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finden läßt, die gerade nach London fährt.»

      Abgesehen von dem Anschlag auf Nannys Vetter erhob Sir Thomas nun keine Bedenken mehr. Nachdem man seinem Wunsch gemäß einen zwar weniger sparsamen, aber respektableren Treffpunkt festgesetzt hatte, konnte alles als erledigt gelten, und man genoß bereits die Freude an dem guten Werk. Strenggenommen, hätten nicht alle Anwesenden das gleiche Anrecht auf dieses angenehme Gefühl gehabt, denn während Sir Thomas fest entschlossen war, dem auserkorenen Kind ein treuer Beschützer und Versorger zu sein, hatte Mrs. Norris nicht die mindeste Absicht, sich die Sache etwas kosten zu lassen. Solange es ums Reden und Plänemachen ging, war ihre Mildtätigkeit unbegrenzt, und niemand verstand es besser, die anderen zur Freigebigkeit anzuspornen; sie liebte es, alles zu dirigieren, doch nicht minder liebte sie ihr Geld und wußte mit dem ihren ebenso sparsam umzugehen, wie das ihrer Verwandten großzügig auszugeben. Da sie auf ein geringeres Einkommen hin geheiratet hatte, als es ihren jahrelangen Erwartungen entsprach, hatte sie von Anfang an strengste Sparsamkeit für notwendig gehalten; und was ursprünglich bloße Vorsicht gewesen, wurde ihr bald zum Bedürfnis, zum Gegenstand ihrer unermüdlichen Besorgnis, die sich ja auf kein Kind richten konnte. Hätte Mrs. Norris für eine größere Familie zu sorgen gehabt, wäre an Ersparnisse wohl nicht zu denken gewesen; da sie dieser Sorgen enthoben war, hinderte sie nichts, ihrem Hang zur Sparsamkeit zu frönen, und sie mußte sich nicht die Freude versagen, ihrem Einkommen, das sie und ihr Mann ohnehin niemals verbrauchten, jährlich noch ein Sümmchen hinzuzufügen. Im Banne dieser fixen Idee, der keinerlei wahre Zuneigung zu ihrer Schwester entgegenwirkte, konnte sie für sich nichts anderes erstreben als den Ruhm, eine so kostspielige gute Tat geplant und organisiert zu haben. Möglicherweise kannte sie sich auch so wenig, daß sie nach diesem Gespräch in der glücklichen Überzeugung ins Pfarrhaus heimkehrte, die großmütigste Schwester und Tante der Welt zu sein.

      Als die Angelegenheit demnächst wieder zur Sprache kam, erklärte sie ihre Ansichten deutlicher. Aus ihrer Antwort auf Lady Bertrams gleichmütige Frage: «Zu wem soll das Kind zuerst kommen, Schwester, zu dir oder zu uns?» erfuhr Sir Thomas mit einigem Erstaunen, daß Mrs. Norris absolut nicht in der Lage sei, sich persönlich mit dem Kind zu belasten. Er hatte in dem kleinen Mädchen vor allem eine erwünschte Vermehrung der Pfarrersfamilie, eine hochwillkommene Gefährtin für die kinderlose Tante gesehen und merkte erst jetzt, wie gründlich er sich geirrt hatte. Mrs. Norris erklärte nachdrücklich, zu ihrem großen Bedauern käme ein Aufenthalt der Kleinen bei ihr überhaupt nicht in Frage, zumindest unter den jetzigen Umständen. Bei der schlechten Gesundheit ihres armen Norris sei das gänzlich ausgeschlossen: er sei ebensowenig imstande, Kinderlärm zu ertragen wie zu fliegen. Natürlich, wenn seine Gicht sich jemals bessern sollte, wäre das etwas anderes; dann würde sie gern und ohne der Unbequemlichkeit zu achten, ihr Teil tun. Doch gerade jetzt nähme der arme Norris jede Minute ihrer Zeit in Anspruch, und schon die bloße Erwähnung eines solchen Plans würde ihn zweifellos aufs höchste beunruhigen.

      «Dann soll sie lieber zu uns kommen», bemerkte Lady Bertram mit größter Seelenruhe, und nach einer kurzen Pause fügte Sir Thomas würdevoll hinzu: «Ja, dieses Haus soll ihr Heim sein. Wir wollen uns bemühen, unsere Pflicht an ihr zu tun. Hier wird sie auch den Vorteil gleichaltriger Gefährten und eines regelmäßigen Unterrichts genießen.»

      «Sehr richtig!» rief Mrs. Norris. «Das sind zwei sehr wichtige Erwägungen, und für Miss Lee kommt es ganz aufs gleiche heraus, ob sie drei oder nur zwei Mädchen zu unterrichten hat – das kann keinen Unterschied machen. Ich wünschte nur, ich könnte mich nützlicher erweisen, aber was in meinen Kräften steht, das tue ich. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die mit ihrer eigenen Mühe sparen. Meine Nanny soll sie abholen, wie unbequem es auch für mich sein mag, meine Haushälterin drei Tage lang zu entbehren. Ich denke, Schwester, du wirst das Kind in die kleine, weiße Dachstube neben den alten Kinderzimmern einquartieren. Das wird am besten sein, ganz in der Nähe von Miss Lee und nicht weit von den Kindern. Und nebenan wohnen die Stubenmädchen – eine von ihnen könnte ihr beim Anziehen helfen und ihre Kleider versorgen, denn ich nehme an, du wirst von Ellis nicht verlangen wollen, daß sie dieses Kind so wie die anderen bedient. Ich sehe wirklich nicht, wo du sie sonst unterbringen könntest.»

      Lady Bertram hatte keine Einwendungen zu machen. «Ich hoffe nur, sie wird sich als gutgeartetes Kind erweisen», fuhr Mrs. Norris fort, «und das außerordentliche Glück zu würdigen wissen, daß sie solche Verwandte besitzt.»

      «Sollte sie wirklich schlecht geartet sein», sagte Sir Thomas, «so dürfen wir sie um unserer eigenen Kinder willen nicht in der Familie behalten, aber es besteht kein Grund, etwas so Schlimmes zu erwarten. Wahrscheinlich werden wir vieles an ihr bemerken, was wir zu ändern wünschen. Wir müssen uns auf grobe Unwissenheit, eine gewisse Niedrigkeit der Anschauungen und betrüblich vulgäre Manieren gefaßt machen, aber diese Fehler sind nicht unheilbar und können auch, wie ich hoffe, ihren Gefährten nicht gefährlich werden. Wären meine Töchter jünger als sie, hätte ich es sehr ernsthaft überlegt, ihnen eine solche Hausgenossin zu geben. Doch wie die Dinge liegen, ist für unsere Kinder von einer solchen Gemeinschaft nichts zu befürchten und für das kleine Mädchen viel Gutes zu erhoffen.»

      «Genau meine Meinung!» rief Mrs. Norris.

      «Ich habe es noch heute morgen zu meinem Mann gesagt. Es wird eine Erziehung für das Kind sein, habe ich gesagt, wenn sie nur mit ihren Cousinen zusammensein darf. Sogar wenn Miss Lee ihr nichts beibrächte, würde sie von ihnen allein Bravheit und Gescheitheit lernen.»

      «Hoffentlich wird sie meinen armen Mops nicht quälen», meinte Lady Bertram. «Ich habe gerade erst Julia dazu gebracht, ihn in Ruhe zu lassen.»

      «Eine gewisse Schwierigkeit sehe ich voraus, meine liebe Mrs. Norris», bemerkte Sir Thomas, «nämlich den Mädchen, wenn sie heranwachsen, den Unterschied, der zwischen ihnen besteht, auf die richtige Art klarzumachen: meinen Töchtern einzuprägen, wer sie sind, ohne daß sie deswegen auf ihre Cousine herabschauen, und diese wiederum, ohne sie allzusehr zu entmutigen, nicht vergessen zu lassen, daß sie keine Miss Bertram ist. Ich wünsche, daß sie sehr gute Freundinnen werden, und möchte um keinen Preis bei meinen Töchtern die geringste Überheblichkeit gegenüber ihrer Cousine fördern, aber darum werden sie doch niemals Gleichgestellte sein. Ihr Rang, ihr Vermögen, ihre rechtmäßigen Ansprüche und Erwartungen müssen und werden immer verschieden sein. Das ist ein sehr heikler Punkt, und Sie müssen uns in unseren Bemühungen beistehen, genau die richtige Linie zu treffen.»

      Mrs. Norris erklärte sich ganz zu seinen Diensten; und wenn sie ihm auch darin beistimmte, daß es eine äußerst schwierige Sache sei, ermutigte sie ihn doch zu der Hoffnung, daß sie es mit vereinten Kräften leicht schaffen würden.

      Man wird ohne weiteres glauben, daß Mrs. Norris ihrer Schwester nicht vergeblich schrieb. Mrs. Price schien zwar etwas erstaunt, daß man sich für ein Mädchen entschieden hatte, wo sie doch so viele prächtige Söhne besaß, nahm jedoch das Anerbieten dankbarst an und versicherte, daß ihre Tochter ein wohlgeratenes, gutartiges Kind sei, das ihnen sicher niemals Anlaß geben würde, sie wieder von sich zu stoßen. Sie schilderte sie des weiteren als etwas zart und schwächlich, drückte aber ihre zuversichtliche Hoffnung aus, daß die Luftveränderung eine wesentliche Besserung bewirken würde. Arme Frau! Sicherlich dachte sie dabei, daß allen ihren Kindern eine Luftveränderung guttun würde.

       2. Kapitel

      Das kleine Mädchen legte die lange Reise glücklich zurück und wurde in Northampton von Mrs. Norris in Empfang genommen, die sich auf diese Weise den Ruhm errang, sie als Allererste willkommen zu heißen, um sie dann, im Bewußtsein der eigenen Wichtigkeit schwelgend, den anderen zuzuführen und ihrem Wohlwollen zu empfehlen.

      Fanny Price war damals gerade zehn Jahre alt, und obwohl sie auf den ersten Blick nichts besonders Gewinnendes an sich hatte, lag doch in ihrem Persönchen nichts, was ihre Verwandten abstoßen konnte. Sie war klein für ihr Alter und weder durch strahlende Farben noch durch sonst eine auffallende Schönheit ausgezeichnet. Überaus schüchtern und ängstlich, schien sie sich geradezu in sich selbst zu verkriechen, doch ihr Benehmen war, wenn auch linkisch, so doch nicht vulgär, sie hatte ein süßes Stimmchen, und wenn sie sprach, wirkte sie beinahe hübsch. Sir

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