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um mir mei­ne Un­ab­hän­gig­keit zu be­wah­ren.«

      »Und Sie ha­ben wohl dar­an ge­tan,« sag­te der Graf. »Aber wie kön­nen Sie es als einen Vor­zug an­se­hen, ein Arzt zu sein?« füg­te der vor­neh­me Bre­to­ne hin­zu. »Für einen Mann wie Sie, mein jun­ger Freund …«

      »Herr Graf, ich habe eine un­be­grenz­te Hochach­tung vor al­len Be­ru­fen, die einen nütz­li­chen Zweck ha­ben.«

      »Oh, dar­in sind wir ei­nig: ich neh­me an, daß Sie vor die­sen Be­ru­fen den­sel­ben Re­spekt ha­ben, wie ein jun­ger Mann vor ei­ner al­ten Stifts­da­me.«

      Der Be­such des Herrn Lon­gue­ville war we­der zu lang noch zu kurz. Er emp­fahl sich, so­bald er wahr­nahm, daß er all­ge­mein ge­fal­len und je­den neu­gie­rig be­züg­lich sei­ner Per­son ge­macht hat­te. »Das ist ein schlau­er Bru­der,« sag­te der Graf, als er in den Sa­lon zu­rück­kehr­te, nach­dem er ihn hin­aus­be­glei­tet hat­te.

      Fräu­lein von Fon­taine, die al­lein von die­sem Be­such vor­her un­ter­rich­tet war, hat­te sehr sorg­fäl­tig Toi­let­te ge­macht, um die Bli­cke des jun­gen Man­nes auf sich zu zie­hen; aber sie muß­te, was ihr et­was Kum­mer ver­ur­sach­te, be­mer­ken, daß er ihr nicht so viel Auf­merk­sam­keit schenk­te, wie sie zu ver­die­nen glaub­te. Die Fa­mi­lie war ziem­lich er­staunt über das Schwei­gen, das sie be­wahrt hat­te. Ge­wöhn­lich ent­fal­te­te Emi­lie vor neu­en Be­su­chern ihre Ko­ket­te­rie, ihr geist­rei­ches Ge­schwätz und die un­er­schöpf­li­che Be­red­sam­keit ih­rer Bli­cke und ih­rer At­ti­tü­den. War es nun die me­lo­di­sche Stim­me des jun­gen Man­nes oder sein an­zie­hen­des We­sen, was sie ent­zück­te, oder war es, daß sie ernst­haft Lie­be emp­fand und daß die­ses Ge­fühl sie um­ge­wan­delt hat­te: ihr We­sen hat­te al­les Af­fek­tier­te ver­lo­ren.

      Wenn sie sich so ein­fach und na­tür­lich gab, muß­te sie noch schö­ner er­schei­nen. Ei­ni­ge ih­rer Schwes­tern und eine alte Dame, eine Freun­din der Fa­mi­lie, hiel­ten dies Be­neh­men für raf­fi­nier­te Ko­ket­te­rie. Sie nah­men an, daß Emi­lie, wenn sie den jun­gen Mann für ih­rer wür­dig hielt, sich wahr­schein­lich vor­ge­nom­men hat­te, ihre Vor­zü­ge nur lang­sam zu ent­wi­ckeln, um ihn dann, wenn er ihr ge­fal­len ha­ben wür­de, plötz­lich völ­lig zu blen­den. Alle Fa­mi­li­en­glie­der wa­ren be­gie­rig, zu er­fah­ren, wie das lau­ni­sche Mäd­chen über den Frem­den dach­te; aber als wäh­rend des Di­ners ein je­der sich dar­in ge­fiel, an Herrn Lon­gue­ville einen neu­en Vor­zug zu rüh­men und be­haup­te­te, daß er al­lein ihn ent­deckt hät­te, blieb Fräu­lein von Fon­taine eine Zeit­lang stumm; eine klei­ne spöt­ti­sche Be­mer­kung ih­res On­kels weck­te sie plötz­lich aus ih­rer Apa­thie und sie be­merk­te ziem­lich spitz, daß eine sol­che gött­li­che Voll­kom­men­heit ir­gend­ei­nen großen Feh­ler ver­de­cken müs­se, und daß sie sich hüte, auf den ers­ten Blick über einen so ge­wand­ten Men­schen ein Ur­teil ab­zu­ge­ben. »Wer der­art al­ler Welt ge­fällt, ge­fällt nie­man­dem«, füg­te sie hin­zu, »und der schlimms­te Feh­ler ist, wenn man kei­nen Feh­ler hat.« Wie alle ver­lieb­ten jun­gen Mäd­chen schmei­chel­te sich Emi­lie mit der Hoff­nung, sie kön­ne ihr Füh­len im tiefs­ten Her­zen ver­bor­gen hal­ten und die Ar­gus­au­gen ih­rer Um­ge­bung ir­re­füh­ren; aber nach Ver­lauf von vier­zehn Ta­gen war je­des Mit­glied der zahl­rei­chen Fa­mi­lie in das häus­li­che Ge­heim­nis ein­ge­weiht. Beim drit­ten Be­su­che, den Herr Lon­gue­ville mach­te, glaub­te Emi­lie zu er­ken­nen, daß sie der Haupt­an­laß dazu sei. Die­se Ent­de­ckung ver­ur­sach­te ihr eine so be­rau­schen­de Freu­de, daß sie sel­ber in Er­stau­nen ge­riet, als sie dar­über nach­dach­te. Denn es lag dar­in et­was, was ih­ren Stolz schmerz­lich be­rühr­te. Ge­wöhnt, sich zum Mit­tel­punk­te der Ge­sell­schaft zu ma­chen, muß­te sie nun eine Macht an­er­ken­nen, die sie ge­gen ih­ren Wil­len an sich zog; sie ver­such­te, sich da­ge­gen auf­zu­leh­nen, aber sie konn­te das ver­füh­re­ri­sche Bild des jun­gen Man­nes nicht aus ih­rem Her­zen ver­ban­nen. Dazu ka­men bald noch an­de­re Beun­ru­hi­gun­gen. Zwei Ei­gen­schaf­ten des Herrn Lon­gue­ville stan­den der all­ge­mei­nen Neu­gier­de und be­son­ders der des Fräu­leins von Fon­taine ent­ge­gen, näm­lich sei­ne un­er­war­te­te Zu­rück­hal­tung und sei­ne Be­schei­den­heit. Den ge­schick­ten Fra­gen, die Emi­lie in die Un­ter­hal­tung ein­flie­ßen ließ, und den Fal­len, die sie da­bei stell­te, um dem jun­gen Man­ne Nä­he­res über sein Le­ben zu ent­lo­cken, wuß­te er mit der Ge­wandt­heit ei­nes Di­plo­ma­ten, der sein Ge­heim­nis hü­ten will, aus­zu­wei­chen. Sprach sie über Ma­le­rei, so ant­wor­te­te ihr Herr Lon­gue­ville als Ken­ner. Mach­te sie Mu­sik, so be­wies ihr der jun­ge Mann, ohne sich da­mit zu brüs­ten, daß er ein gu­ter Kla­vier­spie­ler war. An ei­nem Aben­de ent­zück­te er die gan­ze Ge­sell­schaft, als er sei­ne wun­der­vol­le Stim­me mit der Emi­lies in ei­nem der schöns­ten Duet­te Ci­ma­ro­sas ver­ei­nig­te; wenn man aber ver­such­te, ihn aus­zu­for­schen, ob er ein Künst­ler wäre, so scherz­te er mit sol­cher Ge­wandt­heit dar­über hin­weg, daß er die­sen Da­men, die so ge­übt in der Kunst des Ge­dan­ken­le­sens wa­ren, kei­ne Mög­lich­keit ge­währ­te, her­aus­zu­be­kom­men, zu wel­cher ge­sell­schaft­li­chen Sphä­re er ge­hör­te. Wie kühn auch der alte On­kel sei­nen En­ter­ha­ken ge­gen die­ses Schiff schleu­der­te, Lon­gue­ville ver­stand ihm aus­zu­wei­chen und den Reiz des Ge­heim­nis­vol­len zu be­wah­ren; und es wur­de ihm um so leich­ter, in der Vil­la Pla­nat »der schö­ne Un­be­kann­te« zu blei­ben, als die Neu­gier­de nie­mals die Gren­zen der Höf­lich­keit über­schritt. Emi­lie, die die­se Zu­rück­hal­tung pein­lich emp­fand, hoff­te bei der Schwes­ter ein bes­se­res Re­sul­tat ver­trau­li­cher Er­öff­nun­gen zu er­zie­len, als bei dem Bru­der. Un­ter­stützt von dem On­kel, der sich auf der­ar­ti­ge Ma­nö­ver wie auf Schiffs­ma­nö­ver ver­stand, ver­such­te sie, die bis­her stum­me Per­sön­lich­keit des Fräu­leins Kla­ra Lon­gue­ville auf die Sze­ne zu brin­gen. Die Ge­sell­schaft der Vil­la be­zeug­te bald den drin­gen­den Wunsch, eine so lie­bens­wür­di­ge Per­son ken­nen­zu­ler­nen und ihr et­was Zer­streu­ung zu ver­schaf­fen. Ein zwang­lo­ser Ball wur­de in Vor­schlag ge­bracht und ak­zep­tiert. Die Da­men wa­ren ziem­lich hoff­nungs­voll, daß sie ein jun­ges Mäd­chen von sech­zehn Jah­ren wür­den zum Re­den brin­gen kön­nen. Trotz der klei­nen Wol­ken, die der Ver­dacht zu­sam­men­zog und die Neu­gier­de ent­ste­hen ließ, hat­te doch hel­ler Son­nen­schein über Fräu­lein von Fon­tai­nes See­le sich er­gos­sen, die einen köst­li­chen Ge­nuß dar­in fand, sich mit ei­nem an­de­ren We­sen ver­bun­den zu füh­len. Sie be­gann jetzt auch, die ge­sell­schaft­li­chen Pf­lich­ten bes­ser zu ver­ste­hen. Sei es, daß das Glück uns bes­ser macht, sei es, daß sie zu sehr mit sich selbst be­schäf­tigt war, um an­de­re zu quä­len, sie wur­de we­ni­ger bos­haft, nach­gie­bi­ger, sanf­ter. Über die­se We­sens­än­de­rung war ihre Fa­mi­lie er­staunt und ent­zückt. Es war wohl mög­lich, daß ihr Ego­is­mus sich in Lie­be ver­wan­delt hat­te. Die An­kunft ih­res schüch­ter­nen und ge­heim­nis­vol­len An­be­ters zu er­war­ten, be­rei­te­te ihr eine tief emp­fun­de­ne Freu­de. Ohne daß ein Wort über ihre Lei­den­schaft zwi­schen ih­nen laut ge­wor­den war, wuß­te sie, daß sie ge­liebt wur­de, und sie kos­te­te den Ge­nuß aus, alle Schät­ze ih­res reich ent­wi­ckel­ten Geis­tes vor dem jun­gen Un­be­kann­ten aus­zu­brei­ten. Sie merk­te wohl, daß auch sie ein­ge­hend ge­prüft wur­de, und sie be­müh­te sich, alle Feh­ler, die auf ih­rer Er­zie­hung be­ruh­ten, ab­zu­le­gen. Es

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