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besuchen oder ins Theater gehen sehen. Er ist in meinen Augen ein geistig minderbemitteltes Individuum, ein totaler Banause.«

      Ganz anders sieht das klarerweise Ian Fleming: Zumindest in punkto Hobbys hat der Autor viel zuviel von sich selbst in diesen 007 projiziert, als daß er zu ihm auf Distanz gehen könnte, ohne sich lächerlich zu machen. So wie Bond liebt Fleming blaue Anzüge und haßt Schnürschuhe, schwört auf Golfspiel und Unterwassertauchen (wofür er eigens bei Meister Jacques Cousteau Unterricht genommen hat), macht sich nichts aus Blumen, fährt schnelle Autos, raucht täglich sechzig eigens für ihn gemischte Zigaretten, hat ein Faible für asiatische Frauen, mischt sich seinen Martini nach dem gleichen Rezept, und dafür, daß er am Spieltisch des Kasinos von Estoril (wo er während des Krieges gegen eine Phalanx deutscher Spione antritt) kläglich verliert, rächt er sich, indem er James Bond beim Bakkarat in Royale-les Eaux um so schamloser abkassieren läßt.

      Freilich – ein Banause (Regisseur Terence Youngs Hauptvorwurf gegen 007) ist Ian Fleming nicht: Schöngeist durch und durch, der einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Einkünfte in seine Privatbibliothek steckt, kann er auf Erstausgaben von Einstein, Curie, Röntgen, Kipling, Lilienthal und Marx verweisen, und die vielen Sachfehler, die seinen eigenen Werken angelastet werden, sind nicht etwa Ausfluß mangelnder Bildung, sondern voll beabsichtigt: »Dann schreiben die Leute nämlich wütende Protestbriefe, und mein Verleger sieht, wie wichtig ich bin.«

      Soviel zu Flemings »Eigenanteil« an der Charakterzeichnung seiner Titelfigur. Aber da sind auch noch eine Menge anderer Urbilder im Spiel, und die haben fast durchwegs mit Flemings Vergangenheit als Geheimdienstmann bei der Royal Navy zu tun. Da ist zum Beispiel Captain Dunstan Curtis, der beim Überfall der Deutschen auf Algier die feindlichen Codes knackt; Captain Wilfred Dunderdale, der im Ersten Weltkrieg mit seinem perfekten Russisch die Ost-Agenten austrickst; der jugoslawische Doppelspion Dusko Popov, der den Amerikanern den japanischen Luftangriff auf Pearl Harbor voraussagt; und schließlich der schon zu gemeinsamen Etoner Schülerzeiten mit Fleming befreundete schottische Abenteurer Ivar Bryce, der im Auftrag der Alliierten im Berliner Luxushotel Adlon die Nazi-Größen bespitzelt und in Südamerika ein Informationsnetz aufbaut.

      Auch bei vielen anderen Figuren der James-Bond-Bücher schöpft Ian Fleming aus Selbsterlebtem – greifen wir nur zwei heraus: Hinter Miss Moneypenny, der herbliebenswürdigen Vorzimmerdame jenes Büros, in dem 007 seine Aufträge entgegennimmt, verbirgt sich die 1908 in Bukarest geborene Vera Maria Rosenberg, die während des Zweiten Weltkriegs die Frankreich-Abteilung des Secret Service leitet, und als nach Erscheinen des »Goldfinger«-Romans das Gerücht aufkommt, Fleming habe die Gestalt dieses Jahrhundertverbrechers mit gewissen Zügen des amerikanischen Edelmetallkönigs Charles W. Engelhard ausgestattet, muß der Autor sogar eine Weile davor zittern, wegen Ehrabschneidung vor Gericht zitiert zu werden. Doch Mister Engelhard ist ein Mann von souveränem Humor, läßt über seine Konzernzentrale verlautbaren, er fühle sich im Gegenteil geschmeichelt, in die Literatur eingegangen zu sein, und als er eines schönen Tages für seinen Privat-Jet eine neue Stewardess engagiert, gibt er der jungen Dame spontan den Namen der abtrünnigen Goldfinger-Pilotin Pussy Galore. In der Welt der Krimis ist eben alles, wahrhaftig alles möglich …

      Aus: Sie haben wirklich gelebt, 2001

       Dietmar Grieser auf den Spuren österreichischer Musikgenies

      Die Marseillaise von Ruppersthal

       Ignaz Pleyel

      Wißbegierige Anrainer der Ignaz-Pleyel-Gasse in Inzersdorf bleiben ganz auf sich gestellt: Keine Zusatztafel, die sie – wie in vielen anderen Wiener Straßen Usus – über Identität und Bedeutung des Namensgebers aufklärt.

      Paris ist anders. Der Flaneur, der mit der Rue Pleyel im Arrondissement Reuilly nichts anfangen kann, weiß zumindest, daß die »Salle Pleyel« am Faubourg St. Honoré die berühmteste und mit ihren 3000 Plätzen größte Konzerthalle der Stadt ist; wer an der Station Carrefour-Pleyel in die Métro einsteigt, kann sich unschwer auf die mit Notenbeispielen dekorierten Perrons einen Reim machen, und seitdem das Österreichische Kulturinstitut bei der Verwaltung des Pariser Prominentenfriedhofs Père Lachaise die Anbringung einer Zusatzplakette am Sockel des Pleyel-Grabmals durchgesetzt hat, ist für jedermann sichtbar, daß der 1831 hier Bestattete ein »Autrichien« gewesen ist: »Né à Ruppersthal«.

      Ruppersthal im Weinviertel, Ortsteil von Großweikersdorf, 583 Einwohner, 500 000 Liter Grüner Veltliner pro Jahr. Spätestens seit der Sonderbriefmarke des Jahres 1994, der Aufführung des Festspiels »Pleyel, der vergessene Sohn unserer Heimat«, dem auf einer ORF-CD festgehaltenen Millenniumskonzert in der Pfarrkirche und der Eröffnung des Pleyel-Museums in der ehemaligen Dorfschule weiß jeder Ruppersthaler, wer da vor über 200 Jahren (so der Titel einer der vielen Gedenkveranstaltungen) »von Niederösterreich in die Welt« hinausgezogen ist.

      Martin Pleyl (er noch ohne das polyglotte e zwischen dem y und dem l) ist Schulmeister, Organist und Mesner in einer Person. Auch Sohn Ignaz zählt zu seinen Zöglingen. Von Mutter Anna Theresia wird gemunkelt, sie sei eine wegen eines amourösen Fehltritts von der Familie verstoßene Gräfin Schallenberg. Wie auch immer: Der am 18. Juni 1757 zur Welt gekommene Ignaz zeigt musikalisches Talent, die Eltern schicken ihn zur Ausbildung nach Wien. Der Dittersdorf-Adept Johann Baptist Vanhal, sein erster Lehrer, kann seine Gönner, die Grafen Erdödy, dazu überreden, das junge Genie der Obhut der Esterhazys in Eisenstadt anzuvertrauen – satte 100 Louisdor pro Jahr lassen sie sich »Lehre und Pension« bei »Papa Haydn« kosten. Auch Meister Gluck spart, als ihm die ersten Kompositionen des Neunzehnjährigen vorgelegt werden, nicht mit (kritischem) Lob: »Junger Freund, Sie haben gelernt, Noten aufs Papier zu setzen. Nun müssen Sie nur noch lernen, die überflüssigen wieder zu streichen.« Und der ein Jahr ältere Mozart schreibt an seinen Vater: »Seine Quartette sind sehr angenehm. Wenn Du sie noch nicht kennst, such sie zu bekommen, es ist der Mühe wert.«

      1783 wird im Straßburger Münster eine Stelle frei, der Sechsundzwanzigjährige übersiedelt als Adjunkt des Domkapellmeisters ins Elsaß. Noch bevor er dessen Nachfolge antritt, hat er die Staatsbürgerschaft gewechselt: Aus dem Österreicher Pleyl wird der Franzose Pleyel. Als die Revolution ausbricht, hilft ihm das freilich wenig: Als Landsmann der verhaßten Königin Marie Antoinette kann er sich der Guillotine nur entziehen, indem er lautstark den neuen Herren huldigt und für eine der Revolutionsfeiern eine »Hymne à la Liberté« schreibt. Seinen kirchlichen Posten ist er dennoch los: Die Domgottesdienste sind eingestellt, Kardinal Rohan flieht ins Exil, Pleyel selber weicht nach London aus, wo inzwischen auch sein Lehrer Haydn konzertiert.

      Als er die Zeit gekommen sieht, einen Neuanfang in Straßburg zu riskieren, landet Pleyel im Kerker. Und um der abermals drohenden Hinrichtung zu entgehen, komponiert er binnen einer Woche, von zwei Gendarmen Tag und Nacht bewacht, eine achtstündige Revolutionsmusik, deren monströse Pathetik – unter Einsatz von Kirchenglocken, Massenchören und Schlachtenlärm – die Republikaner derart begeistert, daß sie ihren Schöpfer in die »Ehrenliste der Revolutionskünstler« aufnehmen. Daß er vermutlich auch die Musik für die Marseillaise beigesteuert hat, kann er freilich nicht auf seine Fahne heften: Das ursprünglich den Soldaten der Rhein-Armee zugedachte Kampflied geht auf einen blutrünstigen Text des Straßburger Pionierhauptmanns Rouget de Lisle zurück, und mit dem ist Pleyel zwar gut Freund, wohnt mit ihm im selben Haus und hat auch schon eines seiner früheren Werke vertont, aber daß die Noten zu »Allons, enfants de la patrie« nicht von einem Franzosen, sondern von einem Ausländer stammen sollen, ist allseits unzumutbar, und so bleibt es wohl für alle Zeiten dabei: Textdichter Rouget de Lisle, obzwar in punkto Musik nur als exzellenter Sänger und Geiger ausgewiesen, hat auch die Melodie der Nationalhymne geschrieben.

      Das zweite Leben des Ignaz Pleyl alias Ignace Pleyel setzt 1795 mit seiner Übersiedlung nach Paris ein: Der Achtunddreißigjährige, dessen Sinfonien, Streichquartette und Opern nun immer seltener aufgeführt werden, gründet einen Musikverlag mit eigener Notenstecherei, steigt in den Instrumentenhandel ein und errichtet eine Klavierfabrik, deren Ruhm schon bald den Ruhm des Komponisten gleichen Namens übertreffen wird. Mit der Übergabe des florierenden Unternehmens an seinen Sohn Camille anno 1824 zieht sich der inzwischen Siebenundsechzigjährige

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