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Du bist aber … hrm … gewachsen.« Er machte mit beiden Händen eine Geste, um anzudeuten, wo sie besonders gewachsen war, und handelte sich eine unsanfte Backpfeife ein. »Blick nach oben, Meister. Du schuldest mir sieben Silberfedern, im Übrigen. Und fünf Jahre Unterricht.«

      »Jetzt lass mich doch erst mal ankommen.«

      Er nahm sein Gepäck auf. Galina betrachtete ungnädig Meister Padda, der es sich auf Yurikos Schulter bequem machte und leise quakte.

      »Den hast du immer noch?«

      Padda fuhr die Zunge aus und leckte sich übers Auge. Yuriko fand, dem sei nichts hinzuzufügen.

      Galina setzte sich in Bewegung. Ihr Rocksaum wippte bei jedem energischen Schritt. Er folgte ihr, immer noch damit beschäftigt, die wunderbaren, üppigen weiblichen Formen zu würdigen, die wie durch Zauberhand an dem ehemals dürren Mädchen gewachsen waren.

      »Und?«, fragte er leichthin. »Was macht das Leben? Hast du einen Freund?«

      Sie warf ihm über die Schulter einen Blick zu, der einen weniger unerschrockenen Mann zu Stein hätte erstarren lassen.

      »Mein Leben war ziemlich mühsam die letzten Jahre, weil mir nämlich mein Lehrmeister abhandenkam. Deshalb konnte ich mich nicht zur Prüfung anmelden.«

      »Bist du noch an der Arkania?«

      »Ja. Als Hausmeisterin, und auch das nur, weil Onkel Danilo ein paar Beziehungen hat spielen lassen. Ich suche Schriften raus für die Herren Studenten, kümmere mich um die Beleuchtung, fege die Gänge.«

      »Das ist eine ehrenwerte Beschäftigung, die jemand erfüllen muss«, sagte Yuriko und stoppte auf seinen Hacken, als sie zu ihm herumwirbelte und den Zeigefinger in seine Brust bohrte. Was war sie bezaubernd, wenn sie wütend war.

      »Jemand, aber nicht ich! Ich habe mir nicht meinen Weg an die Arkania erkämpft, um dort die Hausmeisterin zu spielen! Wir hatten eine Verabredung, Meister Yuriko. Du hast ein Versprechen gegeben, und du hast es auf die abscheulichste Art und Weise gebrochen.«

      Er rieb sich verlegen über den Nacken.

      »Ja, weißt du, ich verstehe, dass es nicht einfach war für dich die letzten Jahre.«

      »Ach! Da bin ich aber froh! Sag mir eins – wie kann man nur mal eben schnell Tabak holen gehen und fünf Jahre wegbleiben?!«

      »Ich wurde vom Strom des Lebens hinweggeschwemmt.«

      Sie setzte zu einer Erwiderung an, warf dann die Hände in die Luft, schnaubte wie ein Pferd, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte davon.

      »He«, rief er ihr hinterher. »Wohin willst du? Ich dachte, du kommst mit mir nach Hause und hilfst mir …«

      »Das kannst du vergessen!«

      »… mich einzurichten? Lüften, fegen, Staub wischen?«

      »Frag doch deine hässliche Kröte!«, schrie sie über die Schulter, bog in eine Seitengasse ein und war verschwunden. Yuriko ließ die irritierten Blicke der Passanten an sich abperlen.

      »Hör nicht auf sie, Padda. Du bist nicht hässlich. Im Gegenteil. Die Kleine ist nur außer sich vor Wiedersehensfreude.«

      Er ließ sich Zeit mit dem Heimweg. Er war vollauf damit beschäftigt, die Eindrücke seiner Heimatstadt auf sich einströmen zu lassen. Viel geändert hatte sich nicht, aber es gab so viel, woran er jahrelang nicht gedacht hatte: wie man das Meer von hier oben sehen konnte, die schwere Abendsonne wie flüssiges Gold darüber ausgeschüttet, der Horizont nebelverhangen, Schiffe mit weißen Segeln darauf wie ruhende Möwen. Wie die Quartiersfarben gleich einem Baldachin die Straßen überspannten, zusammen mit Wäsche, die quer über die Straße von Dach zu Dach aufgehängt war. Die kleinen Tavernen an den Häuserecken mit ihren einladend zur Straße geöffneten Gasträumen. Der Duft von Knoblauch und gegrilltem Fisch. Die heimische Tracht. Die Hauben der Frauen, unter denen sie ihr Haar versteckten. Die langen, raschelnden Röcke. Das Klappern ihrer Holzschuhe auf dem hellen Straßenpflaster. Nichts davon hatte er wirklich vermisst, aber jetzt war er froh, wieder hier zu sein.

      Er hielt sich bergab und Richtung Stadtmitte. Er fragte sich, ob jemand in der Zwischenzeit sein Haus in Ordnung gehalten hatte. Galina vielleicht? Unwahrscheinlich. Florine?

      Ach, Florine.

      Er fragte sich, wie es ihr ergangen war. Für einen Augenblick hing er der Vorstellung nach, sie hätte inzwischen ihren Fehler erkannt und eine unstillbare Sehnsucht nach ihm entwickelt, dann schalt er sich einen Narren. Das Kapitel seines Lebens war abgeschlossen seit dem Tag, an dem sie sich zu diesem Langweiler Danilo bekannt hatte. Nur weil Yuriko zurück war, musste er nicht gleich wieder dem alten Wahn verfallen.

      Die Bäckerei an der Straßenecke war verschwunden. Eine Buch- und Schriftenhandlung belegte stattdessen die Räumlichkeiten. Die Straße war grüner, als er sie in Erinnerung hatte – mehr Efeu an den Mauern, die Büsche hinter den weißen Mauern höher und üppiger.

      Sein Haus am Ende der Straße machte nicht den Eindruck, als hätte jemand sich darum gekümmert. Das Dach hatte dunkle Flecken, die sich beim Näherkommen als zerbrochene Ziegel entpuppten. Der einst gepflegte Vorgarten war zur Wildnis emporgeschossen. Das Gartentor hing schief in den Angeln. Vor der Haustür wuchs ein Busch.

      Der Blumentopf, unter dem er den Zweitschlüssel aufbewahrt hatte, war verschwunden, zusammen mit dem Zweitschlüssel. Die Haustür stand dafür einen Spalt offen und knarrte schauerlich, als er sie aufstieß.

      Vorsichtig nahm er Padda von seiner Schulter und setzte ihn ab. Er stellte seinen Rucksack auf die Schwelle, und dann blieb er lange und unschlüssig stehen und beäugte das, was einmal sein Heim gewesen war.

      Modriger Geruch schlug ihm aus dem Halbdunkel entgegen. Die schönen, hellen Bodenfliesen waren verfärbt und gesprungen. Irgendwie waren seine Möbel abhandengekommen; lediglich einige zerbrochene Stühle waren übrig. Die Treppe ins Obergeschoss sah nicht aus, als würde sie einen Mann von seinem Gewicht tragen.

      Padda kroch in einen Sonnenfleck, ließ blitzschnell seine lange, bewegliche Zunge aus dem Maul hervorschnellen und angelte eine Assel zwischen den zersprungenen Fliesen hervor. Er schluckte das Insekt am Stück und blieb dann sitzen, zufrieden seinen Kehlsack aufblähend. Yuriko machte einen Schritt über ihn drüber und sah sich ratlos um.

      Nein, so hatte er sich seine Rückkunft nicht im Geringsten vorgestellt.

      Er durchquerte den Raum und verließ die kümmerlichen Reste seines Heims durch die Hintertür. Die hölzerne Veranda knarrte unter seinem Gewicht. Disteln streckten ihre Köpfe zwischen den Holzbalken hindurch. Er schob sich an einer mannshohen Birke vorbei, die mitten im Weg wurzelte, und betrat den Steg. Ließ den Blick schweifen. Atmete tief durch.

      War endlich zu Hause.

      Die Kröten gaben ein Begrüßungskonzert. Libellen, funkelnd wie Smaragde, schwebten über dem Wasser. Zarter ­Wind raschelte im Schilf und schickte einen Atemhauch über die stille Wasseroberfläche. Die Trauerweide, eine mächtige, knorrige Persönlichkeit, die er mit Zähnen, Klauen und Siegelzauberei gegen die Nachbarn verteidigt hatte, tauchte sachte die Blattspitzen ins Wasser und filterte die tiefe Abendsonne zu goldgrünem Flirren. Seerosen lagen still auf der Wasseroberfläche, kleine gelbe Sonnen im grün-goldenen Himmel.

      Yuriko stieg aus den Stiefeln. Streifte den Mantel ab, die lange Weste, Hemd, Hosen. Ließ sich vorsichtig über den Rand des Stegs in den Teich gleiten.

      Das Wasser umschloss ihn zärtlich und wusch ihm die Beschwernis der Reise ab. Er bewegte sachte die Finger und ließ das Gold des Sonnenuntergangs von seinen Fingerspitzen tropfen. Dann eine Berührung an der Schulter, er fasste vorsichtig hin und hob ein kleines Krötenmädchen aus dem Wasser, das sich mit winzigen Händen an seinen Daumen klammerte. Ihre Augen hatten die Farbe von dunklem Honig.

      »Hallo, Liebchen. Wie wunderhübsch du bist.«

      Sie sah ihn unverwandt an, ihr kleiner Kehlsack arbeitete. Er brachte die Hand vorsichtig auf die Wasseroberfläche, und sie blieb noch ein Weilchen

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