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uns erkennen, daß wir es bei ihm mit keiner ekelerregenden Monstrosität zu tun haben, sondern mit einem Mann, der sich absolut nicht unglücklich fühlt und infolgedessen sogar eine Lebensgefährtin fand, die ihn durch Vaterfreuden ans Dasein fesselt.«

      Geschichten über Geschichten – etwa die von der Dogge, die ihm der dänische König zum Geschenk macht und die ihm, als ihn Wegelagerer überfallen und ihm die Handkasse entreißen wollen, das Leben rettet. Oder von dem Zirkusbrand, bei dem ihn, unter Einsatz des eigenen Lebens, der Kollege Riese aus den Flammen holt. Oder von der neapolitanischen Mafia, die ihm aus Rache für das verweigerte Schutzgeld über Nacht das Zelt in tausend Stücke schneidet.

      Schwärzester Horror wechselt ab mit Augenblicken höchsten Entzückens – etwa, wenn Nikolai erfährt, daß er zum erstenmal Vater geworden ist – und Vater eines gesunden Buben! An diesem Freudentag bleibt die Schaubude, in der er auftritt, geschlossen. Und als ihn der berühmte Wiener Chirurg Theodor Billroth zur Untersuchung in seine Klinik einlädt, ist dies für Kobelkoff nichts Entwürdigendes, sondern im Gegenteil eine Auszeichnung, der er sich zeit seines Lebens ebenso rühmen wird wie etwa jenes Kusses, zu dem sich die in Wien gastierende Bühnendiva Sarah Bernhardt hinreißen läßt – aus Bewunderung für die schier grenzenlose Willenskraft, mit der dieser scheinbar armselige Krüppel seinem Schicksal trotzt.

      Nikolai Basilowitsch Kobelkoff erreicht das stattliche Alter von zweiundachtzig Jahren, treu umsorgt von den Familien seiner Kinder. In einer Praterhütte, Anbau des von Sohn Alexander betriebenen Ringelspiels, verbringt er seinen Lebensabend. Als er am 19. Jänner 1933 für immer die Augen schließt, geben Hunderte Kollegen und Aberhunderte Wiener Bürger dem Kindersarg, in dem sein Leichnam ruht, auf dem Weg zum Zentralfriedhof das letzte Geleit.

      Aus: Wien – Wahlheimat der Genies, 1994

      »Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt …«

       Alban Bergs Tochter Albine Scheuchl

      Erich Alban Berg, 1905 in Wien geboren, ist ein interessanter Mann mit einer höchst wechselvollen Biographie. Statt seine musikalischen Talente als gelernter Pianist und Chorsänger zum Beruf zu machen, absolviert er eine höhere landwirtschaftliche Lehranstalt und wendet sich schließlich dem Exporthandel zu. Doch die Musik läßt ihn keineswegs los, und so sattelt er in späteren Jahren auf Journalismus um: Erich Alban Berg macht sich als Zeitungskorrespondent einen Namen, berichtet für eine Reihe angesehener Blätter über musikalische Ereignisse in Wien, im übrigen Österreich und im Ausland. Sein eigentliches Thema, das ihn zuletzt ausschließlich beschäftigen wird, findet er erst, als er ins Rentenalter eintritt: 1976 erscheint im Insel-Verlag die große Bildbiographie über Leben und Werk seines Onkels Alban Berg.

      Im Gegensatz zu Alban Bergs Witwe Helene, die nach dem frühen Tod ihres Mannes, des Schöpfers der Opern »Lulu« und »Wozzeck«, der »Lyrischen Suite«, eines Violinkonzerts und einer Reihe kleinerer Arbeiten, mit unnachsichtiger Strenge das ihr zugefallene Erbe verwaltet und auf die Lebensgeschichte des Verblichenen nicht den geringsten Schatten fallen läßt, ist Erich Alban Berg ein Wahrheitsfanatiker, der bei aller Liebe zu seinem Onkel auch nicht vor dessen Schwächen die Augen verschließt. Als er 1979 bei der Aufarbeitung des Nachlasses von Alban Bergs Schwester Smaragda auf das Photo eines etwa fünf Jahre alten Mädchens trifft, das im Matrosenkleid, mit Schnürstiefelchen und überdimensionalem Strohhut auf einer Bank sitzt, kommt bei dem Betrachter ein erster Verdacht auf: Sieht die Kleine, die da, einen Blumenstrauß auf dem Schoß, beherzt in die Kamera blickt, nicht dem Komponisten Alban Berg verblüffend ähnlich?

      In seiner vor drei Jahren erschienenen Alban-Berg-Biographie hat er seinen Onkel noch als kinderlosen Mann dargestellt: Gattin Helene hat sich in ihrer vierundzwanzigjährigen Ehe mit dem Komponisten dessen Wunsch nach Nachwuchs beharrlich widersetzt, und auch auf eventuelle Seitensprünge, die womöglich Folgen gehabt haben könnten, findet sich in der Familienchronik keinerlei Hinweis. Doch das Bild des kleinen Mädchens mit den charakteristischen Alban-Berg-Gesichtszügen läßt Erich Alban Berg keine Ruhe. Er entschließt sich zu einem ungewöhnlichen Schritt: In einer Reihe österreichischer Zeitungen veröffentlicht der Vierundsiebzigjährige eine Suchanzeige – in der Hoffnung, mittels des mitabgedruckten Photos die Identität des geheimnisumwitterten Kindes klären zu können.

      Erich Alban Bergs Aktion hat Erfolg: Ein in Oberösterreich lebender angeheirateter Verwandter der auf dem Kinderbild Konterfeiten meldet sich brieflich zu Wort und gibt bekannt, daß es sich bei der Gesuchten um eine gewisse Albine Scheuchl handelt und bei deren Vater um keinen anderen als den Komponisten Alban Berg. Die Musikwelt hat ihre Sensation: 43 Jahre nach seinem Tod wird publik, daß der vermeintlich Kinderlose eine leibliche Tochter hinterlassen hat, die ihrerseits vor 25 Jahren verstorben und am 5. Juli 1954 auf dem Südwestfriedhof in Wien-Meidling bestattet worden ist.

      Wie ist es zu erklären, daß dieses in vieler Hinsicht spektakuläre Faktum so lange ein Geheimnis geblieben ist? Daß Alban Berg selber und die wenigen Eingeweihten aus seinem engsten Umkreis, allen voran Witwe Helene Berg, geschwiegen haben, wäre noch zu verstehen. Was aber ist mit der Mutter des Kindes und mit diesem selbst? Auch wenn es nur schwer zu begreifen ist: Trotz der Notlage, in die Alban Bergs Kurzzeitgeliebte Marie Scheuchl durch die uneheliche Geburt ihrer Tochter geraten und trotz der eminent schwierigen Verhältnisse, unter denen diese Albine Scheuchl aufgewachsen ist, haben beide Frauen ein Leben lang ihr Wissen für sich behalten – und zwar einzig und allein aus Rücksichtnahme auf den um seine Reputation besorgten Erzeuger, aus persönlicher Bescheidenheit, aus Noblesse.

      Alban Berg kommt am 9. Februar 1885 im sogenannten Schönbrunnerhaus in Wien I., Tuchlauben Nr. 8, zur Welt. Vater Conrad, ein in jungen Jahren aus Nürnberg zugewanderter Buchhändler, betreibt in nächster Nähe, Ecke Kühfuß- und Milchgasse, ein Fachgeschäft für Sakralliteratur, liturgische Geräte und Devotionalien, zu dessen Stammkunden unter anderem Anton Bruckner zählt. Mutter Johanna, einer Wiener Familie mit böhmischen Wurzeln entstammend, führt nach dem frühen Tod ihres Mannes den Betrieb weiter. Von den vier Kindern sind die Brüder Hermann und Carl älter als Alban, Schwester Smaragda ist das jüngste. Man lebt in geordneten Verhältnissen, auch das Musische kommt im Elternhaus nicht zu kurz.

      Alban absolviert die Realschule auf der Schottenbastei, muß allerdings, um die Matura zu erlangen, eine Klasse wiederholen. Eine weitere Trübung erfährt seine Jugend durch ein chronisches Asthmaleiden und eine verhängnisvolle Anfälligkeit für Entzündungen, die »das geringste Wimmerl« zum Abszeß ausarten lassen. Auch eine fatale Neigung zur Melancholie macht dem Hochsensiblen zu schaffen.

      Da ist es ein Glück, daß die Familie Berg seit 1894 über einen prachtvollen Sommersitz in Kärnten verfügt, wo auch der physisch wie psychisch angeschlagene Alban regelmäßig die Ferien verbringt, um Gesundheit zu tanken. Um die Kosten für das am Ossiachersee gelegene Landgut zu minimieren, ist dem »Berghof« – so der Name des Anwesens – eine Jausenstation für Sommergäste angeschlossen, zu deren Bewirtschaftung das aus Wien herbeigeholte Hauspersonal nicht ausreicht. Eine der Hilfskräfte, die daher während der Saison zusätzlich eingestellt werden, ist das aus Oberösterreich stammende Küchenmädel Marie Scheuchl, und in sie verliebt sich der siebzehnjährige Gymnasiast Alban Berg, als er sich im Frühjahr 1902 wieder einmal für einige Zeit auf dem Berghof aufhält.

      Hart getroffen vom plötzlichen Verlust des Vaters, der vor zwei Jahren gestorben ist, und verunsichert durch mangelnde Lernerfolge in der Schule, sucht Alban Ausgleich im gemeinsamen Musizieren mit seiner Schwester Smaragda, und auch seine ersten Gehversuche als Komponist fallen in diese Zeit: Beeinflußt vom Liedschaffen solcher Größen wie Schumann und Brahms, vertont er Gedichte von Storm und Gleim, von Mörike und Goethe, von Heine und Eichendorff.

      Alban Bergs Techtelmechtel mit dem Küchenmädel bleibt nicht ohne Folgen: Am 4. Dezember 1902 bringt Marie Scheuchl ein Kind zur Welt. Das Mädchen wird – in dezenter Anspielung auf dessen Vater – auf den Namen Albine getauft.

      Alban Berg erfährt von alledem erst, als er längst wieder in Wien weilt: Marie Scheuchl schickt ihm ihr Tagebuch sowie ein Photo des Neugeborenen. Seine Antwort, vier Briefseiten lang, fällt ebenso melodramatisch wie feig aus und schließt mit der Bitte: »Erhalte Dein

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