Скачать книгу

      Georg Sporschill hat mit seinen Sozialprojekten viel in Bewegung gebracht. Nach dem Fall des Kommunismus baute er Hilfswerke für Straßenkinder in Rumänien, Moldawien und Bulgarien auf. Jetzt arbeitet er in Siebenbürgen mit Roma-Familien. Was gibt ihm Kraft? Was inspiriert ihn? »Alles, was ich kann, habe ich aus der Bibel gelernt. Sie ist mein Lebensbuch. In ihr geht es um Zorn und Versöhnung, um Leben und Tod. Jesus war ein genialer Sozialarbeiter«, sagt er. Im vorliegenden Buch geht es deshalb vor allem darum, was Georg Sporschill wirklich wichtig ist, was sein Leben innerlich geprägt hat: die Begeisterung für das geheimnisvolle Buch der Bücher, die man dem »Sandlerkönig« des Wien der 1980er-Jahre, dem heutigen Opa ehemaliger Straßenkinder und Spezi der schillerndsten Figuren der österreichischen Society, vielleicht nicht auf den ersten Blick ansieht.

      Georg Sporschill liest und versteht die Bibel von ungewöhnlichen Blickwinkeln her. Er geht immer von der Erfahrung aus und lernt aus der Bibel für das Leben. Hier steigen wir am besten aus der Vogelperspektive ein, indem wir uns den Raben anschließen, deren sozialer Scharfsinn im oberösterreichischen Almtal erforscht wird; die Raben werden uns zu einem außergewöhnlichen Menschen führen, zum Propheten Elijah. Mit den Raben fliegen wir schließlich nach Ephesus, wo wir Jesus im Johannesevangelium treffen werden, und mit ihm auch Georg Sporschill und seine Freunde.

      Raben: vom Nutzen sozialer Intelligenz

      Das herbstliche Laub leuchtet rotbraun und golden im oberrösterreichischen Almtal, als wir uns zum »Biologicum« versammeln. Hier, wo Konrad Lorenz seine Graugänse beobachtet hat, ziehen nun auch die Raben besonderes Interesse auf sich. Während wir im Wildpark an Elchen und Wildschweinen vorbeispazieren, erzählt der Biologe Thomas Bugnyar von den Rabenvögeln, die uns Menschen immer wieder mit ihrer Intelligenz überraschen. Die schwarzen Zeitgenossen, wiewohl für ihre krächzende Stimme bekannt, gehören zu den Singvögeln und können verschiedenste, komplexe Rufe von sich geben. Wir sind zwar erst dabei, ihre Sprache zu erlernen, doch können wir schon etwa zehn typische Schreie mit ihren unterschiedlichen Botschaften verstehen. Beim Fischweiher fliegt gerade ein Schwarm von Junggesellen ein, die hier ihr Revier haben. Sie haben offenbar schmackhafte Beute gefunden, und so wird mit einigem Lärm angeflogen und abtransportiert. Man frisst nicht gleich, sondern versteckt die ergatterten Fleischbrocken – möglichst unbeobachtet von hungrigen Rabenkollegen. Wie konnten die Raben trotz ihres kleinen Gehirns ihre Intelligenz entwickeln?

      Die erstaunliche Erkenntnis der Verhaltensforscher ist, dass die Entwicklung von Intelligenz mit sozialen Beziehungen zu tun hat. Raben sind zwar Allesfresser, mögen aber am liebsten Fleisch. Nun können sie selbst keine Beute reißen, sind also von anderen, Beute reißenden Tieren abhängig, die ihnen zu ihrer Leibspeise verhelfen. Beim Aas angekommen, gilt natürlich das Recht des Stärkeren. Zwei sind immer stärker als einer allein, und deshalb kommt es unter Junggesellen sehr auf Freundschaften an. Je mehr Freunde du hast, desto mehr unliebsame Konkurrenten kannst du gemeinsam vertreiben. Hier aber wird die Sache in einer Gruppe von fünfzig Junggesellen kompliziert. Du musst dir deine Freunde merken, sie am Aussehen und an der Stimme erkennen, musst dir merken, wer mit wem gut auskommt und wer mit wem nicht. Und wenn du wirklich zu den Chefs gehören willst, dann solltest du auch dafür sorgen, dass Neuankömmlinge nicht zu viele Freundschaften knüpfen. Denn Freundschaften heißen: Macht in der Gruppe.

      Und so verbringen die Rabenjunggesellen viel Zeit mit Spielen. Freunde gewinnt man, indem man einander immer wieder gegenseitig den Nacken krault, mit zärtlichem Spitzschnabel. Die Chefs in der Gruppe haben ihre Freundschaften etabliert und pflegen sie. Zugleich haben sie ein scharfes Auge auf neue Allianzen – und solche sich anbahnenden Freundschaften werden oft gestört. Ein erboster Alpha-Rabe taucht auf und sorgt mit drohenden Gesten und, wenn nötig, auch mit unzärtlichem Spitzschnabel dafür, dass die unerwünschte Kraulerei ein Ende nimmt.

      Was lernen wir von der Intelligenz der Raben? Zu den wichtigsten Gründen, warum Tiere Intelligenz entwickelt haben, gehören die Herausforderungen durch komplexe soziale Systeme. Und das gilt auch für uns Menschen. Wenn wir uns heute der außergewöhnlichen Intelligenz der Raben bewusst werden – dieser Vögel mit schlechtem Ruf, die in Rumänien als Schimpfwort für »Zigeuner« herhalten müssen –, hat das vielleicht etwas Ironisches. Denn gerade die Roma stellen häufig entwaffnende soziale Intelligenz unter Beweis, wie einige Anekdoten von Ruth Zenkert über ihren alten Freund Moise in diesem Buch zeigen (vgl. Seite 129 Bimail »Starke Worte«).

      Elijah: der Prophet auf dem Feuerwagen

      Unsere Raben müssten aus dem oberösterreichischen Almtal zweieinhalbtausend Kilometer nach Südosten fliegen und zweieinhalbtausend Jahre in die Vergangenheit, um zu entdecken, dass Menschen ihre soziale Intelligenz schon zu biblischen Zeiten gespürt haben. Im biblischen Israel hatte sich der Prophet Elijah bei seinem König Ahab unbeliebt gemacht, weil er eine Dürreperiode angekündigt hatte. Gott befahl dem Propheten, in ein entlegenes Tal im heutigen Jordanien zu fliehen: »Aus dem Bach sollst du trinken, und den Raben habe ich befohlen, dich dort zu ernähren.« (1 Könige 17) Gott selbst spricht mit den Raben, und sie bringen Elijah morgens und abends Brot und Fleisch. Nicht erst beim heiligen Franziskus von Assisi wird deutlich, dass spirituelle Menschen manchmal eine besondere Beziehung zu Tieren haben. Heute wird diese Verbindung von Spiritualität und Natur wichtiger denn je, wie Papst Franziskus mit seiner Enzyklika Laudato si’ unterstrichen hat.

      Ohne die Raben hätte Elijah seine erste Flucht nicht überlebt. Als der Bach austrocknet, schickt Gott Elijah ins Ausland, zu den Sidoniern im heutigen Libanon. Zu einer armen Witwe und ihrem Sohn, die ums Überleben kämpfen. Die Frau möchte mit ihrem letzten bisschen Mehl und Öl ein Brot backen, um es mit ihrem Kind zu essen und dann zu sterben. Der fremde Gast jedoch wird zum Lebensretter. Öl und Mehl gehen nicht aus, solange er im Haus ist. Nicht nur die unliebsamen Raben, auch unerwartete Ausländer, »die uns den letzten Bissen wegessen wollen«, können zu Lebensrettern werden.

      Diese ersten Episoden der Geschichte von Elijah zeigen, was typisch für die biblischen Propheten ist – und auch für Jesus. Sie geraten oft in Konflikt mit politischen Autoritäten, werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt und haben eine besondere Nähe zu Menschen in Lebensgefahr. Diese extremen sozialen Erfahrungen scheinen Elijah, der ohnehin ein kantiger Charakter ist, noch feuriger werden zu lassen. Feuer spielt von nun an eine zentrale Rolle in seinem Leben. Als er sich am Berg Karmel mit den Propheten des Gottes Baal anlegt, kommt göttliches Feuer vom Himmel, um Elijahs Opfer zu verzehren. Nachdem Elijah aber die Baalspropheten mit dem Schwert getötet hat und in die Wüste zum Gottesberg Horeb fliehen muss, befiehlt ihm Gott, sich an den Eingang seiner Höhle zu stellen. Da kommt ein »Sturm, der die Berge zerriss und Felsen zerbrach«, doch Gott ist nicht im Sturm. Da erbebt die Erde, doch Gott ist nicht im Erdbeben. Da kommt Feuer, doch Gott ist nicht im Feuer. Nun erklingt eine »Stimme verschwebenden Schweigens«, wie Martin Buber genial übersetzt hat; in diesem verschwebenden Schweigen ist Gott gegenwärtig (1 Könige 19). Diesmal muss der leidenschaftliche Elijah etwas über Sanftmut lernen.

      Diese Erfahrung verändert ihn jedoch nicht grundlegend. Gegen Ende seines Lebens schickt König Ahasja zweimal Hauptmänner mit je fünfzig Leuten Gefolge zum Propheten, der auf einem Berggipfel sitzt, um ihm zu befehlen, er solle herunterkommen. Doch Elijah lässt jeweils Feuer vom Himmel fallen, das die Leute auffrisst. Feuer erscheint nicht zufällig auch bei Elijahs letztem Weg. Nachdem er mit seinem engsten Schüler Elischa durch den Jordan gezogen ist, erscheint ein Feuerwagen mit Feuerpferden, und »Elijah fuhr im Wirbelsturm zum Himmel empor« (2 Könige 2).

      Elijah ist einer jener brennenden Charaktere, an denen man Feuer fangen, an denen man sich aber auch verbrennen kann. Es ist kein Zufall, dass Georg Sporschill »Elijah im Feuerwagen« als »Programm für die Sozialarbeit« gewählt hat (vgl. Seite 119). Auch Pater Sporschill ist ein vulkanöser Typ. Für ihn müssen Chilis scharf sein und die Aufgabe challenging, von vornherein möglichst unbewältigbar. Wer fängt sonst ein Sozialprojekt mit Roma in Rumänien an? Explosionen sind vorhersehbar. Wer sich auf eine Zusammenarbeit mit einem solchen prophetischen Sozialarbeiter einlässt, muss sich auf heftige Auseinandersetzungen und starke Erfahrungen gefasst machen. Langweilig wird es mit ihm sicher nicht.

      Als

Скачать книгу