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der Zeit ihr Vertrauen gewinnen konnte und als Partnerin akzeptiert wurde.

      Die Künstler beschränkten sich nicht darauf, Direktiven zu erteilen, sie erklärten sie mir, ausführlich und farbig. Sie erzählten mir Geschichten von unterwegs, sie beschrieben mir die Säle, in denen sie spielten, deren Akustik, Größe und Atmosphäre, die Besonderheiten der Veranstalter und der Zuhörer in den verschiedenen Orten und Ländern. Sie beschrieben mir die Stimmung der Werke und erklärten mir, wie sie ihre Programme zusammenstellen, dass ein Programm nicht gut ist, wenn die Zuhörer in düster-depressiver Stimmung nach Hause entlassen werden, so wie wenn man zum Beispiel das fünfzehnte Streichquartett von Schostakowitsch und das sechste Streichquartett von Bartók in einem Programm vereinigen würde. Sie machten mir klar, dass Entfernungen zu dem Konzertort und innerhalb des Ortes, ordentliche Garderoben und die Bestellung des Licht- und Bühnenmeisters zur Probe wesentliche Faktoren im Leben eines reisenden Musikers sind und ein gelungenes Konzert auch davon abhängt. Zimmer neben dem Aufzug sind in jedem Hotel eine Nachtplage, ganz egal wie modern und leise die Aufzüge sind. Für viele der Hotels, die wir für unsere Künstler buchen, versuchen wir, die Nummernendziffer der »Aufzugszimmer« zu erfahren, und bitten ausdrücklich, diese nicht an unsere Künstler zu vergeben. All das und noch viel mehr sagten sie mir, und jeder ein bisschen anders. Ich verstand, dass ihre Forderungen nicht Divenallüren waren, sondern der schlichte – und manchmal verzweifelte – Versuch, Bedingungen zu schaffen, um ihren Beruf mit großer Konzentration ausüben zu können.

      Als ich 1989 mein Impresariat mit dem erklärten Ziel gründete, eine Agentur ausschließlich für Streichquartette zu führen, belächelten viele meinen Entschluss, hielten mich für verrückt und kaufmännisch suizidal. Allein die Streichquartette – nicht nur die, die ich vertrat, sondern auch viele andere, wie ich im Laufe der weiteren Jahre zu hören bekam – dankten mir dafür, weil ihnen damit ein voller Rang und Platz eingeräumt wurde. Sie waren nicht mehr Zierde auf einer Liste, sondern Zentrum.

      Den Schritt in die Selbständigkeit hätte ich nicht machen (und finanziell überleben) können, wenn nicht Künstler wie das Alban Berg Quartett, das Guarneri Quartett, das Tokyo String Quartett, das Cleveland Quartett mich hierzu ermutigt und ihrerseits die Entscheidung getroffen hätten, mir zu folgen. Immerhin bedeutete es für sie, eine sehr etablierte und respektierte Agentur zu verlassen, um einer jungen Agentin zu einem eigenen Namen zu verhelfen. Das Risiko, das sie trugen, war kalkulierbar, denn zu diesem Zeitpunkt kannten wir uns schon lang und gut. Sie alle waren meine Lehrer gewesen und wussten, dass ich bereits eine eigene Beziehung zu vielen Veranstaltern aufgebaut hatte. Nach einigen Jahren kamen die ersten Solisten, die das suchten, was sie »die kammermusikalische Betreuung« nannten, etwas, das schwer zu beschreiben ist, aber einen Gegenpol zu der solistischen kommerziellen Hetze bilden sollte.

      AUF TOURNEE

      Eines Tages riss Günter Pichler, dem ersten Geiger des Alban Berg Quartetts, die Geduld. Ich hatte ihm die Liste von Städten für eine nächste Tournee geschickt. Alles schien mir, vom Lesen der Karte her, sinnvoll und logisch zu sein, aber die Reisen hatte ich nicht im Detail geprüft. Mir schien, 300 bis 400 Kilometer seien nicht so weit, auf der Karte sind es ja nur einige Zentimeter. Er bat Herrn Schmid darum, mir zu erlauben, einige Tage – ich glaube, es waren drei – mit ihnen auf Tournee zu gehen, damit ich endlich begriffe, was es heißt, zu reisen. Der Abschnitt der Tournee, bei dem ich mitreiste, war an sich unproblematisch, alles war mit dem Zug leicht zu bewältigen (nur bei einer der Strecken musste man einmal umsteigen). Insgesamt überstiegen die Reisezeiten von Hotel zu Hotel keine vier Stunden. Ich kam so erschöpft zurück, als hätte ich die ganze Reise in einer schlecht gefederten Kutsche gemacht. Dabei musste ich weiter nichts tun, als mitreisen, die Künstler mussten dazu noch üben, proben und spielen. Ich hatte lediglich einen kleinen Koffer für drei Tage, die Musiker schleppten große Koffer für vier Wochen Tournee, samt Konzertanzug, Noten und ihr Instrument. Die Uhr tickt bei solchen Reisen besonders schnell: morgens packen, Hotelrechnung bezahlen – scheinbar wollen alle anderen Hotelgäste genau dann auch bezahlen – , das Gepäck sinnvoll im Taxi verstauen, damit nicht noch ein drittes Taxi gerufen werden muss, am Bahnhof den richtigen Bahnsteig finden, die Rolltreppe ist außer Betrieb, Gedränge vor dem Wagenstandsanzeiger, der Wagen ist am anderen Ende des Bahnsteigs. Im Zug ist alles eng, das Gepäck zu sperrig, es muss hochgehievt werden. Am Ankunftsbahnhof stehen nicht genügend Taxis, man muß warten, es regnet. Im nächsten Hotel wurden die Reservierungsbedingungen – ruhige, weit voneinander liegende Zimmer – nicht befolgt, die Empfangsdame versteht nicht, warum dies für gerade mal eine Nacht so wichtig sein soll. Auspacken, etwas Ruhe suchen, bevor man sich für den Abend fertig macht. Wie weit ist der Konzertsaal? Kann man zu Fuß gehen, um etwas Luft zu bekommen, vielleicht auf dem Weg noch ein belegtes Brötchen finden? Der Pförtner am Künstlereingang vom Konzertsaal händigt Garderobenschlüssel gegen eine Unterschrift aus und murmelt: Dritte Etage links, hinter der Glastür. Wo ist der Lift oder einfach die Treppe? Wie geht man von der Garderobe zur Bühne? Wo ist der Veranstalter, der sich auskennt und einen führt? Die Stühle auf der Bühne sind unbrauchbar, die Beine zu kurz, mit rotem Samt überzogen, so daß sie bei längerem Sitzen zu heiß werden, alt und vermutlich nicht besonders stabil. Irgendjemand hatte sich ausgedacht, dass es hübsch aussähe, wie früher in den Schlössern! Das Licht muss eingerichtet werden, damit die Noten beleuchtet, die Musiker aber nicht geblendet werden. Endlich ist alles soweit geregelt, dass die Probe anfangen kann, einer der Musiker geht in den Zuschauerraum, um den Klang zu überprüfen, jeder Saal ist anders. Die Feuerwehr kommt und will den eisernen Vorhang ausprobieren, Vorschrift. Dann der übliche Kampf um den Publikumseinlass. Das Quartett will so lange wie möglich auf der Bühne proben, die Saalbetreiber wollen den Saal für das Publikum möglichst früh öffnen. Sind die Eintrittskarten für die Freunde der Musiker zurückgelegt worden? In der Garderobe wurde Kaffee, Wasser und Tee bereitgestellt, aber dem Cellisten ist nicht wohl, er braucht einen Pfefferminztee. Eigentlich braucht er nur heißes Wasser, er hat den Teebeutel bei sich. Wo ist eine Kantine, oder nur eine Teeküche? Noch eine halbe Stunde bis zum Konzert, die Kleidung wird überprüft, jeder konzentriert sich auf seine eigene Art, das eine oder andere wird kurz besprochen. Das Konzert fängt an. Es zählt nur noch dieser Moment. Ob an dem Tag gereist wurde, woher man gekommen ist, spielt keine Rolle mehr. Nach dem Konzert kommen Freunde und Fremde, die Anspannung lässt nach, die Zeit drängt wieder: Pulte, Noten einsammeln, im Restaurant wurde ein Tisch bestellt, die Küche macht aber um 23.00 Uhr zu, alle haben Hunger. Bis alle im Hotel zurück sind, ist es weit nach Mitternacht, am nächsten Morgen geht der Zug kurz nach 9.00 Uhr.

      Sicher gehört ein ganzes Stück Übung und Gewöhnung und Disziplin zu einem Reiseleben. Diese paar Tage unterwegs mit dem Quartett wurden zu einer meiner wichtigsten Lektionen.

      Streichquartettleben bedeutet auch ein Leben auf Reisen. Manchmal sind es nur einige Tage, andere Male viele Wochen, die sie in enger Gemeinschaft verbringen. Meistens reisen die Quartette zu viert, vor allem bei den großen Reisen, aus der Selbstverständlichkeit heraus, alles gemeinsam zu machen, aus rein praktischen und ökonomischen Gründen, aus der Unlust, alleine zu reisen, oder schlicht aus Gewohnheit. Das Reisen hat viele prosaische Seiten, und genau diese Komponenten sind es, die eine gewisse Intimität erzeugen. Es hat mit Warten zu tun, mit dem Aufeinander-Warten (immer ist einer – immer der gleiche – fast zu spät, ein anderer – immer der gleiche – lange vor der Zeit schon da), dem gemeinsamen Warten (auf einen Zug, einen Flug, ein Taxi, vor einem Konzert, nach einem Konzert). Es hat mit Gleichzeitigkeit zu tun: neue Länder, neue Orte, neue Säle, neue Menschen, denen sie zur gleichen Zeit begegnen. Es hat mit »gemeinsam fremd sein« und miteinander immer wieder fremd sein zu tun. Sie erfahren vieles zusammen, aber teilen nicht unbedingt die Erlebnisse miteinander. Es sind aber auch Momente, die sie aus einer Situation heraus notgedrungen miteinander teilen, obwohl gerade sie zu den besonderen Ereignissen gehören, die man nur mit einem sehr nahen Menschen teilen möchte. Auf Reisen, auf Tournee betrifft fast alles, was einem einzelnen geschieht, alle vier: ein individueller Kummer bleibt nicht verborgen, eine schlechte Nacht wird sichtbar, ein kranker Zahn ist die Sorge aller, ein verlorener Koffer kann die Noten für das nächste Konzert enthalten. Als ich mit dem Cellisten eines Quartetts telefonierte und mich nach dem widerspenstigen Finger seines Kollegen erkundigte, sagte er mir: es ist in diesem Falle nicht einer seiner zehn Finger, sondern einer unserer vierzig Finger, also unser Finger.

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