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gehen Sie .. und lesen Sie, ja, lesen Sie.‘“

      Die Qualen der Südtiroler.6 / Seit Wochen ist das Thinnetal in Aufruhr und ganz Südtirol steht unter dem Druck faschistischer Gewalt. Unzählig sind die vorgenommenen Verhaftungen und Hausdurchsuchungen, ungeheuer die Zahl der Verwandten und unter Polizeiaufsicht Gestellten. Die Italiener haben noch in der Nacht, da die Mordtat geschah, harmlose und unbeteiligte Menschen aus ihren Betten gezerrt, Frauen von ihren kleinen Kindern weg verhaftet; Häuser und halbe Dörfer waren wie ausgestorben und niemand durfte bleiben, der sich um die Kinder, den Hof und das Vieh im Stall hätte kümmern können. Nicht genug damit, daß man über 20 Unschuldige gefesselt ins Tribunal nach Bozen geschleppt, sie durch Wochen gefangen gehalten und sie in einer Art behandelt hat, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit Hohn spricht.7 Die Italiener sind soweit gegangen, vier Deutsche öffentlich als Mörder zu bezeichnen, die jedoch einwandfrei ihr Alibi nachweisen können und auch ihrer Mentalität nach nie als Mörder in Frage kämen. Es hat sich unzweifelhaft herausgestellt, daß die Täter unter den Italienern selbst zu suchen sind, daß drei Faschisten in Haß und persönlicher Feindschaft die Tat begingen.

      Während man in Südtirol gespannt wartete, wie sich der Fall Malfertheiner gestalten werde, fielen nun Ende April im Thinnetal scharfe Schüsse. Zwei Karabinieri und ein italienischer Lehrer wurden dadurch zur Nachtzeit getötet. Niemand weiß heute, wer die Schützen waren. Die Italiener behaupten, es seien Deutsche gewesen, die Einheimischen vermuten, daß der Mord von Italienern begangen wurde. Wir können dazu heute nicht Stellung nehmen. Waren die Italiener die Mörder, dann ist die ganze Fülle von Peinigungen, die in der Folge auf die Thinnetaler losgelassen wurde,8

      Die Drangsalierung des Thinnetales. / Man ging so weit, die Uebermalung der treuherzigen deutschen Sprüche auf den Marterln im Tale zu verlangen. Auch sonst durfte nirgends mehr ein deutsches Wort zu lesen sein und als an einem Sonntag in Schnauders eine Feuerwehrübung an der Gemeindetafel in deutscher Sprache einberufen wurde (von der Feuerwehrmannschaft verstand niemand italienisch), drangen die Karabinieri während des Gottesdienstes in die Kirche ein, um den Feuerwehrhauptmann zur Rede zu stellen. Er wurde unter ungeheurer Aufregung der Bevölkerung vor die Kirche gezerrt, dort als verhaftet erklärt und mit den Schließketten blutig geschlagen. In dem Tumult, der dabei entstand, erlitt eine Bäuerin eine Frühgeburt. / In ganz ähnlicher Weise drangen einige Zeit später in Schrambach am Feste des dortigen Kirchenpatrones faschistische Milizsoldaten in die Kirche ein und forderten einer Reihe von Leuten die Identitätskarten ab. Drei alte Männer, wovon zwei über siebzig und einer fast blind und mehr als achtzig Jahre alt, wurden verhaftet abgeführt. Auf Wegen und Stegen gab es Gewalttätigkeiten gegen jung und alt.

      Die Antwort auf den Mord. / Da wurden in der Nacht auf 29. April die drei Italiener in Aibeln getötet. Nun holten die Behörden zum entscheidenden Schlage aus. Einen besseren Vorwand zur gänzlichen Niederwerfung der Bevölkerung konnte es gar nicht geben. Dutzende und immer neue Dutzende von Thinnetalern wurden verhaftet. Unter einer Fülle von grausamen Mißhandlungen mußte ein Teil davon wochenlang im Gefängnisse warten, bis ihre Unschuld feststand und nur mehr vier Männer als verdächtig zurückbehalten wurden. Indes ging es auch über die daheim Gebliebenen her. Als die Leichen der Ermordeten durch das Thinnetal zur Bestattung nach Brixen gebracht wurden, mußte der Kondukt durch Ueberfälle auf die ahnungslos in den Wiesen arbeitenden Bauern noch besonders geehrt werden.

      Dr. Thaddäus von Lutz.9 / Jetzt aber galt es noch den Arzt Dr. Thaddäus von Lutz unschädlich zu machen. Er war eine der angesehensten Persönlichkeiten im Tale, geachtet und geliebt wegen der Selbstlosigkeit, womit er besonders auch armen Leuten seine Dienste leistete und weil er seine italienischen Sprachkenntnisse dazu benützte, um der Bevölkerung auch außerhalb des Berufes im Verkehr mit den italienischen Behörden behilflich zu sein. Als rechter Arzt von tiefem Pflichtgefühl behandelte er auch mit der gleichen Sorgfalt italienische Patienten, die den tüchtigen Mann sogar mit Vorliebe zu Rate zogen. Dennoch war er den Italienern verdächtig. / Aber man konnte Dr. von Lutz nichts anhaben. Er hatte sich nie die geringste Verfehlung zuschulden kommen lassen. So versuchte man vorerst seine Frau zu treffen. Sie war noch vor einem Jahr deutsche Lehrerin in Aibeln gewesen. Als bekannt wurde, daß sie enthoben werde, erfaßte die Kinder eine derartige Wut, daß sie die italienische Nachfolgerin in der Schule überfielen und nur mit Mühe von ihr fortgerissen werden konnten. Man verdächtigte damals Frl. Marianna Delueg, die jetzige Frau Dr. von Lutz, diesen Ueberfall angestiftet zu haben. Aber der Richter mußte sie freisprechen. Nunmehr nach der Ermordung der Karabinieri in Aibeln ordnete die Behörde die Wiederaufnahme des Strafverfahrens an und Frau Dr. von Lutz wurde, trotzdem der Staatsanwalt wiederum ihren Freispruch beantragte, offenbar aus Gefälligkeit gegenüber der politischen Behörde, zu drei Monaten und sieben Tagen Gefängnis verurteilt. / Noch war aber Dr. von Lutz nicht erledigt. Man konnte ihn doch nicht ohne weiteres für das büßen lassen, was man nun glücklich gegen seine Frau aufgebaut hatte. So wurde nun noch Material gegen ihn selbst zusammengetragen: er habe einer faschistischen Familie, bei welcher ein Scharlach-fall vorlag, den Besuch einer öffentlichen Tanzveranstaltung verboten und damit eine antiitalienische Gesinnung verraten; er sabotiere die italienische Schule, indem er einzelnen Kindern eine ärztliche Bestätigung ihres geschwächten Gesundheitszustandes ausgestellt habe, damit sie der italienischen Schule fernbleiben konnten; er sei ein Alldeutscher, denn er habe, als im Jahre 1926 die deutschen Tageszeitungen von Bozen eingestellt wurden, die „Münchner Neuesten Nachrichten“ bestellt. / Dieses Material genügte. Dr. von Lutz wurde von der Konfinierungskommission in Bozen aufgrund dieses Tatbestandes als gefährliches Individuum bezeichnet und drei Jahre Verbannung über ihn verhängt. Mussolini hatte das Urteil bestätigt und gestern ist Dr. von Lutz von Bozen fortgeschleppt worden; er soll auf der Insel Ponza in der Nähe der Pontinischen Sümpfe dafür büßen, daß das Thinnetal

      Neues zum Mord im Thinnetal. / Zu den Vorfällen im Thinnetal erhielten wir noch folgende Mitteilungen, die ein bezeichnendes Licht auf die Italiener werfen. Es ist erwiesen, daß unter den im Tal befindlichen Faschisten schon seit längerem heftige Konflikte bestanden. So hat sich besonders der erschossene Brigadier Palla / Am Schlusse des Gelages, welches der Mordtat vorausging, kam es unter den Faschisten zu lebhaften Streitereien. Als nachher der eine Karabiniere sein im nahen Gasthause eingestelltes Fahrrad zurückverlangte, rief er in höchster Aufregung: „Rasch, rasch, sonst geschieht ein Unglück!“ / Auch das Verhalten der unverletzten Italiener unmittelbar nach dem Unglück war einigermaßen eigentümlich. Die Bewohner eines dem Tatort nahegelegenen Hauses sprangen, durch die Schüsse aus dem Schlafe geweckt, ans Fenster und sahen, wie ein Mann die Straße hinauf, ein anderer in entgegengesetzter Richtung lief, die sich noch einige italienische Worte zuriefen. Es scheint also doch mehr als ein Italiener die Ermordeten begleitet zu haben. Das Auffallende der Tatsache, daß der Karabiniere Moßna, der als einzig Ueberlebender gilt, am Hause des Doktors vorbei und zum Gemeindesekretär lief, ist ja bereits in früheren Berichten hervorgehoben worden. Moßna, der sich vom Anfang an bis heute auf freiem Fuß befand, und niemals in Untersuchungshaft oder wenigstens in Verwahrung genommen worden war, wird jetzt als irrsinnig bezeichnet.

      Die Thinnetaler Opfer immer noch in Haft. / Die vier Thinnetaler, die von den Italienern ungerechterweise des Mordes an den beiden Karabinieri und dem italienischen Lehrer bezichtigt werden, sind seit mehr als fünf Monaten in Haft. Einmal schien es, als hätten die Italiener selbst den Wunsch nach einer Möglichkeit, sie mit einer großmütigen Geste freilassen zu können,

      Frau Dr. von Lutz nach Ponza abgereist. / Nach vielem Drängen hat Frau Dr. von Lutz endlich die Erlaubnis erhalten, zu ihrem auf der Insel Ponza konfinierten Mann zu reisen. Da sie noch eine Rekursverhandlung in einem Verfahren, das gegen sie als ehemalige deutsche Lehrerin wegen angeblicher Verleitung von Schulkindern zu Tätlichkeiten gegen eine italienische Lehrerin nach mehr als Jahresfrist angestrengt wurde, abzuwarten hatte, gab man ihr die Reisegenehmigung bisher nicht. / Das Befinden Dr. von Lutz’ in seiner Verbannung ist leidlich gut. Die Art und Weise des Vorgehens gegen ihn wurde wieder verschärft; so muß er z.B. über Befehl des Konfinierungslagerkommandos die Nacht wieder mit anderen Konfinierten in der Baracke zubringen, während

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