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das erste Gefäß wieder hinter dem Studenten hervor. »Trollt euch!«, brüllte Shimamura. Trotz der Hitze schauderte ihn.

      Die sogenannten Gefäße waren die elendesten Nutznießer des Fuchswahns. Sie unter die Exorzisten zu fassen beleidigte strenggenommen den Exorzistenstand. Der Krankenhausdirektor aus Matsue hatte Shimamura das alles genau erklärt. Jeden Sommer pilgerte der verzweifelte Abschaum nach Shimane, um sich als Fuchsgefäße anzubieten. Als Fuchsherbergen. Als Fuchsasyle. Das Wort war mehrdeutig und in allen Bedeutungen ekelhaft. Die Kurzform Gefäße ekelte Shimamura am meisten. Wer als Gefäß nach Shimane kam, trug einen Strick um den Hals. Wie ein Hund. Oder ein Esel. Der Strick sagte: Nimm mich, ich bin dein Opfer. Wie ekelte es Dr. Shimamura vor den Gefäßen! Wenn der Fuchsgeist aus einer Fuchskranken ausfuhr, hatte er gelernt, war dafür Sorge zu tragen, dass er gleich einen fand, um wieder hineinzufahren, damit er nicht unbehaust flottierte: Dafür gab es Gefäße. Sie hielten weichen Tofu im offenen Mund, um den Fuchs damit anzulocken, und der Fuchs fiel darauf herein, kam schnuppern und lecken und wurde verschluckt. Der Krankenhausdirektor hatte Shimamura den Fuchstransfer, der stets mit viel Geschrei und Verrenken einherging, in allen Einzelheiten geschildert. Auch wie es dem Gefäß, der Herberge, dem Asyl fortan erging. Der Direktor des Krankenhauses von Matsue hatte sich über den Widerwillen des Tokyoter Besserwissers genauso gefreut wie dessen Student. Sobald der Fuchs in ihm saß, verfiel das Fuchsgefäß dem Wahnsinn, einem kleinen, wimmernden, langdauernden Wahnsinn, und starb dann sehr langsam, wobei es einen charakteristischen Geruch absonderte. Wir haben zufällig gerade ein Fuchsgefäß im Hinterhof liegen, Herr Kollege. Möchten Sie es nicht einmal ansehen? Über der Leiche des Gefäßes, in welcher der Fuchsgeist nun sicher – oder vielleicht auch unsicher – eingeschlossen war, betete man ein bestimmtes Gebet und warf sie dann flugs auf einen Scheiterhaufen, wo man Unkraut verbrannte, oder ins Meer, oder in einen Fluss, oder irgendwo in die Gegend, in die Nähe eines Trinkwasserbrunnens. (Letzteres hatte sich Dr. Shimamura ausgedacht. Auch die Idee, dass besonders starke Gefäße mehrere Füchse aufnahmen und sich dann aufblähten und schließlich platzten, war auf seinem eigenen Mist gewachsen. Er träumte schon von den Gefäßen, in immer neuen Einzelheiten. So sehr ekelte ihn.)

      Die beiden heutigen Gefäße, stellte Shimamura fest, ein Weiblein und ein Männlein, hatten heimlich die Stricke von ihren Hälsen gelöst, damit der Mann im Strohhut ihr Amt nicht erriet. Jetzt spazierten sie scheinheilig neben dem Mönch einher. Selbst die Gefäße selbst wussten schon um Dr. Shimamuras Abscheu und tratzten ihn.

      Shimamura merkte, dass er nach Steinen schaute, die man werfen könnte.

      »Da vorne!«, jubelte der Student und klopfte triumphierend die Asche aus seiner Pfeife.

      Die drei roten Fuchszeichen auf der Landkarte waren in natura leicht auszumachen: Um zwei geduckte Hütten, die auch Ställe hätten sein können, standen, lungerten, saßen, lagen in einem ganzen Wald von Zauberfahnen gut ein Dutzend Gefäße!

      »Darf ich ein Lichtbild aufnehmen, bitte, Herr Doktor, bitte sehr?«, rief der Student.

      Shimamura kämpfte Magensaft hinunter, der angesichts der Gefäßversammlung in seinen Rachen aufgestiegen war.

      »Nein, danke, Herr Student«, sagte Dr. Shimamura, »denn wie ich Ihnen schon einmal auseinandergesetzt habe, betreiben wir hier nicht die Völkerkunde, sondern sind in der Medizin unterwegs.«

      Die drei Fuchszeichen des Krankenhausdirektors von Matsue stellten sich als eine Epileptikerin heraus, welche glücklicherweise gleich in den ersten fünf Minuten einen perfekten Jackson-Anfall vorlegte, deren simulierende Schwester sowie eine idiotische Nachbarin, an der außer Idiotie nichts weiter festzustellen war. Der Student durfte die Epileptikerin fotografieren, was ihn nicht befriedigte, weil es in der stinkenden Hütte zu dunkel und außerdem der Anfall längst vorbei war. Die Simulantin und die Idiotin fotografierte er dann ebenfalls, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Er schob beide flugs in die Sonne und ließ sie vor den Zauberfahnen posieren, während Shimamura noch mühsam eine Anamnese der Jackson-Patientin aus deren jämmerlicher Mutter herauszuleiern versuchte.

      Wie immer war nichts Spezifisches an den sogenannten Besessenen auszumachen. Wie immer konnte Shimamura dem Gegreine der Landbevölkerung auch gar nicht folgen. Wie immer schrien die Fuchskranken Zeter und Mordio, sobald Shimamura sie untersuchen wollte, und warfen sich dann laut heulend und ohne jede Zurückhaltung an die Brust des Studenten.

      Neben der Lichtbildnerei war dies das Steckenpferd des Studenten geworden. Die Abdrücke dreckiger, tränennasser Mädchengesichter auf seiner Brust trug er wie Ehrenschärpen. Vielleicht hatte vor vierhundert Jahren irgendeiner seiner verdammten Ahnen per Handauflegen die niedersten Lehnsleute geheilt, und davon war etwas im Erbgut des Jünglings hängen geblieben. Er flüsterte auch mit allen Kranken und ihren Verwandten, gewiss nichts Modernes. Das arme Ding mit dem Ovarialabszess hatte der Student in seine Hand spucken lassen und die Spucke dann mit großer Ernsthaftigkeit ins Freie getragen; das hatte Shimamura genau gesehen. Shimamura hatte nicht gefragt, was das sollte. Er war zu verblüfft gewesen, um dem Studenten sein irres Tun zu verbieten. Dann hatte er drei Nächte lang darüber nachgegrübelt, ob der Student wohl im Freien ein dort lauerndes Fuchsgefäß bezahlt hatte, um diesem die Spucke der Abszesskranken füttern zu dürfen. Der Student exorzierte hier stillvergnügt Füchse. Daran bestand kein Zweifel. Shimamura wollte es aber auch gar nicht wissen. In der dunklen Hütte zwischen Taotsu und Saiwa, in der niemand den Urin fortwischte, den die Epileptikerin reichlich ausgeschieden hatte, und in der stattdessen alle Welt betete, stellte Shimamura fest, dass er sich nun vor allem ekelte: vor allen Krankheiten, vor allen Menschen, vor Medizin und Aberglaube, vor Füchsen und selbst vor Dr. Griesingers Pathologie.

      Zwei Wochen lang wanderten Shimamura Shunichi und sein Student durch den Glutofen Shimane. An Füchsen bestand kein Mangel. Keine Patientin wies Neurologisches auf, und selbst das Psychiatrische blieb vage. Nach viel Tuberkulösem, einer Meningitis, drei schlichten Grippen und allerlei unklaren paralytischen Affektionen war es Shimamura leid und er diagnostizierte ohne jegliche Berechtigung eine choreatische Manie, nur weil ihm das Wort gefiel, sowie eine Graviditätspsychose.

      Den meisten fehlte gar nichts. Die heilte der Student, wie auch immer, und Shimamura schaute weg.

      Nach zwei Wochen war Dr. Shimamuras Asthenie zu einer Neurasthenie erblüht und seine Dyspepsie zu etwas Explosivem, das er einen Tag lang für die Cholera hielt. Längst ging der Student nicht mehr hinter ihm, wenn sie wanderten. Er ging stolz vor ihm her. Der Student bog Äste aus Shimamuras Weg und verscheuchte die Gefäße für ihn. Dabei redete er. Und lachte. Und rauchte. Und sang. Shimamura fühlte sich wie ein Greis. Der Student war zum Mann gereift, zu einem Mann, dem die deutsche Medizin nicht gut zu Gesicht stand. Längst wollte ihn Shimamura nicht mehr belehren. Die alten Lieder, die der Student sang, verstand er kaum besser als das Lamentieren der Fuchskranken. Schließlich beschloss er abzureisen.

      »Nun haben Sie brav das Geschmeiß exploriert«, sagte der Krankenhausdirektor von Matsue, als Shimamura sich verabschieden wollte, »nun bekommen Sie unser Dämchen. Hier, Herr Kollege. Eine neue Karte. Das habe ich mir bis zum Ende für Sie aufgespart. Hier …« – der Krankenhausdirektor zeigte auf ein gewaltiges blutrotes Fuchszeichen in einem Strahlenkranz, das eine abgelegene Stelle beim Steilufer zierte – »… hier finden Sie die gesegnete Fischhändlerstochter. Unsere Berühmtheit. Ihre Belohnung. Die Fuchsprinzessin von Shimane.«

      DREI

      Am Freitag, als das Wetter sehr schön geworden und das Fieber nicht weiter gestiegen war, ging Dr. Shimamura mit seiner Frau spazieren.

      Sachiko konnte dieser Beschäftigung nichts abgewinnen. Dass man der Gesundheit zuliebe im Freien umherlief und nicht stattdessen zu Bett lag und seine Kräfte schonte, an denen es Kranken naturgemäß mangelte, wollte ihr seit vielen Jahren nicht einleuchten. Schon in Kyoto hatte sie sich stets ein wenig beleidigt gefühlt, wenn ihr Mann von den Vorteilen frischer Luft sprach: Als röche ihr Haus nicht gut, als müsse man unter dem Himmel, in öffentlichen Bereichen Zuflucht suchen, wenn man einmal durchatmen wollte. Manchmal stellte sie große Blumensträuße auf, wenn zu viel von Spazierengehen die Rede war. Shimamura hatte diese stumme Kritik nie verstanden.

      Mit karger Miene, einen zusammengeklappten Regenschirm

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