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wissen will, was die Wahrung des familiären Intimraums in einem Fremdenverkehrsland für Kinder bedeutet, dem wären als Lektüre die Briefe jener Südtiroler Kinder zu empfehlen, die in unbeholfener, aber erschütternder Weise den Verlust jenes Reduits beklagen, das sie zu Gunsten eines alles durchdringenden Tourismus im Hause verloren haben.

      Hinter dem Bild der Gardinen, die unser Land an den Fenstern seiner Wohnungen braucht, steht also viel. Alle rücksichtslos enthemmenden, exhibitionistischen Tendenzen unserer Zeit sind Abbau des Humanum. Welcher Besitzer von Kostbarkeiten wirft schon die Etuis in den Abfalleimer? Das Eintreten für die Gardine hat mit falscher Prüderie oder einem Plädoyer für Schein und Fassade natürlich nichts zu tun. Wohl aber mit einer Kultur des Gefühls. Und darum wünsche ich mir für die Fenster Tirols auch die passenden Gardinen.

       Lärmschutzfenster

      Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als sie eines Tages bei mir einbauen zu lassen. Ich teile nämlich als Anrainer einer Tag und Nacht befahrenen städtischen Hauptverkehrsstraße das zweifelhafte Glück mancher meiner Landsleute, einen ständigen Kampf gegen Abgas und Lärm führen zu müssen. Früher hat es genügt, bei herannahenden Hochwettern die Läden zu schließen. Aber gegen die Tornados des heutigen Verkehrs helfen die nichts. Das Fenster, das an sich der Lüftung und der Öffnung nach außen dient, erhält also im Zuge unserer zivilisatorischen Entwicklung eine weitere Dimension, die von einer bedrückenden Symbolik ist: Man muss es schließen und schalldicht machen können.

      Tirol braucht Lärmschutzfenster.

      Nicht nur da und dort an einem Haus oder einem Schlafzimmerfenster – es braucht die entsprechenden Einbauten auch an den großen Grenzfenstern des Landes, an denen in kriegerischen Zeiten raumsperrende Festungen erbaut wurden. In einem Europa, in dem man nach wie vor mehr an den Gashebeln des Ökonomischen interessiert ist als an den Filtern des Ökologischen, ist das einfach notwendig. Es müssten ja keine dräuenden Festungen an den Einfallstoren des Landes sein, es würden wahrscheinlich marktwirtschaftliche Regelungen genügen, nach denen man das bezahlen muss, was man an Schaden anrichtet. Und wenn dann der Transport von Alteisen, das möglichst frisch von Deutschland nach Italien kommen muss, so teuer wird wie ein Goldtransport, dann wird man sich in einer beweglichen Wirtschaft sicher etwas einfallen lassen. Und dann kommt vielleicht wieder eine Zeit, in der man in Tirol einige Lärmschutzfenster abbauen kann. Aber vorläufig brauchen wir sie.

      Auch das Lärmschutzfenster könnte als Symbol für unsere Zeit gelten und regt zum Nachdenken an. Die Notwendigkeit solcher Fenster und ähnlicher Einrichtungen ist doch so etwas wie ein Menetekel, das darauf hinweist, wie sehr unsere Welt in Unordnung geraten ist …

       Blauer Himmel hinter Gittern

      Nicht alle Fensterformen, die es in unserem Land gibt, kann man ästhetisch-gefällig symbolisieren. Ich weiß um eine Fensterform, durch die ich monatelang geschaut habe, und die mir unvergesslicher geblieben ist als so manches prächtige Panoramafenster in einem Gipfelrestaurant: das kleine vergitterte Fenster einer Gefängniszelle. Aber ich möchte nicht so sehr bei seiner beklemmenden Kleinheit und dem abweisenden Gitter und der Unerreichbarkeit hoch über der Pritsche stehenbleiben, sondern bei dem blauen Stück Himmel hinter dem schwarzen Schmiedeeisen, an dem hie und da eine verlorene Wolke vorbeigezogen ist.

      Für viele Menschen in unserem Land gibt es die seelische Situation der Gefängniszelle, der Isolation, des Sich-eingesperrt-Fühlens, der schmerzlichen Begrenztheit, des Nichtausbrechen-Könnens. Psychotherapeuten, Ärzte, Sozialhelfer, Seelsorger und Eheberater wissen davon ein Lied zu singen. Die Epoche der größten äußeren Freiheit in unserer Gesellschaft hat keineswegs die höchste innere Freiheit mitgebracht. Viele leben hinter den Gitterfenstern ihrer Belastungen, die nicht so einfach zu erreichen und zu durchsägen sind. Und das Gefühl, beengt, behindert, vereinsamt und bedrückt zu sein, geistert durch viele Seelen. Und gerade in diesen Bereichen ist das Helfenkönnen nicht so perfektioniert wie etwa in jenen Leiden, die unsere hochentwickelte Chirurgie lindern und beseitigen kann. Die Operation an den Gitterstäben der Seele erweist sich oft als noch schwieriger als an Hüftgelenken und Karzinomen.

      Sie sind also da, die Gitterfenster.

      Ich will nicht sagen, dass wir sie unbedingt brauchen. Zumindest haben wir nicht diesen Eindruck. (Vielleicht brauchen wir sie manchmal als heilsame Erfahrung aller Grenzen des Machbaren.)

      Aber was wir brauchen, das ist das kleine, blaue Stück Himmel hinter den dunklen Gittern der „conditio humana“, der Situation der Armseligkeit, diesen kleinen blauen Fleck, zu dem ich wie viele andere Einzelhäftlinge wochenlang hinaufgestarrt habe. Und hie und da die weiße Wolke, die vorüberzieht, das uralte Sinnbild göttlicher Gegenwart. Sie macht das Gitterfenster zur Luke der Hoffnung, so wie jene Luke, durch die Noah in der Arche die Taube fliegen ließ.

      Das möchte ich all denen wünschen, die hinter den kleineren oder größeren Gittern der Freudlosigkeit sitzen: dass für jeden ein Stück heiteres Blau sichtbar wird, zu dem das Herz durch die Gitter hindurch ins Grenzenlos-Tröstliche fliegen kann – und die weiße Wolke, die eine Freiheit verheißt, jenseits aller Kerkergitter dieser Welt.

       Das Bogenfenster

      Unter den Burgruinen Südtirols, die in ihrer ursprünglichen Bausubstanz erhalten geblieben sind, zeigt die von Boymont, hoch über St. Pauls, eine Besonderheit. Das oberste Stockwerk des Bergfrieds zeigt ein großes, die ganze Breite des Turms überspannendes Bogenfenster. Schon der Burgenkenner Propst Weingartner hat darauf hingewiesen, dass dies bei einer Burg des 13. Jahrhunderts eine Seltenheit sei und andere Sehnsüchte verrate als nur das Bedürfnis nach Sicherheit und Repräsentanz. Vom Bogenfenster von Boymont geht der Blick weit übers Land, über die Weinberge bis zum Latemar, den Rosengarten und die blauen Fassanerberge.

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       Abend im Etschtal – Wehrburg bei Prissian

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