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ihr Blick wieder zu der Älteren. »Ich stürze mich auch nicht hinein, Tante Irene. Ich heirate Gerhard Schilling aus diesen sachlichen Erwägungen heraus.«

      Eine Weile blieb es still zwischen ihnen. Die buntgestreifte Markise spendete Schatten gegen die Sonne. Es war kein Laut zu hören in diesem Einfamilienhaus im Grünen, das Irene Keßler nach dem Tod ihres Mannes vor sechs, sieben Jahren allein bewohnte. Der einzige Sohn hatte eine Französin geheiratet, er lehrte Germanistik an einer Hochschule in Paris. Sie hatte ihre Aufgabe darin gefunden, den Kunstsalon weiterzuführen. Und irgendwie hatte sie es sich auch zur Aufgabe gemacht, dieser Nichte, die ihrem Herzen nahestand, über ihr schweres Schicksal hinwegzuhelfen. Soweit Ariane das zuließ. Viel hatte sie nicht vermocht in diesen Jahren.

      Mit einem Seufzer, den sie nicht laut werden ließ, griff Irene nach dem Krug mit dem Fruchtsaftgetränk, schüttelte ihn ein wenig, daß die Eiswürfel darin gegeneinander klirrten.

      »Wann wirst du mir Herrn Schilling vorstellen?« fragte sie, während sie den Saft in die Gläser schenkte. »Ich muß zugeben, daß ich sehr neugierig auf ihn bin. Hoffentlich ist er nicht nur ein Verstandesmensch.«

      Er mochte mit Zahlen umgehen können, überlegte sie. Würde er es auch mit einer Frau, die tiefes Leid mit sich herumtrug?

      »Nicht nur, nein«, sagte Ariane mit einem leichten Kopfschütteln. »Wenn er von seinem Kind spricht, ist seine Stimme voller Wärme.« Sie griff nach ihrem Glas, drehte es in der Hand. »Morgen kommen sie beide zu mir«, fuhr sie fort. »Ich möchte im Haus wohnen bleiben. ich denke, daß Herr Schilling damit einverstanden sein wird.«

      »Und deine Eltern werden es auch sein?« Es war nur eine halbe Frage.

      »Vater ist sehr angetan von seinem zukünftigen Schwiegersohn. Auch menschlich verstehen sie sich gut. Und Mutter«, Ariane zuckte die Achseln, »sie wird die Form wahren.«

      Aufmerksam sah Irene Keßler ihre Nichte an. »Mag sie ihn nicht?«

      »Das wäre zuviel gesagt. Er steckt schließlich sein Kapital in unser Unternehmen. Aber sie ist geneigt, auf ihn herabzusehen, weil er nicht ›von Familie‹ ist, wie sie das ausdrücken würde. Du kennst sie ja.«

      O ja, Irene Keßler kannte ihre Schwägerin. Schilling, wie und wer immer er sein mochte, würde keinen ganz leichten Stand bei ihr haben. Doch diesen Gedanken schob sie beiseite. Nichts würde leicht sein, für keinen der Beteiligten. Wie sie es sich nur vorstellten…

      »Vielleicht wird das Kind eine Brücke schlagen«, hoffte sie dennoch für Ariane. Diese senkte die Lider.

      »Das Kind«, kam es schwer über ihre Lippen. »Mir ist bange vor morgen, wenn es zu mir kommen wird.«

      »Bange?« wiederholte Irene verwundet. »Wie kann dir vor einem kleinen Mädchen bange sein?«

      »Janine wäre jetzt so alt wie Angela«, sagte Ariane tonlos, ohne den Blick zu heben.

      »Aber dieses Kind lebt, Ariane«, hielt die Ältere ihr ernst entgegen. »Nimm es so auf, wie es das sicherlich erwarten wird.«

      »Ja. Aber warum durfte Janine nicht leben. Warum?«

      Irene sank das Herz beim Anblick ihrer Nichte. Der geneigte Kopf, das schmale, gezeichnete Gesicht… Würde es denn nie ein Ende haben mit der namenlosen Trauer?

      »Du machst dich noch krank bei allen Grübeleien, Ariane«, sagte sie kummervoll. »So kannst du nicht einen neuen Lebensabschnitt beginnen, und das soll es doch werden.«

      Endlich hob Ariane den Kopf. Aber sie schwieg. Sie tranken etwas, sie sahen einem Schmetterling zu, der sich mit zitternden Flügeln auf einem der Blumenkästen niedergelassen hatte.

      »Was ich dich noch fragen wollte, Tante Irene: Hat der Kunde das Gemälde Gedankenspiel eigentlich gekauft, für das er sich interessierte?«

      Sie wollte vom Thema ablenken, und Irene ging darauf ein. Er hatte es gekauft, und zwar zu einem guten Preis. So redeten sie nun von anderen Dingen. Erst als Ariane gegen Abend aufbrach, um nach Hause zu fahren, sagte sie: »Ich werde dir Gerhard Schilling bei nächster Gelegenheit vorstellen. Ich rufe dich an.«

      »Tu das, meine Liebe. Und wenn das Kind morgen mit seinem Vater zu dir kommt, laß es das unschuldige Wesen nicht spüren, was dich bewegt.«

      Ariane nickte und ging schnell davon.

      *

      Oma Monika bürstete dem Enkeltöchterchen noch einmal über das weiche dunkle Haar, das sich an den Spitzen leicht lockte.

      »Die Anja hat gesagt, Papa, bevor sie fortgegangen ist, daß wir heute nachmittag zu der Frau gehen, die meine Mama werden soll!« Verwirrt blickte die Kleine zu ihrem Vater empor. »Ist das wirklich wahr?«

      »Anja ist eine Plaudertasche«, entfuhr es Gerhard ärgerlich.

      »Was ist das?« fragte das Kind prompt.

      »Deine Schwester hat mitgekriegt, wie wir darüber gesprochen haben«, sagte die Mutter entschuldigend. »Sie findet es irre, was da läuft – um es wörtlich wiederzugeben.«

      »Ja, so hat sie sich auch mir gegenüber geäußert. Aber sie sollte doch lieber den Mund halten.« Gerhard beugte sich zu Angela. »Wir machen erst mal nur einen Besuch, Schätzchen, in einem schönen Haus mit einem großen Garten, wo es dir sicher gefallen wird.«

      »Und da ist die Frau, die…«

      »Du wirst sie sehen«, schnitt Gerhard ihr das Wort ab. »Alles andere wird sich finden.«

      Angela verstand nichts mehr. Sie ließ sich von der Oma, die auch ein komisches Gesicht machte, das Trägerkleidchen zurechtzupfen, die Schnalle an der weißen Sandale rechts fester ziehen.

      »Aber mein Bärli darf ich mitnehmen«, sagte sie, als brauche sie diesen Freund, noch zu ihrem Papa. Alles war ihr auf einmal so unsicher. Am liebsten wäre sie dageblieben.

      Eine Mama, hatte Anja gesagt. Warum sie das wohl gesagt hatte, ging es dem Kind durch den Kopf, als es neben ihrem schweigenden Vater im Auto saß. Sie hatte nur eine sehr ferne Erinnerung an eine Mama. Die war manchmal lustig mit ihr gewesen, und dann wieder überhaupt nicht. Das glaubte Angela noch zu wissen. Dann war sie eines Tages nicht mehr da. Nur noch Gina, die war dann immer dagewesen.

      Aber das war alles so weit fort. Das war ja noch in Amerika.

      Gerhard nahm den Blumenstrauß vom Rücksitz, als sie vor der Villa Korff ausstiegen. Edle, langstielige Rosen, blaßgelb und noch halb in der Knospe. Rosen für Ariane. Eines Tages wollte er ihr rote Rosen bringen…

      Angela hielt seine Hand umklammert, als sie neben ihm her trippelte, im linken Arm das Bärli an sich gedrückt.

      Da öffnete sich schon die Haustür, Ariane stand hoch aufgerichtet, in einem weißen Kleid, schmal in der Taille, nach unten hin weitfallend, und sah ihnen entgegen.

      »Ist sie das?« wisperte Angela. Ihr Papa nickte nur.

      »Willkommen«, sagte Ariane, als sie bei ihr waren. Sie gab Gerhard die Hand, nahm die Blumen, die er ihr in einer Klarsichthülle überreichte. »Wie schön sie sind, danke.«

      Dann richtete sie den Blick auf das Kind. Dieses kleine Mädchen, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen weit und erwartungsvoll zu ihr aufgeschlagen, die zarten Wangen gerötet.

      Brennendheiß drängte es sich Ariane plötzlich gegen die Lider. Sie hatte nicht umsonst Angst vor dieser Begegnung gehabt. So groß wäre ihre Janine jetzt auch, wenn sie hätte leben dürfen.

      »Guten Tag, Angela«, sagte sie, dabei berührte sie nur die Schulter des Kindes, nahm schnell den Blick von ihm.

      Sie hatte lange nicht mehr geweint. Irgendwann waren ihr die Tränen versiegt. Sie sah auf die Rosen.

      »Guten Tag«, sagte Angela artig. Aber die Frau sah sie schon nicht mehr an. Angela nahm den Teddybär wieder fester an sich.

      »Kommt herein.« Ariane machte eine einladende Handbewegung. »Meine

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