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      »Glaub es oder nicht«, sagte Yuriko müde. Seine Wade schmerzte, obwohl Frakis extra einen Arzt hatte kommen lassen, der die Wunde genäht und eine betäubende Salbe aufgetragen hatte. Der Arzt hatte ihn ermahnt, Ruhe zu halten, aber Yuriko dachte immer nur an das Anschlagsbrett in der Arkania und daran, wie viele Aufträge er erledigen musste, bis er wieder zu einem Dach über dem Kopf kam. Florine zu freien war immer ein fernes Ziel gewesen, doch jetzt war es am Horizont hinter den Sieben Meeren verschwunden.

      »Ich glaube dir«, sagte Frakis. »Es wäre nicht das erste Mal, dass ich Nekromantie wirken sehe. Und wenn es wirklich so viele waren, wie du sagst …«

      »Bezichtigst du mich der Lüge?«

      »Der Hochstapelei. Also, wenn es wirklich so viele waren, lässt das auf eine außerordentlich kompetente Nekromantin schließen. Das wirft die Frage auf, warum dein Schützling so mächtige Feinde hat, findest du nicht?«

      »Ich habe noch eine andere Frage für dich.«

      »Hm?«

      »Hast du Bier? Wein? Etwas, worin ich mein Leid ertränken kann?«

      Frakis seufzte und erhob sich. »Dir mein Gästezimmer anzubieten, hat also nicht gereicht. Du nimmst gleich den Weinkeller und die Speisekammer dazu.«

      »Danke, Frakis, mein liebster, bester, ältester Freund.«

      »Der letzte, der dir in dieser Stadt geblieben ist.«

      Frakis ging nach draußen, und Yuriko lagerte sein Bein um und rückte Padda auf seiner Schulter zurecht. Der Kröter schien Yurikos Stimmung zu spüren und lehnte sich gegen seinen Hals. Die kleine Berührung gab Yuriko Trost. Zumindest war niemand zu Schaden gekommen. Niemand außer ihm selbst und all seinen Zukunftsplänen.

      Yuriko ließ den Kopf nach hinten auf die Sofalehne fallen. Das Leben kehrte erst in ihm zurück, als er Frakis´ Schritte hörte und das leise Klingeln von Glas.

      Frakis gab ihm einen seiner kostbaren Glaskelche in die Hand, bis zum Rand gefüllt mit dunkelrotem Wein, schenkte sich selbst ein und prostete Yuriko zu.

      Sie tranken schweigend. Der Wein war dick und süß.

      »Du hast mir gefehlt«, sagte Frakis irgendwann. »Ich hatte plötzlich niemanden mehr, der mich ab und zu aus meinem Keller holt. Warum hast du dich nicht zumindest verabschiedet?«

      »Ich wollte nicht so lange wegbleiben. Ursprünglich dachte ich, ich bin zurück, ehe du meine Abreise überhaupt bemerkst. Und dann ergab eines das andere.«

      Frakis setzte den Weinkelch ab, wich Yurikos Blick aus und drehte sich eine lange Haarsträhne um den Finger. Dass er mit diesen schneeweißen Haaren schon zur Welt gekommen war, in einer kalten Nacht, während draußen ein Schneesturm tobte, hatte nun zur Folge, dass er immer noch aussah wie früher: seltsam alterslos, blass und mager, aber im Gesicht von einer beinahe weiblichen Schönheit, mit diesen irritierend hellen, eisblauen Augen hinter den Gläsern, ohne die er praktisch blind war.

      Yuriko erinnerte sich an unzählige Prügeleien, die er ausgetragen hatte, damit die Anderen Frakis in Ruhe ließen. Schneemann hatten sie ihn genannt, Made, Abschaum. Immerhin war Yuriko so schon früh zu einem tauglichen Faustkämpfer geworden.

      »Hatte deine Reise denn ein Ergebnis?«, fragte Frakis schließlich. »Du hast die halbe Welt gesehen. Konntest du etwas über deine Eltern in Erfahrung bringen?«

      »Das hab ich nicht versucht«, sagte Yuriko erstaunt. »Das wäre ja inzwischen auch schwierig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gar nicht mehr leben, ist ziemlich hoch.«

      »Und sie steigt mit jedem Jahr. Meinst du nicht, du wirst es irgendwann bereuen, wenn du diese Gelegenheit verstreichen lässt?«

      »Und immer noch bist du besessener von meinem Familiengeheimnis, als ich es jemals war.«

      Frakis ließ den Wein im Glas kreisen.

      »Ich beobachte, dass die Herkunft in den frühen und in den späten Jahren von besonderer Bedeutung ist. In den frühen, um zu wissen, woher man kommt, und in den späten, um zu wissen, wohin man geht.«

      »Ich bin nicht in meinen späten Jahren! Ich habe alles noch vor mir! Fast alles! Na, jedenfalls noch genug!«

      Frakis lächelte und schwieg.

      »Du kannst die Hoffnung begraben«, sagte Yuriko. »Ich bin kein heimlicher Königssohn oder Alleinerbe eines Erzzauberers. Obwohl ein Erbe egal welcher Art gerade wirklich gelegen käme. Und ich weiß, der Gedanke ist für einen Geschichtswissenschaftler schwer zu ertragen, aber es gibt Leute, die leben ganz gut damit, ohne ständig in der Vergangenheit herumzustochern.«

      »Du stocherst nicht nur nicht, du tust so, als hättest du nicht keine.«

      »Ich habe eine Vergangenheit«, sagte Yuriko. »Sie ist eng verknüpft mit dir und deiner wunderbaren, großzügigen Familie. Mehr hätte ich mir doch damals gar nicht wünschen können.«

      Frakis sah zweifelnd drein. Yuriko bekämpfte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Nicht zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass er allein Frakis zuliebe mehr Interesse an seiner Herkunft hätte zeigen können.

      Zu seiner Erleichterung ließ Frakis das Thema fallen.

      »Arkadis«, sagte er. »Was passiert nun mit ihm? Er kann ja nicht für immer bei Galina bleiben.«

      »Für immer nicht, aber vorerst, bis unsere Forschung irgendein Ergebnis bringt.«

      »Was, wenn – wer auch immer – noch einmal versucht, ihn zu holen?«

      »Zum einen, wie ich bereits erwähnte, sind die beiden Grazien in meinem Haus verbrannt, zusammen mit dreihundert lebenden Leichen. Zum anderen, wie ich bereits erwähnte, habe ich Galinas Haus komplett versiegelt. Da kommt niemand rein oder raus, der dort nichts zu suchen hat.«

      »Da kannst du dir nicht sicher sein. Wir wissen überhaupt nicht, mit wem wir es hier zu tun haben.«

      »Hör mal! Der Zauberer, der eines meiner Siegel brechen kann, muss erst noch geboren werden!«

      Frakis seufzte und schenkte sich nach. Yuriko hielt ihm sein Glas entgegen, und Frakis kam der Aufforderung nach und füllte es bis zum Rand.

      »Ich glaube, deine Schülerin geht ein schwer kalkulierbares Risiko ein, indem sie Arkadis bei sich aufnimmt. Wir sollten Arkadis an einen besser geschützten Ort bringen. Vielleicht aus der Stadt. Rüber nach Gaanth. Einer meiner Vettern dritten Grades arbeitet dort in einer Schreibstube. Wir könnten ihn dort unter falscher Identität verstecken.«

      »Erstens. Er ist eine Sie.«

      »Hast du das überprüft?«

      »Man hat mich nicht gelassen. Zweitens. Sie wurde verfolgt, von wo auch immer sie herkommt, und das ist ganz schön weit weg. Halber Erdball, wenn ich schätzen soll. Die haben sie hier aufgestöbert. Wenn noch jemand hinter ihr her ist, meinst du, der lässt sich von einer Perücke und einem falschen Namen in die Irre führen?«

      »Hm«, machte Frakis und trank einen Schluck Wein.

      »Siehst du«, sagte Yuriko. »Glaub mir. Sie ist dort am sichersten, wo wir sie im Blick haben.«

      »Ist die Arkania informiert?«

      »Nein, warum?«

      »Na, weil wir dort auf ganz andere Sicherheitsmaßnahmen zurückgreifen könnten.«

      »Die werden von mir ohnehin eine Erklärung haben wollen, warum eine Abteilung Najaden ausrücken musste, um einen Stadtbrand zu verhindern. Obwohl das gar nicht so war. Ich hatte alles im Griff.«

      Frakis lächelte in sein Glas. »Immerhin der Beweis dafür, dass die Abteilung Katastrophenschutz immer noch gut funktioniert, obwohl sie die letzten Jahre so wenig zu tun hatte.«

      »Hast du mich gerade Katastrophe genannt, sag mal?«

      Jetzt lachte Frakis, was selten genug vorkam, und hob sein Glas.

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