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die Zahl Acht darstellen, einmal stehend, einmal liegend. Sechzehn war ein beliebter arkaner Koeffizient. Die Schnörkel gaben ihm Rätsel auf. Sie waren zu unregelmäßig, um eine Arkanschleife oder nur Zierde zu sein, zerstörten die Symmetrie und widersprachen völlig den Ordnungsregeln der Siegelkunst.

      »Wo hast du das machen lassen, und warum? Was tut es? Wie soll ich dir damit helfen?«

      Arkadis schloss den Mund, presste die Lippen fest aufeinander und hob die Schultern.

      »Du kannst nicht sprechen«, sagte Yuriko. »Natürlich nicht. Warst du immer schon stumm oder bist du es erst, seit du das Siegel trägst?«

      Kopfschütteln, Nicken.

      »Erst seit dem Siegel?«

      Nicken.

      »Ich bleibe wohl besser bei Ja-Nein-Fragen, was?«

      Flüchtiges Lächeln, Nicken. Yuriko stemmte sich in die Höhe und angelte nach seiner Hose.

      »Wir brauchen Papier und Tinte für dich und Tee für mich. Ohne Tee kann ich nicht denken, und eine Antwort kann ich dir erst liefern, wenn ich die Frage kenne. Komm mit.«

      Die Sonne stand viel zu hoch und schien viel zu hell. Die Stadt war viel zu laut und der Weg zur Arkania viel zu weit. Yuriko dachte an seine kühlen, schattigen Arbeitsräume, an einen Becher Tee und das Plätschern des Springbrunnens, das durch die offenen Fenster hereindrang. Galina hatte genug Zeit gehabt, die Unordnung zu beseitigen, die er womöglich bei seiner Abreise hinterlassen hatte. Er erinnerte sich nicht. Er würde in sein altes Leben steigen wie in ein Paar geschmeidige, gut eingelaufene Stiefel, und vielleicht eines Tages an Florines Tür klopfen.

      Das Tor der ehrwürdigen zentallinischen Arkania zu Letis war verschlossen, wie immer. Er steckte seine Hand in das schmiedeeiserne Löwenmaul, wie immer, damit der Zauber ihn einließ, aber nichts passierte. Yuriko zog die Hand raus und steckte sie erneut zwischen die schmiedeeisernen Raubtierzähne. Ein gelbliches Flackern überlief die gläsernen, geschlitzten Raubtieraugen. Das Tor blieb verschlossen.

      »Seltsam«, murmelte Yuriko. Arkadis betätigte einstweilen den schweren Klopfer in der Mitte des Schwanenwappens und löste damit den Gong in der Eingangshalle aus. Yuriko gab dem Löwenkopf eine letzte Chance und zog gerade noch die Finger heraus, als das Gebiss zuschnappte. Die Glasaugen leuchteten in bösartigem Rot.

      »Lass mich rein!«, schimpfte Yuriko. »Ich bin Yuriko Mandorak Doragon Frost, Zirkelmeister für Siegelkunde an dieser Arkania! Außerdem Inhaber des siebten Arkanen Gradienten, Freund der Kröten und Geißel der Schicksalsschlange, Jungfrauenbeschützer, Windreiter und Feuerbeschwörer! Mich hier auf der Straße stehenzulassen wie einen Bittsteller ist unerhört!«

      Arkadis zog ihn am Ärmel und deutete zwischen den Gitterstäben hindurch. Den Weg entlang kam ein junger Skolar, an dessen Gürtel Schlüssel klingelten. Er schob sich seine Augengläser auf dem dünnen Nasenrücken nach oben und musterte Yuriko neugierig.

      »Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«

      »Du kannst mir das Tor öffnen, ist das so schwer zu erkennen? Der blöde Löwenkopf hat offenbar vergessen, wer ich bin.«

      »Und das wäre …?«

      »Was wäre was?«

      »Ihr seid wer?«

      Arkadis verdrehte die Augen und ließ den Kopf gegen die Gitterstäbe sinken.

      »Yuriko Mandorak Doragon Frost bin ich, Feuerbändiger, Krötenfreund, Bezwinger der Schicksalsschlange, Reisender auf den Sieben Meeren, vom zarten Geschlecht verehrt und … au!«

      Arkadis hatte ihm einen unsanften Stoß gegen die Schulter versetzt.

      »Zirkelmeister für Siegelkunde«, kürzte Yuriko ab. Die Stimmung verging ihm ohnehin gerade.

      »An welcher Arkania?«, erkundigte sich der Skolar.

      »An dieser hier!«, polterte Yuriko. »Was ist das denn für eine Frage!«

      »Das kann nicht sein. Siegelmeister ist Ksantho Malrandir Kraka. Seit Jahren schon. Seit der vorherige …« Der Skolar unterbrach sich, als die Erkenntnis ihn traf. »Ihr seid der Vorgänger, der sich in Luft aufgelöst hat! Yuriko Frost!«

      »Yuriko Mandorak Doragon Frost«, sagte Yuriko würdevoll. »Und ich habe mich nicht in Luft aufgelöst. Die Wellen des Schicksals haben mich hinweggeschwemmt.«

      Arkadis machte eine ungeduldige Geste, und endlich fuddelte der Skolar den passenden Schlüssel vom Ring und öffnete das Tor.

      »Ksantho Kraka«, murmelte Yuriko, während er dem Skolar durch den weitläufigen Garten zum Haus folgte. »Der miese kleine Emporkömmling. Na, das werden wir gleich haben.«

      Gleich war, wie sich herausstellte, ein dehnbarer Begriff. Yurikos erster Weg führte ihn in seine Arbeitsräume – seine ehemaligen, wie nicht zu übersehen war. Das Mobiliar war vollständig erneuert. Es herrschte makellose Ordnung. Der Siegelmeister unterrichtete gerade, wie Yuriko im Vorzimmer beschieden wurde. Sogar die Assistentin hatte man ausgetauscht. Wo einst eine füllige Rothaarige gewusst hatte, wie das männliche Auge zu erfreuen war, führte nun eine reiz- und alterslose Schreiberin das Regiment. Ihre Stimme bohrte sich unangenehm in Yurikos Ohren, während er noch unter der Tür stand und sein ehemaliges Büro betrachtete. Alles, was an früher erinnerte, war der Blick aus dem Fenster.

      »Was erdreistet Ihr Euch, hier einzudringen?«, schimpfte die Vorzimmerfrau. »Wer seid Ihr überhaupt?« Arkadis schüttete den Kopf und streckte beschwörend die Hände aus.

      »Yuriko Frost«, sagte Yuriko in einer seltenen Anwandlung, sich kurz zu fassen. »Dein neuer Dienstherr. Und du bist bis morgen entweder jung und hübsch oder entlassen.«

      Der Schreiberin blieb der Mund offenstehen. Yuriko drehte sich auf dem Absatz um und rauschte davon. Dieses Problem musste er an höchster Stelle lösen.

      Eine Stunde später hatte sich gar nichts gelöst. Arkadis immer noch im Schlepptau, hatte Yuriko es immerhin bewerkstelligt, zum Arkanen Großmeister vorgelassen zu werden – oder sich selbst vorzulassen, er war da nicht kleinlich. Seine alte Stellung hatte er deshalb noch lange nicht zurück – nur die glaubwürdige Versicherung, die Welt hätte sich ohne ihn weitergedreht und man sei allgemein sehr zufrieden mit Meister Kraka. Man würde Yuriko aber immerhin gestatten, die Bibliothek und den Lesesaal zu nutzen. Aus Verbundenheit und der alten Zeiten wegen.

      Yuriko schritt von dannen. Er brauchte all seine Kraft, um sich die Aura des stolzen Schwans zu geben und nicht die des gerupften Hahns, der er war. Im Säulengang, am Rande des Innenhofes, ließ er sich auf eine steinerne Bank sinken. Arkadis, die ihm folgte wie ein Schatten, setzte sich neben ihn. Dass sie nicht sprach, hatte auch seine Vorteile.

      Yuriko schloss die Augen. Die Blätter der tausendjährigen Prantane im Innenhof raschelten im Wind. Aus den umliegenden Räumen waren gedämpfte Stimmen zu hören. Es war unfassbar, dass er ab sofort kein Teil mehr von alledem sein sollte.

      Und wie es schien, war er Teil von überhaupt nichts. Wie sollte er seinen Lebensunterhalt decken? Yuriko Mandorak Doragon Frost der Legendäre konnte sich ja wohl kaum als einfacher Siegelschreiber verdingen. Er musste dringend zur Bank und nach seinem Vermögen schauen. Sein Haus instand setzen, vielleicht Schülerinnen zur Ausbildung bei sich aufnehmen. Aus gutem Hause, mit reichen Eltern, die sich die intensive Einzelbetreuung etwas kosten lassen würden. Blond vielleicht.

      Oder er schrieb seine Reiseerinnerungen nieder und wurde als Schriftsteller reich und berühmt.

      Er seufzte schwer. So reizvoll beide Lebensentwürfe waren, so ließ sich doch bei keinem davon Arbeit gänzlich vermeiden. Und Arbeit verdarb den Charakter.

      Er kramte in seinen Manteltaschen und förderte einige wenige Eiserne zutage, die er Arkadis in die Hand drückte.

      »Mach dich nützlich und geh Tee holen. Den Säulengang bis zum Ende, Treppe runter, dann links.«

      Sie – oder er – das Licht nahm ihr gerade jeden weiblichen Liebreiz

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