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USA wussten schon immer, dass die Wiederbelebung dieser Volkswirtschaften früher oder später bewirken würde, dass diese Länder mit ihnen in Konkurrenz träten, zumindest an der Wirtschafts- und Handelsfront. Die Vereinigten Staaten waren bereit gewesen, dieses Risiko auf sich zu nehmen, denn, solange die Sowjetunion bestand, schien es keinen anderen gangbaren Weg zu geben, das angeschlagene kapitalistische Nachkriegssystem zu stützen. Doch als die Sowjetunion sich selbst zerstörte und in ihre Teile zerlegt wurde, entstanden neue, zum Teil politische, zum größten Teil aber soziale und wirtschaftliche Probleme. Mit dem Sieg Hayeks und der Chicagoer Schule wurde das geboren, was dann als Neoliberalismus bekannt wurde.

      Dementsprechend begann die Europäische Union die Sozial- und Wirtschaftspolitik ihrer Mitgliedsstaaten zu bestimmen. Dies bedeutete das Ende der staatlichen Kontrolle von Industrien und den langsamen, aber unaufhaltsamen Abbau des Sozialstaates, denn der Markt drang nun in die bis dahin heiligsten Bereiche der Bereitstellung von Sozialleistungen ein.

      Als 2008 die Krise ausbrach, bewirkte sie die reine Panik in den EU-Zentralen. Panik in Berlin. Panik in Paris. Panik in London. Was sollten sie tun? Amerikanische Wirtschaftswissenschaftler behaupteten, nun sei die Zeit gekommen, eine Form des Keynesianismus wieder einzuführen, um die Wirtschaft anzukurbeln, und das taten die Vereinigten Staaten in gewissem Maße. Anders jedoch Europa, denn Europa hatte zu viel ausgegeben, es stand sozial, wirtschaftlich, ideologisch zu viel auf dem Spiel, als dass ihm diese Wende möglich gewesen wäre. Stattdessen bekamen wir die von Berlin beschlossenen und von allen Regierungen der Europäischen Union unterstützten Sparmaßnahmen: Je ärmer das Land, desto feiger waren seine Führer.

      Die Europäische Union steht heute einer ziemlich großen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krise gegenüber. Deren einzige Lösung ist die Bestrafung der Opfer. Die extreme Mitte der meisten Mitglieds­staaten plädiert dafür, dass dies geschieht und dass Oppositionen zerschlagen werden – es sei denn, sie tauchen auf der rechten Seite auf.

      Bis die Blase wieder platzt, kann sie ignoriert werden, es sei denn, es käme zu einer großen Revolte von unten. Was die Regierenden in Europa betrifft, so ist für sie alles schon beigelegt, das Problem ist mehr oder weniger gelöst. Diejenigen, die den Zusammenbruch des Euro vorausgesagt hatten, haben sich offensichtlich geirrt. Solange die deutschen Banken glücklich sind, sind die Eliten glücklich. Sie denken, es sei ihnen gelungen, das System zu beherrschen. Aber aus der Perspektive der angeschlagenen Parlamente von Athen und Madrid und angesichts geschlossener Geschäfte, verbarrikadierter Gebäude und vernagelter Häuser in Lissabon und Dublin sind die Aussichten nicht so rosig. Selbst in den blühenden Metropolen London, Paris, Brüssel, Mailand und Frankfurt gibt es dunkle Ecken, die dem Blick der Öffentlichkeit verborgen bleiben. In diesen ärmeren, von Migranten, Arbeitslosen und Obdachlosen bewohnten Vierteln geht das Leben weiter und es gibt sogar ein Gemeinschaftsgefühl, das es anderswo in Großstädten nicht gibt, aber die Probleme des täglichen Lebens lassen wenig Zeit für Entspannung.

      Für die von der Troika regierten EU-Länder ist die gemeinsame Währung zu einer Fessel geworden, die mehr als die Hälfte der Eurozone an eine permanente Rezession kettet. Griechenland ist in die Armut gestürzt, seine Wirtschaft ist um ein Fünftel geschrumpft, die Löhne sind um 50 % gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit ist groß: Zwei Drittel der jungen Menschen sind arbeitslos. Die Erfahrungen der Spanier sind nicht besser: Von der Rente der Großeltern oder von einem einzigen Gehalt müssen in vielen Fällen drei Generationen leben. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 26 %, die Löhne werden nicht ausgezahlt, der Lohn für Gelegenheitsarbeit ist in Spanien auf zwei Euro pro Stunde gesunken.

      Italien befindet sich nach einem Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation seit einigen Jahren in einer Rezession. Nun sind 42 % der jungen Italiener ohne Arbeit. In Portugal mussten Zehntausende kleine Familienunternehmen, die jahrzehntelang das Rückgrat der portugiesischen Wirtschaft bildeten, ihren Laden dichtmachen. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Und Irland: Wieder einmal haben die Jungen, die Besten und Klügsten der Nation das Land verlassen. Damit wiederholt sich traurigerweise die Auswanderung, die dazu beigetragen hat, Irland jahrzehntelang in Konservatismus und Unterentwicklung einzusperren.

      Die Europäische Union ist das Instrument des Ministerrates. Diese Minister sind von ihren Ländern in ihren Parlamenten gewählte Regierungsvertreter und bestimmen alles. Darum ist das Demokratiedefizit in der Europäischen Union riesig. Das Europäische Parlament hat in Wirklichkeit überhaupt keine Macht – abgesehen von der, den Präsidenten der Europäischen Union zu wählen, der ebenso wenig Macht hat. Die Macht wird immer noch von den einzelnen Staaten ausgeübt, aber wenn der eine oder andere ausfallen sollte, ist das auch kein Problem. Deutschland spielt als reichster und größter Staat der EU bei der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik heute die Hauptrolle. Wenn die deutschen Bankiers Sparmaßnahmen wollen, sorgen die mit ihnen im Bunde stehenden Politiker dafür, dass ihre Forderungen erfüllt werden, denn im Grunde sind sie eine Bankier-Gemeinschaft. Die Eliten haben aus der EU ein System gemacht, das ihren Interessen dient. Sie ist eine Wirtschaftsunion, die eine Wirtschaftspolitik durchsetzt, und sie ist keine soziale oder politische Union.

      Kurz gesagt, jene Europäische Union, die aus dem langen und abenteuerlichen Kampf um den Schutz des Euro hervorgegangen ist, ist ihrem Wesen nach eher autokratisch, autoritär, deutsch-dominiert und rechtsgerichtet und entbehrt jeglichen ausgleichenden Charmes. Die Euro-Zone dehnt sich weiter aus. Kroatien ist 2013 der EU beigetreten. Im Jahr 2011 führte Estland und 2014 Lettland den Euro ein. Jedoch hat die neue Ordnung ein Ad-hoc-Wirtschaftsdirektorat hervorgebracht, das nur im Notfall legitim wäre.

      Dieses Direktorat wurde als Troika bezeichnet. Es hat keinen offiziellen Namen, wurde aber im April 2010 zusammengestellt, um als Voraussetzung für den ersten Kredit die Führung der griechischen Wirtschaft zu übernehmen. Die Troika setzt sich im Wesentlichen aus Bürokraten der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds zusammen. Mit der Zeit regierte sie Portugal, Irland, Zypern und Griechenland. Und sie gehört auf Dauer zum europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Troika gibt Absichtserklärungen nach demselben Muster wie der IWF heraus, die den Mitgliedsstaaten jedes Detail der Regierungsprogramme diktiert.

      Jede nationale Regierung wird dafür sorgen, dass die gesetzlichen Regelungen für Kürzungen im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, im öffentlichen Sektor, bei Entlassungen, Kürzungen der staatlichen Rente und der Streichung von Leistungen für Arbeitslose dem Parlament vorgelegt und von diesem verabschiedet werden. Dann wird die Regierung dem Parlament einen Privatisierungsplan vorlegen und dafür sorgen, dass dieser verabschiedet wird. Die Troika besteht nach ihren eigenen Worten darauf, die Regierung sollte im Voraus darüber beraten, auch politische Entscheidungen anzunehmen, die noch nicht in diesem Memorandum enthalten sind. Das kann man nur noch finanziellen Halbkolonialismus nennen. Und die Bilanz der Troika im Bereich der Wirtschaftsführung ist katastrophal.

      In anderen Ländern haben die Parteien der extremen Rechten profitiert. Sie haben zwei miteinander verbundene Argumente entwickelt: Erstens, dass die EU-Politik zu Sparmaßnahmen geführt und den Armen geschadet hat, und zweitens, dass die Freizügigkeit von Arbeitskräften aus EU-Ländern mit niedrigen Löhnen und hoher Arbeitslosigkeit die Lage verschlechtert.

      Was den zweiten Punkt betrifft, so handelt es sich bei der Einwanderung um eine Reihe von Strategien, die seit Jahrhunderten akzeptiert werden. Die Welt wäre nicht das, was sie heute ist, wenn es keine Einwanderung gegeben hätte. Deutsche Unternehmen brauchten türkische Arbeitskräfte, Frankreich holte Menschen aus seinen ehemaligen Kolonien ins Land, damit sie in der französischen Industrie arbeiten, die britische Regierung schickte Enoch Powell auf die Karibischen Inseln, damit er dort Krankenschwestern für den neuen Nationalen Gesundheitsdienst anwarb. All dies geschieht schon seit Ewigkeiten, darum ist die Vorstellung, die Menschen, die an der Krise schuld sind, wären die Einwanderer, ein billiges, armseliges und schäbiges Vorurteil und hat keinerlei reale Grundlage. Aber heute sagen die Rechte und die extreme Rechte, Migranten aus Polen und Rumänien – aus Staaten der zweiten Reihe der verblassenden Sterne – nähmen uns unsere Arbeitsplätze weg.

      Das ist nun einmal etwas, zu dem man sich verpflichtet, wenn man der Europäischen Union beitritt. Es geht nicht nur um den freien Kapitalverkehr, sondern auch um die Freizügigkeit

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