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der Karibik. Drückt uns die Daumen, dass wir nicht zu oft vom Surfbrett fallen. Bis nächstes Jahr, ihr Lieben! Und hey, Leute, nicht versuchen, bei mir zu Hause einzubrechen, während ich weg bin. Ich habe da nämlich zwei Männer einquartiert. Dobermänner, ha, ha.«

      Genau Nicks billiger Humor, dachte Jennifer und knallte den Hörer auf die Gabel. Hoffentlich pellt sich die sonnenverbrannte Haut von seinem fitnessgestählten Körper und er fällt alle paar Sekunden vom Surfbrett.

      »I wish you a merry Christmas!«, intonierte eine dunkle Stimme neben ihr, und Jennifer wandte den Kopf zum Urheber der Gesangseinlage. Ihr Chef war an ihren Schreibtisch getreten. Eine rote Zipfelmütze saß keck auf seinem modisch kahl rasierten Schädel und wollte nicht so recht zu seinem dunkelblauen Businessanzug passen. Auch sein Dreitagebart wirkte für einen Weihnachtsmann irgendwie kläglich.

      »Sie kommen doch ins Foyer zur Weihnachtsfeier? Oder wollen Sie die Lobeshymne verpassen, die ich eigens für Sie geschrieben habe?«

      »Lobeshymne?«

      »Sie führen dieses Jahr die Liste an, Frau Meyer. Sie haben die meisten Kredite eingefädelt und dazu die beste Bewertung von unseren Kunden eingeheimst. Das werde ich in meiner diesjährigen Weihnachtsansprache natürlich erwähnen.«

      »Ach so. Ja, danke.« Jennifer spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Öffentliches Lob war nicht so ihr Ding.

      »Dass Sie mir bloß nicht kneifen! Ich rechne mit Ihnen.« Ihr Chef drohte ihr spielerisch mit dem Finger und lief zur Tür. »Bis gleich im Foyer!«

      Jennifer wollte sich ihm eben anschließen, als ihr Telefon klingelte. Nick, dachte sie. Nick ruft zurück. Sie grapschte nach dem Hörer.

      »Nick, du –«

      »Ähm. Hier ist Tom.«

      »Oh, hallo, Tom.« Mit einem kleinen Lachen kaschierte sie ihre Enttäuschung darüber, dass anstelle von Nick ihr bester Kumpel seit Kindertagen anrief.

      »Ich wollte mich bloß noch mal für den Kredit bedanken, den du mir für mein Landhaus verschafft hast.«

      »Unsinn«, wehrte Jennifer ab. »Das Geld kam von der Bank, und mein Chef hat den Deal abgesegnet. Ich hab nur den Papierkram erledigt.«

      »Was heißt hier: nur? Ohne dich wäre ich nie auf die Idee gekommen, und eure Konditionen sind einfach klasse.« Seine Stimme klang warm. Wie sie ihn kannte, fuhr er sich gerade mit der Hand über das raspelkurze rotblonde Haar.

      »Wie geht es dir denn so hinter den sieben Bergen?«, wechselte sie das Thema.

      »Bei den sieben Zwergen, meinst du?« Er legte eine kleine dramaturgische Pause ein. »So richtig eingewöhnt habe ich mich bisher nicht. Im Haus herrscht noch gähnende Leere, und bevor ich Möbel reinstellen kann, muss einiges renoviert werden. Es ist noch furchtbar viel zu tun. Zwischen den Jahren will ich ein paar Zimmer streichen, sofern nicht zu viele Notfälle reinkommen. Meine Praxis ist nämlich mit Bereitschaftsdienst dran.«

      »Heißt das, du besuchst deine Familie nicht an Weihnachten?« Jennifer klang entsetzter, als sie wollte. Dabei war sie eigentlich nur neugierig.

      »Diesmal nicht. Ich werde ganz in der Rolle des Landarztes aufgehen und den Arztkittel ab und an gegen einen Blaumann tauschen.«

      »Ambitioniert, der Herr Doktor.«

      »Danke. Und du, Jenny?«

      »Ja, ich …« Sie dachte an die hellen Flecken auf ihren Wänden, an den Schmutzrand, der an Nicks nicht mehr vorhandenes Sofa erinnerte. »Ich werde wohl ziemlich spartanische Feiertage haben. Meine Eltern sind auf Mallorca, und Nick hat seine Möbel geholt.«

      Schweigen.

      Tom hatte die hässliche Trennung von Nick mitbekommen, mehrmals hatte er sie in den Monaten danach getröstet.

      »Bei mir könntest du Möbel einräumen.« Er schaffte es, den Satz in seiner Beiläufigkeit irgendwo zwischen einem Scherz und einer Einladung anzusiedeln.

      »Als Möbelpackerin bin ich eine Katastrophe«, hörte Jennifer sich sagen. »Ich kann aber gern vorbeikommen und dir ein bisschen bei der Deko helfen.«

      »Oder du kommst einfach so. Hier kann man wunderbar spazieren gehen«, legte Tom nach. »Gesunde Luft, so viel die Lunge fassen kann, gelegentlich gewürzt mit dem Duft eines Kuhfladens. Ich könnte dich als meine Untermieterin aufnehmen, du bekommst das Zimmer mit Bad im Parterre und kannst hier tun und lassen, was du willst.«

      »Hm. Und wie stellst du dir die Feiertage vor?«

      »Bis auf ein paar Noteinsätze völlig entspannt.«

      »Also ganz ohne Gans, Baum und Gedöns?«

      »Genau. Wir köpfen eine Flasche Champagner und schauen uns ein paar Weihnachtsfilme an. ›Kevin allein zu Haus‹ und ›Stirb langsam‹. Oder lieber ›Tödliche Weihnachten‹?«

      Jennifer spürte, wie ein Adrenalinstoß durch ihre Adern rauschte. Von wegen nackte Wände anstarren! Das schrägste aller Weihnachten fiel soeben für sie vom Himmel. »Tom, wenn das passt, komme ich gern zu dir.«

      »Mach das, ich freue mich auf dich. Wann genau wirst du hier sein?«

      »Mal sehen, ich muss jetzt zur Weihnachtsfeier und rufe später noch mal an. Tödliche Weihnachten!« Sie hörte ihn lachen und den Gruß erwidern, dann legte sie auf.

      Ein letztes Schütteln der Schneekugel, und das weiße Zeug darin schwebte wieder um den mickrigen Plastikbaum herum. Leckte das Teil etwa, oder wieso waren ihre Finger nass und klebrig? Ihr blieb keine Zeit, die Hände zu waschen. Wenn sie die Lobrede ihres Chefs noch hören wollte, musste sie sich beeilen. Hastig schob sie ihren Schreibtischstuhl zurück und zog im Aufstehen den Saum ihres dunkelgrauen Kostüms in Richtung der Knie.

      Nicks Schneekugel segelte in den Papierkorb.

      Kapitel 2

      »Nach dreißig Metern rechts abbiegen.« Die Frauenstimme aus dem Navi klang so bestimmt wie immer, doch Jennifer blickte besorgt durch die Windschutzscheibe ihres roten Mini Coopers. Vor ihr lag ein Fluss, über den nur eine schmale Brücke führte, und die sah nicht besonders vertrauenerweckend aus. Vor allem hatte sie nicht mehr viel Abstand zum Flusswasser, so hoch, wie die Fluten angestiegen waren.

      Jennifer mochte kein Wasser.

      Mit Nick war sie einmal beinah ertrunken. An Silvester war er in den Pool ihrer Eltern gefallen, und sie hatte ihn retten wollen. Alkoholisiert, wie er war, hatte er sich so fest an sie geklammert, dass sie beide untergegangen waren. Sie hatte sich nur von ihm befreien können, indem sie ihn in den Magen trat, dann war sie an den Beckenrand gekrault und hatte von da aus helfend die Hand ausgestreckt. Sie wusste nicht, um wen sie mehr Angst gehabt hatte, um Nick oder um sich selbst.

      »Nach dreißig Metern rechts abbiegen«, wiederholte die Stimme aus dem Navi.

      Es half nichts, sie musste über die Brücke. Am liebsten hätte sie die Augen dabei geschlossen.

      Wie gut war überhaupt die Idee, bei Tom über Weihnachten Ferien zu machen?

      Sie waren im selben Stadtteil aufgewachsen, zusammen zur Schule gegangen, und Tom war stets in ihrer Nähe gewesen. Aber gefunkt hatte es zwischen ihnen nie. Tom war ein Freund. Dass er sie im vierten Schuljahr hatte heiraten wollen, änderte daran genau so wenig wie sein romantischer Auftritt, als er ihr einige Jahre darauf den Abendstern gezeigt hatte.

      »Jenny, wenn der aufgeht, denke ich an dich.«

      »Wie lieb von dir.«

      »Jeden Abend.«

      »Wirklich?«, hatte sie erstaunt gefragt.

      »Willst du dann auch an mich denken?«

      Der Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, musste ihre widerstreitenden Gefühle offenbart haben. Ihre Worte taten ein Übriges. »Was für eine schöne Idee. Aber jeden Abend? Würde einmal im Monat nicht reichen?«

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