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ja, das ist so eine Sache.« Und dann erzählte Markus vom Sachertortenstreit, der nur in einer Stadt wie Wien entflammen konnte: »Es gibt zwei verschiedene Sachertorten. Hinter jeder steht ein lang gehütetes Geheimrezept. Die eine Torte wird in der Hofkonditorei Demel gebacken, die andere im Hotel Sacher. Beide schmecken übrigens hervorragend. Der Unterschied liegt in einer Schicht Marillenmarmelade. Die Torte von Sacher – laut Gerichtsbescheid heißt sie jetzt Original-Sachertorte – ist in der Mitte durchgeschnitten und mit Marillenmarmelade wieder zusammen gefügt. Die Sachertorte vom Demel besteht nur aus Schokoladenmasse, ohne Marmeladenschicht.«

      »Und welche ist jetzt besser?«, wollte Verena wissen.

      »Das musst du selbst herausfinden«, lachte Markus. »Für Experten ist das fast so etwas wie ein Religionskrieg!«

      »Glückliche Wiener. Sich über eine Torte zu streiten!«

      »Na ja, es gibt hier auch noch ganz andere Konflikte. Und ehrlich gesagt, ist der Sachertortenkrieg den Wienern auch vollkommen wurscht, die meisten wissen gar nichts davon«, gestand Markus.

      »Das ist also nur eine Auseinandersetzung, um den Absatz anzukurbeln?«, hakte Verena nach.

      »Nicht nur ein Schmäh. Den Streit gab es ja wirklich. Mit allem Drum und Dran und gerichtlicher Verfügung. Aber wen kratzt das schon? Wien verkauft den Touristen halt gern seine kaiserliche Seite.«

      »So wie die Hoflieferanten?«, warf Verena ein.

      »Was meinst du?«

      »Na ja. Der Hofkonditor. Der Hofschneider. Und Lilo sammelt Möbel von diesem Bäumler, dem Hoftischler. Stell dir das nur mal vor! Du bist ja auch Tischler!«, lachte sie. »Wäre das nicht absurd für einen jungen Mann, sich als kaiserlich-königlicher Hoflieferant zu bezeichnen?«

      »Da hast du wohl recht«, sagte Markus verlegen und nestelte an einer Haarsträhne, die sich im Bügel seiner eleganten Sonnenbrille verfangen hatte.

      »Das sind sicherlich lauter alte Knacker, die sich hinter ihrem Lakaienstatus verstecken, nicht wahr?«, sinnierte Verena respektlos weiter.

      »Vielleicht.« Markus räusperte sich.

      Das Gespräch zwischen ihnen verstummte wieder, doch es fiel nicht weiter auf, da sie ihr Ziel bald erreicht hatten.

      »So, da wären wir«, sagte Verena und öffnete die schmiedeeiserne Gartentür. Ihr war nicht entgangen, dass sich der weiße Spitzenvorhang im Salon bewegt hatte. Sie seufzte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, in Untermiete zu wohnen? Wenigstens war Lilo so taktvoll, nicht gleich ins Vorzimmer zu stürmen und sich vorstellen zu lassen. Unter der Salontür drang das Brüllen des Fernsehapparats hindurch, was die romantische Stimmung allerdings auch einschränkte. Ein goldener Lichtstrahl fiel flackernd auf die Treppe.­

      Leise, obwohl das bei dem plärrenden Fernseher gar nicht nötig gewesen wäre, schlichen die beiden die Treppe hoch.

      In ihrem Zimmer angekommen, kickte Verena schnell einen herumliegenden BH unters Bett, dann drehte sie das Licht auf. In der hellen Beleuchtung des Wandspots sah ihr Gemälde noch farbenprächtiger aus als tagsüber im Sonnenschein. Ja, sie war selbst beeindruckt und mächtig stolz. Es war das Beste, was sie je gemalt hatte.

      Markus schaute schweigend. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich bin überwältigt«, brachte er schließlich heiser heraus.

      Verena strahlte vor Stolz. Eine Welle von Zärtlichkeit für diesen Mann überflutete sie plötzlich. Wie von selbst neigte sie ihr Gesicht zu ihm und öffnete die Lippen. Wie selbstverständlich legte er seinen weichen Mund auf ihren.

      Lange hielten sie sich umfangen, keiner von beiden wagte es, sich zu bewegen. Mit den Händen wühlte er in ihren blonden Haaren und konnte nicht genug bekommen, jeden Millimeter ihres Gesichts zu schmecken. So war dies also der Moment …

      »Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Markus verwirrt.

      »Keine Ahnung.« Verena hatte nichts gehört. »In diesem alten Haus knarrt es die ganze Zeit.« Doch auch sie hörte jetzt ein Kratzen an der Tür, gefolgt von einem schnaufenden Winseln.

      »Herr Franz!«, rief Verena und öffnete die Tür. Da hatte sich der faule Kerl gar die Treppe hinaufgequält, nur um seinen alten Freund zu begrüßen! – Was er jetzt auch ausführlich tat.

      In diesem Augenblick fiel Ve­renas Blick auf das Handy, das Markus auf dem Fensterbrett ab­gelegt hatte. Das Ding blinkte und vibrierte. Als der junge Mann den Anruf entgegen nahm, sah Verena sofort, dass etwas nicht stimmte.

      »Ich muss sofort ins Krankenhaus. Mein Vater hatte einen Herzanfall«, sagte er aufgeregt und eilte auch schon die Stiege hinunter.

      *

      So ruhig der Sommerabend im restlichen Wien verlief, so hektisch war es hier. Das Allgemeine Krankenhaus, von den Einheimischen kurz AKH genannt, kannte keinen Feierabend. Pausenlos öffnete sich das automatische Tor, Besucher eilten ein und aus. Auch Kranke, unterwegs zu einer der Notfallam­bulanzen, nutzten den Haupteingang.

      Der Portier schaute nur kurz aus seinem Kreuzworträtsel hoch, als der junge Mann nach dem Stockwerk fragte, in dem sein Vater gerade behandelt wurde. »Sechs L«, war die gleichmütige Antwort.

      Gerlinde, Gräfin von Bäumler kam offensichtlich gerade aus dem Fitnesscenter, und keiner, der Markus’ Mutter schon einmal perfekt gestylt auf einem Empfang oder Ball getroffen hatte, hätte sie heute wieder erkannt. Blass und mit ungeföhnten, strähnigen, nur rasch zurück gebundenen Haar saß die Gräfin völlig verloren auf einem Plastikstuhl im Wartebereich.

      »Mama! Was ist passiert?«

      »Markus! Bin ich froh, dass du da bist!« Die Gräfin fiel ihm erleichtert um den Hals und begann zu schluchzen. So viel konnte Markus aber bald herausfinden: Es war kein richtiger Infarkt, nur eine Rhythmusstörung gewesen, dem Vater ging es den Umständen entsprechend gut.

      »Sie können jetzt zu ihm ins Zimmer«, sagte die Stationsschwester, die mit leisen Schritten zu ihnen getreten war, und sie folgten ihr in den hellen Raum.

      Wie seltsam klein dieser wuchtige Mann auf einmal aussah! Lag es an dem Monitor über seinem Bett oder an dem weißen Nachthemd, dass er aussah wie ein alter Mann? Rasch schüttelte Markus diesen Gedanken von sich. Nein, sein Vater war noch nicht alt, er war stattlich, in den besten Jahren und ein Patriarch. So einer gab nicht so schnell auf.

      Das war es auch, was der Patient seiner Frau gerade zu erklären versuchte: »Nur eine Unpässlichkeit, Gerli, mach dir bitte keine Sorgen. Alles okay mit mir. Morgen darf ich wahrscheinlich wieder nach Hause. Allerdings«, und nun bedachte er seinen Sohn mit dem üblichen, dienstlichen Blick, »allerdings werden sie mir nicht erlauben zur Möbelmesse zu fliegen. Das musst du übernehmen, Markus. Fahr doch bitte gleich ins Büro und hol dir die Unterlagen aus meinem Schreibtisch. Meine Sekretärin hat den Flug bereits auf deinen Namen umgebucht.«

      Die Möbelmesse in Mailand! Erst letzte Woche hatte Markus den Vater gebeten, ihm diesen Job zu überlassen, denn er wollte auch hinsichtlich seiner eigenen Geschäftsideen neue Kontakte knüpfen. Markus wusste, dass Scheich Hamad einen Abgesandten dorthin schicken würde. Aber: »Nichts da!«, hatte der Vater bisher immer gesagt. »Du musst dort zur Verfügung stehen, wo du von der Firma gebraucht wirst, Junge!«

      Jetzt hatte sich die Einstellung des Vaters also geändert – oder eigentlich auch wieder nicht. Wieder verfügte er über Markus, ohne ihn erst einmal um seine Meinung zu fragen. Es war Zeit – höchste Zeit, um mit dem alten Herrn einmal ein Wörtchen über ihre festgefahrenen Machtstrukturen zu sprechen. Aber nicht jetzt, das war Graf Markus klar. Jetzt würde er eben wieder einmal artig tun, was von ihm verlangt wurde. Auch wenn ihn der Gedanke, Verena eine Woche lang nicht sehen zu können, schmerzte.

      »Warum musst du zu einer Möbelmesse? Ich dachte du bist einfacher Tischler? Ich versteh’ das nicht«, murmelte Verena, als Markus sie zehn Minuten später anrief.

      »Ich erkläre dir alles, wenn ich wieder da bin, Verena. Aber bitte nicht übers Telefon. Ich werde dich aus Mailand jeden

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