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      Der DCS biss vor Schmerz die Zähne zusammen und ließ sich in seinen Bürostuhl sinken. Heute hätte er keine fünf Kilometer mehr rennen können, um sein Leben zu retten.

      Das wahrscheinlich Schlimmste daran, einen Verräter wie Hamid Zakiri in den eigenen Reihen aufzuspüren, war, dass man irgendwann anfing, an jeder Ecke Verräter zu wittern. Paranoia gehörte zum Rüstzeug für jeden anständigen Spion –- der Trick dabei war jedoch, es damit nicht zu übertreiben. Was höllisch schwer war.

      Kranemeyer begrub das Gesicht in seinen Händen und versuchte sich zu erinnern. Da war etwas, eine flüchtige Erinnerung aus seiner Vergangenheit. Aber Nichols war kein Verräter.

      Er zog das Handy aus seiner Tasche und sah für einen Moment nachdenklich darauf hinab, bevor er eine Nummer wählte.

      »Marcia«, begann er, als sein Anruf entgegengenommen wurde, »besorgen Sie mir doch bitte ein Dossier aus dem Archiv. Ich brauche alles, was wir über eine geheime CIA-Operation im Westjordanland von 2000 haben. Operation RUMBLEWAY, um genau zu sein. Ja, Marcia, die Unterlagen sind streng geheim. Deshalb frage ich Sie …«

       10:41 Uhr

       Das Safehouse

       Culpeper, Virginia

      »Sehen Sie es dem Innenarchitekten nach.« Harry, der in der Eingangshalle des Safehouses stand, deutete auf die ausgeblichenen Tapeten und die Farbe, die sich von den Wänden löste. »Wir haben nicht viele Gäste.«

      Carol schüttelte den Kopf. Das Safehouse war ein kleines Farmhaus, gebaut in einem Stil, der auf die Fünfzigerjahre zurückging. Was wahrscheinlich auch das letzte Mal gewesen war, dass man es renoviert hatte.

      »Wem gehört das hier?«, fragte sie und sah sich um. »Langley?«

      Harry räusperte sich. »Nicht wirklich. Tatsächlich gehört es uns.«

      »Ihrem Einsatzteam?«

      »Ja«, antwortete er und öffnete auf dem Weg in den angrenzenden Raum den Reißverschluss seiner Jacke. Die Colt ließ er im Holster, nur wenige Zentimeter von seinen Fingern entfernt. »Wir sind gerade erst eingezogen, um genau zu sein … wir mussten das Safehouse wechseln, nachdem … nun, nach der Sache mit Zakiri.«

      Selbst jetzt fühlte er noch, wie sich seine Brust schmerzhaft bei der bloßen Erwähnung des Namens zusammenzog und Hass und Wut bei dem Gedanken an seinen Verrat tief in ihm zu brodeln begannen.

      Bei dem Gedanken an einen toten Mann.

      »Wozu brauchen Sie ein Safehouse?«

      »Wegen Tagen wie diesen«, erwiderte er, dankbar für die Frage, die Ablenkung. »Haben Sie einen Plan für jede Eventualität – bringt man Ihnen das nicht im Training bei?«

      Ein Nicken.

      »Das war unser Notfallplan für den Fall, dass unsere Regierung nicht mehr in der Lage ist, uns zu beschützen – oder selbst hinter uns her ist«, fuhr Harry fort und sah auf seine Uhr. »Wir werden uns zwei Stunden hier aufhalten, nicht länger.«

      Sie drehte sich zu ihm. Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Wir bleiben nicht hier?«

      »Nein. Der Ort war nie als dauerhafte Zuflucht gedacht, nur als Möglichkeit, Vorräte zu lagern. Ich bin in der Scheune und tanke unser neues Fahrzeug auf«, sagte er mit der Hand auf dem Türknauf. »Sie sollten duschen.«

      »Wieso?«

      »Könnte für eine Weile das letzte Mal sein. Außerdem muss ich Ihre Kleidung nach weiteren Peilsendern absuchen. Ich könnte mir denken, dass es für Sie angenehmer ist, wenn Sie sie dabei nicht anhaben.«

       10:52 Uhr

       U.S. Route 211

       Virginia

      Die Leichen hatte man fortgebracht, doch die Polizei war noch vor Ort. Flackernde Lichter füllten den Highway, so weit das Auge reichte, und das Heulen der Sirenen schrillte durch die kühle Morgenluft. Umrisse aus Kreide markierten die Positionen der Leichen auf dem gefrorenen Asphalt, über die sich FBI-Agenten in Mänteln beugten, in dem vergeblichen Versuch, sich warmzuhalten.

      Sergei Korsakov hielt sich abseits, mischte sich unter die Schaulustigen, die sich trotz der Versuche der Virginia State Police, sie abzuhalten, zusammengedrängt hatten. Einen Doppelmord sah man in diesem Teil von Virginia schließlich nicht alle Tage.

      Der CIA-Agent war nicht Teil ihres Plans gewesen. Ihr Geheimdienst hatte versagt, auf verhängnisvolle Weise. Alles hatte darauf hingedeutet, dass der Mann, der Carol Chambers begleitete, nur ein Freund sei. Ein weiterer Analytiker. Ein Schreibtischhengst.

      Korsakov blickte auf das Dossier der CIA in seinem PDA hinab und scrollte durch die Seiten. Harry Nichols.

      Ein Schreibtischhengst? Wohl kaum.

      Der ehemalige Speznas-Sergeant rieb sich mit einer Hand über seinen Zwei-Tage-Bart. Kenne deinen Feind.

      Wenn er das gewusst hätte, hätte er niemals nur ein Zweimann-Team auf Chambers angesetzt, selbst dann nicht, wenn ein Mann wie Pavel Nevaschkin es leitete.

      Korsakov drehte sich um und seufzte schwer, während er sich zu seinem SUV begab. Es war Anfang Winter im Jahre 1997 gewesen, in einer dunklen Nacht in Dagestan, als er und Pavel sich kennenlernten. Beide waren Teil eines Speznas-Teams gewesen, das einen Panzerstützpunkt in Buinaksk bewachen sollte.

      Angeführt von ausländischen Mudschaheddin hatten die Tschetschenen ohne Vorwarnung zugeschlagen, waren mit kleinkalibrigen Waffen und Raketenwerfern durch den Zaun gebrochen.

      Er hatte in dieser Nacht Freunde verloren – und wäre beinahe selbst gestorben, wenn ihm Pavel nicht zu Hilfe gekommen wäre, als seine AK-47 sich verklemmt hatte.

      Er schloss für einen kurzen Moment seine Augen und spürte wieder die eiskalte Angst, die er in diesen Stunden durchlebt hatte. Und nun war Pavel tot.

      Korsakov streckte die Hand aus und zog die Tür des gemieteten SUV auf. Der Anschlag auf David Lay war zuerst rein geschäftlich gewesen, aber die Nachricht, die Nichols ihm in dem Loch zwischen Pavels Augen hinterlassen hatte, war eindeutig gewesen.

      Nun nahm er die Sache persönlich. Das bedeutete Krieg. Und dieser konnte nur mit dem Tod enden.

       11:03 Uhr

       CIA-Hauptquartier

       Langley, Virginia

      »Das Bureau hat uns die Bilder der zwei toten Männer geschickt, die man auf der Route 211 fand«, verkündete Daniel Lasker, als Ron Carter an seinem Tisch vorbeilief.

      »Pünktlich zum Mittagessen«, lautete Carters sarkastische Antwort. »Jagen Sie sie durch die Datenbank und schicken Sie mir die Ergebnisse. Ah, Ames, nach Ihnen habe ich gesucht.«

      Ein junger Mann an der Espressomaschine sah auf. Mit zweiundzwanzig Jahren war Luke Ames einer der jüngsten Analytiker im Stab des NCS, und außerdem einer der bestaussehendsten – zumindest unter den Männern. Er war erst neu dabei, nur wenige Tage vor der Iran-Krise im September zu ihnen versetzt worden.

      »Fangen Sie«, warnte ihn Ron und warf einen Schlüsselbund quer durch die Einsatzzentrale.

      Luke lächelte, hielt mit der einen Hand seinen Espresso und fing mit der anderen mühelos die Schlüssel im Flug.

      »Einfacher Job, Ames«, fuhr Carter fort, der sich zu einem leicht scherzhaften Ton zwang. Alles, was ihn an diesem Morgen ein wenig ablenkte, war willkommen. »Sie müssen für mich runter in die Tiefgarage fahren und Chambers Wagen öffnen, damit die Jungs vom Security Directorate anfangen können zu zaubern. Sollte für einen Schlagmann wie Sie zu machen sein.«

      »Verstanden.« Ames war zumindest schon lange genug beim NCS, um zu wissen, dass man als

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