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an der friedhofzugewandten mauer des Kalberhofes im mund gehabt habe, als nachtisch die Marillen-Knödel mit Zimt-Mandelbrösel17 bestellt anstelle des als „sommerfrisch“ beworbenen Zitronenthymian-Honig-Halbgefrorenen mit geschmorten Kirschen „Rotwandterhof“, von dem sie bis zum eintreffen des kellners wie von etwas sehnsüchtig zu entdeckendem geschwärmt habe. Und er, „längst ungeduldig“, so F., die Blaaser Kreszenz endlich nicht in bloßen andeutungen und immer bloß satz- und ansatzweise und zwischen dem einen kauen und dem anderen kauen davon reden zu hören, was ihr der Vitus Sültzrather in jenen „sehnsuchtsstunden“, wie sie ihre gemeinsame zeit vorzugsweise genannt habe, „verraten“ habe, habe sich den nächsten Montenegro mit eis bringen lassen. Sie erzähle nur nach, habe sie dann, noch bevor der kellner das bestellte an den tisch gebracht habe, gesagt: „Ich erzähle nur nach“ – und, wie wenn endlich jemand einen erzählmotor angeworfen hätte in ihr, manchmal das andre vor das eine stellend, das ihr erzählte erzählt, zuerst aber noch einmal wiederholt und also aus den erinnerungskellern heraufgeholt, wie sie in den kalberschen obstgarten hinein sei, ihn nur durchqueren wollend, und wie dies nun die „initiation“ der verflechtungen ihrer beider geschichten zu der einen, gemeinsamen geschichte gewesen sei, von der sie aber nur am rande erzählen wolle. Denn zuerst müsse „in die nacht oder an den tag“ – „Halten Sie’s, wie Sie’s wollen!“ –, was der Vitus ihr anvertraut: Davon wisse, bisher, nämlich nur sie. – Jener obstgarten, im übrigen, in den sie im fernen mai dreiundsiebzig erstmals „eingedrungen“ sei18 – bei diesem wort habe sie sich, sagt F., zu ihm hingeneigt und mit einem augenzwinkernden lächeln leise gesagt: „wie aber der Kalber Vitus ja doch niemals in mich“ –, jener obstgarten, in dem die bäume tatsächlich noch bäume und die früchte noch nicht „unfehlbar und makellos“ gewesen seien und den der Vitus immer als seinen „kindheitsgarten“ bezeichnet habe, wenn sie dann, später, das wort „kindergarten“ danebengestellt habe19, von den kindergartenerfahrungen ihrer beiden kinder, ihrem Jonas und ihrer Julia20, erzählen wollend, habe sich kaum verändert mit den jahren, habe er erzählt, so seine kindheit aufbewahrend als eine, die dem neunzehnten jahrhundert in wirklichkeit näher gewesen sei21 als dem weltkriegsverheerten zwanzigsten, das an seinem ende ja als ein wirklichkeitsauslöschendes, als ein all die lebensgebirge scheinbar einebnendes, all die lebensebenen scheinbar auftürmendes sich gebärdet habe, so den menschen einen lebenseintopf, einen allzeit möglichen glückstopf vorgaukelnd22, in wirklichkeit aber größere unterschiede, abgründe und katastrophen zeitigend als all die zeit davor. So habe der Kalber Vitus es zu ihr gesagt, habe die Blaaser Kreszenz gesagt – und dann, unvermittelt, sagt F., und wie zusammenhanglos, während der kellner den teller mit den marillenknödeln vor sie hingestellt habe: „Wie hätte auch ich ein bub sein mögen, als kind!“

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      Wieder in der oberen stube, am gleichen tisch wie damals mit Rut, habe er gedacht, sagt F., und am Montenegro genippt; wie ihm alles sofort zur gewohnheit werde!, „wie sich alles wiederholt“. Und die Blaaser Kreszenz habe nun erzählt, wie alles angefangen habe: Wie ihr Vitus habe warten müssen, bis er an der reihe gewesen sei. Denn am selben tag, so habe er erzählt, habe die hebamme noch zwei buben auf die welt, vor ihm; und der eine, der nur mit einem bein ins leben hinein sei23 und der mit ihnen aber fußball gespielt habe von anfang an und der mit ihm hinauf auf die bäume sei, sei später auch auf die berge hinauf; der Blasegger Bonifaz sei ein guter kletterer gewesen, wendiger als viele zweibeinige, der sei am ende in die felsen gestürzt. An dem habe er sich kein beispiel genommen nach seiner querschnittbehinderung. Obwohl er von sich immer als von einem „glückskind“ geredet habe24, hätten sein vater und sein onkel, also des vaters lieblingsbruder und also sein lieblingsonkel, „obwohl – oder vielleicht gerade, weil ich mich an ihn nicht erinnere“, habe der Vitus gesagt, sei der, dessen name auch der seine sei, weshalb er anfangs oft erschrocken sei, wenn er auf dem grabkreuz dieses onkels seinen eigenen namen gelesen habe, doch nur monate nach seiner geburt gestorben, „gestorben an seinem kopf“, hätten sein vater und sein onkel, sein taufpatenonkel, auf dem heimweg von der taufe doch ein schwein vor sich hergetrieben, das – aber das habe damit nichts zu tun, habe der Vitus immer gesagt, wenn er davon erzählt habe, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F. –, das wie immer im winter, „wie immer um neujahr herum“, geschlachtet werden sollte. Sein vater, habe der Vitus oft gesagt, habe weit über Aibeln hinaus den besten speck produziert; denn so, wie er seine bienen nicht mit zucker überwintert habe, nie zucker dazugefüttert habe, um dann mehr honig, „minderen“, aus den waben herauszuschleudern, habe er auch auf den fraß seiner schweine immer beide augen gehabt. Er wolle keinen „allesfresserspeck“, habe sein vater immer gesagt, wenn seine mutter etwa falsche essensreste in die weißblecherne schweinskanne in der küche habe schütten wollen, habe der Vitus gesagt.

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      „Wie alles angefangen hat“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt – und wie der Vitus einmal gesagt habe, als sie wieder einmal in der von ihr nicht verstandenen „aperiodizität“ bei ihm gewesen sei in der nacht25 und also in jenen vormitternachtsstunden verzweifelter lustgraberei, heimlich und von niemandem gewußt, sozusagen als „gebenedeite medizin“ gegen seine „körperverlorenheit“ – „Wo hab ich dieses wort nur gehört?“ –, und die nach der erschöpfungsstummheit, wenn diese schließlich zur erschöpfungsstille geworden sei ein jedes mal, immer geendet hätten in Vitus’ kindheitserzählen, im graben „in jenem garten, jenem vergessensten, ja, und verwunschensten ort, in dem einmal niemand, niemand mehr gewesen sein wird“26, so habe der Vitus nämlich, „wortwörtlich“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, die kindheit genannt –, und wie der Vitus einmal gesagt habe, was er so gern geworden wär: „Kindheitsarchäologe, hat er gesagt“, sagt F., habe die Blaaser Kreszenz gesagt. Aber kein kindheitsarchäologe im allgemeinen, nein, das hätte ihn nicht interessiert, nie – „in keinster weise“, habe der Vitus gesagt, oder manchmal auch: „nicht im mindesten“ –, dann hätte er gleich „kindheitshistoriker“ werden können und „alles über den objektiven kamm scheren“, so habe er sich ausgedrückt; nein, kindheitserfinder im eigenen, selbstlebenserfinder, reisender in die ersten jahre hinab27, „die so voller verdichteter gegenwart sind“, habe der Vitus gesagt, daß sie „alles, was war“, daß sie all die zeit aufgesogen hätten wie ein schwarzes loch: ausgelöscht wie sein letztes werk, „damit alles bleibt, wie es gewesen ist“, habe der Vitus gesagt, und nicht erinnernd sich veränderte in ein anderes – und also verschwände. Was nicht erinnert werde, bleibe immer gleich. – Alles ausgegrabene, ja, habe noch die unschärfe der erinnerung, „diese scharfe unschärfe, Kreszenz“, habe der Vitus ein andermal gesagt, nicht scheuend die widersprüche oder die abweichungen, und sei noch auslegbar wie ein mythos, wie ein teppich oder wie der vogelflug – oder, habe er gesagt, „auch wie ein blatt tarot“: „Können Sie tarock? – Nein? – Soll ich Ihnen die zukunft weisen?“28 Denn sie habe ein tarockdeck in der tasche, „immer schon“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F., „sehen Sie?“; und den kellner rufend, habe sie begonnen, die karten vor sich auszulegen: zuerst den narren, dann den turm, dann den tod, „Zwei Montenegro, bitte!“, dann die sonne –29: „Wissen Sie“, habe sie gesagt, „wie sie mir meinen Jonas zerstört haben?“ Da habe ihr Jonas im kindergarten eine sonne gemalt, schwarz, ganz schwarz, kohlrabenschwarz; und da habe ihm „eine sogenannte tante“, die Tante L. habe ihm da, wie er weinend erzählt habe nach dem einschlafgebet, seine sonne zerrissen, zornig, habe er gesagt, „ganz zornig und laut“, und habe ihn angeschrien, was das denn solle, eine schwarze sonne, es gebe keine schwarzen sonnen, „Ja hast du noch nie eine sonne gesehn?“, sonnen seien gelb, oder golden, und wenn er nicht sofort eine gelbe, eine richtige sonne male, da gehe sie mit ihm hinaus und lasse ihn in die sonne schauen, „so lang“, habe sie geschrien, „bis du’s endlich begreifst“! Aber er habe ja eine nachtsonne malen wollen, in der nacht sei die sonne ja schwarz, „nicht, mama?“, sonst sähe man sie ja, wenn sie nicht schwarz wäre in der nacht! – Und nun, nachdem die Blaaser Kreszenz den Montenegro „in einem zug“ in sich hineingeschüttet gehabt habe, sagt F., habe sie erzählt, wie ihr der Vitus, nachdem sie ihm diese geschichte berichtet gehabt habe, erzählt

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