wenn dies nur bei einer kleinen Gesellschaft auf dem Land stattfindet.“

      „Miranda hat es damals gutgetan, klein anzufangen. Ich wollte, dass es Georgina ebenso ergeht.“

      Ihre älteste Tochter räusperte sich und richtete ihren Blick auf eine rot-grüne Vase auf der anderen Seite des Zimmers. Dieser sogenannte „Vorteil“ hatte Miranda wenig geholfen. Schließlich war sie immer noch unverheiratet und fürchtete, dass sich an diesem Zustand in absehbarer Zukunft auch nichts ändern würde.

      In diesem Augenblick rauschte eine groß gewachsene Achtzehnjährige in einem blendend weißen Kleid ins Zimmer. Es war einfach nicht fair, dass Georgina Weiß tragen konnte und darin wie ein Engel aussah, obwohl sie und Miranda eine ähnliche Hautfarbe hatten. Sie strahlte einen besonderen Glanz aus, der sie ein wenig unnahbar und übernatürlich wirken ließ.

      Miranda erinnerte sich noch gut an das energiegeladene Mädchen mit den wilden blonden Locken von früher. Sie hatte sich gemausert. „Du siehst heute sehr schön aus, Georgina.“

      „Danke, liebe Schwester. Du siehst heute Abend auch gut aus. Dieses Blau passt deutlich besser zu deinem Teint als Weiß. Es freut mich, dass du in diesem Jahr mehr Farbe in deine Garderobe bringen konntest.“

      Ihre kleine Schwester war ein bisschen verwöhnt. Hatte Georgina gerade versucht, ihr ein Kompliment zu machen, oder wollte sie ihre Schwester daran erinnern, dass sie nicht länger zu der Gruppe ganz junger Frauen gehörte, die versuchten, den besten Ehemann zu ergattern?

      Wie dem auch sei, ein Kompliment aus Georginas Mund war etwas Seltenes und Wunderbares. Sie sollte es einfach annehmen. „Danke. Mir gefällt es auch, eine andere Farbe zu tragen. Vielleicht steche ich aus dem Meer an Weiß später ein wenig heraus.“

      Miranda verzog leicht das Gesicht, als Georgina hämisch grinste und ihre Mutter die Stirn runzelte. Diese letzte vielsagende Bemerkung hatte sie eigentlich für sich behalten wollen. Aber man brauchte nicht viel Fantasie, um auf die Idee zu kommen, dass die Herren sie reizvoller finden könnten, wenn sie nicht mehr so blass und krank aussah.

      Ungebeten tauchte das leichte Lächeln des Kammerdieners vor ihrem inneren Auge auf, begleitet von der Erinnerung an seinen Geruch. Miranda hätte am liebsten das Fenster geöffnet, damit der kühle Abendwind den Geruch dieses Mannes aus ihrer Erinnerung vertrieb. Die Aussicht, das Leben als alte Jungfer zubringen zu müssen, musste sie mehr belasten, als ihr bewusst gewesen war, wenn ihr schon ein Kammerdiener nicht mehr aus dem Sinn ging.

      Wenn es sich dabei auch um einen sehr gut aussehenden Kammerdiener handelte.

      Nachdem sie sich einige Minuten unterhalten hatten, stiegen sie in die bereits wartende Kutsche. Miranda saß mit ihrem Bruder mit dem Rücken in Fahrtrichtung, um ihrer Mutter und ihrer Schwester die Plätze zu überlassen, die einen besseren Ausblick boten. Georgina lehnte sich zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Ihr aufgeregtes Plappern erfüllte während der gesamten Fahrt die Kutsche.

      Eifersucht regte sich in Miranda. Sie war schon lange nicht mehr so aufgeregt gewesen oder hatte einer Abendgesellschaft voller Vorfreude entgegengeblickt. Gesellschaftliche Veranstaltungen waren für sie inzwischen einfach etwas, woran sie teilnahm. Sie waren auf ihre Art immer noch unterhaltsam, aber auch ausgesprochen alltäglich geworden.

      Mutter sprach mit ruhiger Stimme auf Georgina ein, aber Miranda achtete nicht auf das, was sie sagte. Wahrscheinlich erinnerte Mutter sie daran, welches Verhalten von ihr erwartet wurde. Miranda hatte diese Ermahnungen schon so oft gehört, dass sie sie im Schlaf aufsagen konnte.

      Minuten später hielt die Kutsche, und sie stiegen aus, um den kurzen Weg zur Eingangstür zu Fuß zurückzulegen. Mutter drückte Georginas Arm und beugte sich vor, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Georginas Lächeln wurde noch breiter – wie war das überhaupt möglich? –, und sie nickte, bevor sie Mutters Wange küsste.

      Miranda blickte sich um und betrachtete die anderen Gäste, die zur Eingangstür strömten. Sie kannte sie alle. Die gleichen Gesichter wie in den vergangenen drei Jahren.

      Die vier gingen zwischen den kunstvoll geschnitzten Laternenpfosten hindurch zum Eingang. Es kam ihr vor, als sei eine Ewigkeit vergangen, seit sie selbst zum ersten Mal diesen jetzt so vertrauten gepflasterten Weg zurückgelegt hatte. Das laute Klappern der Wagenräder und der Pferdehufe hatte damals wie Musik in ihren Ohren geklungen. Jetzt empfand sie es einfach nur als laut.

      Miranda bewegte sich langsam und war fest entschlossen, all das wahrzunehmen, was ihr in den vergangenen Saisons vielleicht entgangen war, weil es noch so neu und aufregend gewesen war.

      Als sie den Ballsaal betrat, hatte sich bereits ein Kreis von Bewunderern um Georgina geschart. An die Stelle der unschuldigen Aufregung während der Kutschfahrt waren eine gut eingeübte Anmut und ein leichter Hauch von Koketterie getreten. Sie schwebte in ihrem strahlend weißen Kleid bereits über die Tanzfläche, und die Schar der jungen Männer, die ihre Bewegungen verfolgten, kündigte an, dass sie den Rest des Abends sehr begehrt sein würde.

      Miranda drängte die Eifersucht zurück. Sie nahm ein Glas Limonade und schlenderte auf die andere Seite des Saals, um sich mit einigen verheirateten Freundinnen und einer Gruppe Mütter zu unterhalten, die ihre Töchter vom Rand der Tanzfläche aus beobachteten.

      

      Er hatte in den vergangenen neun Monaten mindestens zwanzig Namen benutzt, aber keiner hatte ihm so große Schwierigkeiten bereitet wie dieser. Nicht zu vergessen, dass er Marlow, der Kammerdiener eines der angesehensten und mächtigsten Männer des Landes, war, was ihn große Anstrengung kostete.

      Jetzt musste er denken, handeln und sogar atmen wie Marlow, der Kammerdiener des Herzogs von Riverton. Über den Schreibtisch dieses Mannes gingen jeden Tag unzählige wertvolle Informationen. Welche dieser Informationen für Napoleon von Bedeutung waren, wusste er nicht.

      Der kleinste Fehler konnte das Ende der gesamten Mission bedeuten. Seiner letzten Mission.

      Er drängte diesen Gedanken zurück, da er nicht daran erinnert werden wollte, wie viele Männer bei ihrem letzten Auftrag verletzt, gefangen genommen oder getötet worden

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